Simon Moser, wie wird man eigentlich Captain?
Simon Moser: Ich wurde ins Trainerbüro zitiert. Dort hat mir Kari Jalonen mitgeteilt,
dass er mich als neuen Captain
vorgesehen hat. Ich solle mir überlegen,
ob ich das Amt übernehmen möchte
Mussten Sie sich sofort entscheiden?
Moser: Ja, aber es ist eine grosse Ehre.
Da musste ich nicht lange nachdenken.
Haben Sie damit gerechnet?
Moser: Ehrlich gesagt nicht. Ich hatte
eher andere Namen im Kopf, die infrage
kommen. Ich war schon überrascht.
Wie lief es bei Ihnen ab, Patrick Geering?
Patrick Geering: Bei uns war ein eventueller
Captain-Wechsel bereits im Sommer
ein wenig diskutiert worden.
Schliesslich hat mir unser Sportchef
Sven Leuenberger mitgeteilt, dass ich für
dieses Amt vorgesehen bin. Als es dann
so weit war, war ich auch überrascht.
Sie sind jetzt Captains bei zwei der
grössten Schweizer Eishockey-Teams.
Macht einen das stolz?
Moser: Ja, klar. Als Captain ist man ja so
etwas wie das Aushängeschild der Organisation.
Geering: Mich erfüllt es mit grossem
Stolz. Ich bin seit eh und je Teil der ZSC-Organisation,
bin nicht weit von Oerlikon
aufgewachsen. Mein Vater war
schon immer ZSC-Fan und hat sich die
Spiele im Hallenstadion angeschaut.
Jetzt bin ich plötzlich Captain. Das ist ein
tolles Gefühl. Ebenso die Tatsache, dass
man von den Verantwortlichen mit so einer
Aufgabe betraut wird und einem dieses
Amt überhaupt zugetraut wird.
Haben Sie etwas Spezielles gemacht?
Eine Runde spendiert?
Moser: Bis jetzt habe ich noch nichts gemacht
(lacht).
Geering: Ich muss sicher noch einen
Einstand zahlen. Da werde ich nicht darum
herumkommen (lacht).
Moser: Ja, das wird bei mir auch so sein.
Bis jetzt musste ich einfach immer etwas
in die Mannschaftskasse zahlen. Für das
erste Spiel als Captain. Das erste Champions-Hockey-League-Spiel
als Captain.
Meine Mitspieler haben viele Gründe gefunden.
Ich musste bluten.
Gab es wenigstens eine Lohnerhöhung?
Moser: Das kommt nicht auf den Buchstaben
auf der Brust an. Bei mir jedenfalls
nicht (lacht).
Geering: Bei mir leider auch nicht.
Moser: Vielleicht sollten wir uns mal mit
unseren Sportchefs unterhalten (lacht).
Gab es bei euch nie Gedanken, das
Amt abzulehnen? Die Fussstapfen, in
die ihr treten müsst, sind ja ziemlich
gross…
Moser: Ziemlich gross, ja (lacht). An beiden
Orten treten wir die Nachfolge von
Legenden an. Ich musste mir schon
noch einmal bewusst werden, was mein
Vorgänger Martin Plüss geleistet hat. Wir
wurden ja auch zweimal hintereinander
Meister. Da ist ein grosser Erwartungsdruck
da. Ablehnen war für mich trotzdem
nie eine Option.
Geering: Klar sind die Fussstapfen
gross. Aber ich muss mich deswegen
nicht neu erfinden. Es geht mehr darum,
dass ich mir bewusst werde, welche neuen
Nebenjobs dieses Amt mit sich bringt.
Da ist es für mich optimal, dass «Segi»
immer noch Teil der Mannschaft ist. Ich
könnte mir keinen besseren Lehrmeister
als ihn vorstellen. Das ist eine gute Ausgangslage.
Ist es nicht hinderlich, dass der ehemalige
Captain immer noch da ist?
Geering: Für mich war eigentlich immer
klar, dass ich nicht Captain sein
möchte, solange «Segi» noch dabei ist.
Im Wissen, welche Rolle er in dieser
Mannschaft und der ganzen ZSC-Organisation
während vieler Jahre gehabt hat.
Aber als man mich angefragt hatte und
ich mit «Segi» alles eingehend besprechen
konnte, war ich bereit für diese
Aufgabe. Deshalb glaube ich nicht, dass
das irgendein Problem sein könnte.
Speziell ist ja bei euch beiden, dass
ihr jeweils zu Captains ernannt und
nicht von der Mannschaft gewählt
wurdet. Muss man sich die Akzeptanz
der Mitspieler erst erkämpfen?
Moser: Eine gewisse Akzeptanz ist sicher
schon vorhanden. Die Verantwortlichen
haben sich ja bestimmt ihre Gedanken
gemacht bei ihrer Wahl. Ich war ja
auch schon vorher Teil des erweiterten
Captain-Teams in Bern.
Geering: Und es ist ja auch so: Wenn ich
das Gefühl hätte, dass mich das Team in
dieser Rolle nicht akzeptiert, dann hätte
ich das Amt sicher abgelehnt.
Moser: Das denke ich auch.
Geering: Wir sind beide schon länger in
unseren Teams dabei und gehören zum
Kern. Es wäre etwas anderes, wenn Simon
jetzt frisch zum ZSC gekommen wäre oder ich nach Bern. Das würde nicht
funktionieren. In Zürich war der
Wunsch nach einer Veränderung da.
Und wenn die Verantwortlichen das Gefühl
haben, dass dieser Captain-Wechsel
einen Teil dazu beiträgt, dann trage ich
diese Entscheidung gerne mit.
Apropos Veränderung: Was braucht
der ZSC und was wird denn von Ihnen
erwartet in diesem Prozess?
Geering: Wir sind zweimal im Viertelfinal
ausgeschieden. Wir müssen über
die Bücher. Ich denke nicht, dass wir das
Rad neu erfinden müssen. Ich muss
mich auch selber als Captain nicht neu
erfinden. Fakt ist aber, dass wir in Zürich
als Mannschaft ganz einfach härter arbeiten
müssen, damit wir am Tag X, also
in den Playoffs, bereit sind.
Was können Sie als Captain dazu beitragen,
dass das gelingt?
Geering: Mit gutem Beispiel vorangehen.
Nur, weil ich jetzt einen anderen
Buchstaben auf dem Trikot trage, bin ich
nicht der, der in jeder Pause aufsteht
und grosse Reden schwingt.
Moser: Ich sehe das ähnlich. Auch ich
gehöre zu der Sorte Spieler, die auf dem
Eis Vollgas geben. Wenn ich mich als
Captain in die gegnerischen Schüsse
werfe und Checks verteile, zieht das die
Mitspieler mehr mit. Auch ich werde in
der Garderobe nicht der Mann der lauten
Worte sein. Bei uns in Bern verteilt
sich das sowieso recht gut auf verschiedene
Schultern.
Geering: Wichtig ist, dass man sich treu
bleibt. Wenn man nicht besonders kommunikativ
ist, muss man nicht plötzlich
ein Mann der grossen Worte werden.
Das wäre nicht glaubwürdig.
Wie haben Sie Ihre Vorgänger, Martin
Plüss und Mathias Seger, in dieser
Rolle erlebt?
Moser: «Plüssi» war eigentlich immer
sehr ruhig und bedacht. Wenn es aber
nötig war, dann konnte er schon so richtig
auf den Tisch hauen. Und wenn das
passierte, dann hat man auch zugehört.
Geering: «Segi» war auch nicht der, der
in jeder Pause grosse Reden geschwungen
hat. Er hat, seinem Naturell entsprechend,
schon mehr gesprochen. Aber
mehr als Motivator. Was bei ihm – und sicher
auch bei «Plüssi» – markant ist, ist
sein unbedingter Einsatzwille. Er ist immer
voller Leidenschaft am Werk.
Hat der ZSC nicht sogar die talentiertere
Mannschaft als der SCB?
Moser: Da kann ich jetzt fast nicht
«Nein» sagen (lacht). Aber ja: ich denke,
in der Breite sind sie talentierter als wir.
Geering: Ich habe Mühe mit Schlagworten
wie «talentierter» und «besser». In
unserer Situation darf das gar kein Thema
mehr sein. Man gewinnt kein Spiel,
nur weil man auf dem Papier vielleicht
besser besetzt ist als der Gegner. Man
muss das bessere Team sein, man muss
mehr kämpfen, um erfolgreich zu sein.
Das hat man bei uns gesehen. Klar gab
es noch andere Faktoren, die man berücksichtigen
muss. Aber das ist ein Teil
des Spiels, das sind Ausreden. Wir müssen
das ganze Gerede von «Talent» ignorieren
und zurückfinden zu Tugenden
wie harte Arbeit.
In Bern lauert dafür die Falle der Genügsamkeit.
Geht man auch als zweifacher
Meister dorthin, wo es wehtut?
Moser: Ja. Wir müssen. Sonst reicht es
dann eben schnell nicht mehr. Bis jetzt
habe ich das Gefühl, dass trotz unserer
zwei Titel in Serie der Biss immer noch
da ist. Das ganze Gerede vom Meisterblues
wird eher von Medien thematisiert.
Als Spieler möchte ich immer gewinnen.
Man darf nie zufrieden sein.
Haben Sie sich schon Gedanken gemacht,
was Sie im Fall einer Krise tun?
Geering: Es ist wie immer im Leben:
wenn es läuft, ist es einfacher und schöner und lustiger. In der Krise zeigt sich
der wahre Charakter des Teams, der einzelnen
Spieler und natürlich auch derjenige
des Captains. Wir beide spielen ja
schon einige Jahre Eishockey und haben
verschiedentlich schwierige Situationen
erlebt. Wichtig ist, dass man im Fall einer
Krise nie den Weitblick verliert. Und
auch hier gilt: Nur, weil ich jetzt Captain
bin, muss ich nicht das Gefühl haben,
ich müsse den Karren eigenhändig aus
dem Dreck ziehen.
Moser: Als Captain steht man, wenn es
nicht läuft, sicher mehr im Mittelpunkt.
Man muss sich hinstellen, wenn die Journalisten
kritische Fragen stellen.
Mathias Seger sagte einst, dass das
Captain-Amt vor allem im Falle einer
Krise zur Last werden kann, weil
man sich für alles verantwortlich
fühlt und dabei mitunter vergisst, seine
eigene Leistung abzurufen. Kann
man sich davor schützen, in diese Falle
zu tappen?
Moser: Der Schlüssel ist sicher, dass
man nicht zu viel machen will, nur weil
man jetzt Captain ist. Man muss seinen
Prinzipien treu bleiben. Aber vermutlich
muss ich diesbezüglich auch erst einmal
Erfahrungen sammeln.
Geering: Ich kenne diese Geschichte
auch. Aber eben: Ich bin ja nicht alleine.
Ich zähle auf die Unterstützung von allen
Teamkollegen. Und vor allem auf jene
Mitspieler, die ich seit Jahren kenne. Sie
müssen mir auch helfen. Wir sitzen alle
im selben Boot. Und wenn das in einen
Strudel gerät, müssen alle ihren Beitrag
leisten, dass wir es wieder gemeinsam
rausmanövrieren.
Als Captain sind Sie Bindeglied, müssen
auch die Interessen Ihrer Mitspieler
vertreten. Trauen Sie sich zu,
diese Verantwortung zu übernehmen
und beim Trainer auch mal auf den
Tisch zu hauen, wenn es nicht läuft?
Moser: Ja. Ich denke, das verlangt Kari
Jalonen auch. Das entspricht seiner Philosophie.
Er sucht den engen Kontakt
zum Captain. Er will offen alles ansprechen
können. Wir verfügen sicher beide
über die entsprechenden Nehmerqualitäten.
Aber letztlich wird er entscheiden,
wo es langgeht.
Geering: Man muss das als professionelle
Beziehung betrachten. Ich gehe als
Captain ja nicht ins Trainerbüro und
komme mit einem individuellen Anliegen.
Ich vertrete die Interessen des
Teams. Also muss ich auch kein schlechtes
Gewissen haben, wenn sich diese Interessen nicht mit den Ideen des Trainers
decken. Letztlich ist auch eine Eishockey-Mannschaft
ein Betrieb wie jeder
andere, in welchem die Chefs und die
Angestellten nicht immer gleicher Meinung
sind. Aber der Chef fällt den Entscheid.
Und den gilt es zu akzeptieren.
Was braucht es, damit eine Mannschaft
funktioniert?
Moser: Einen guten Kern mit den richtigen
Leuten, mit Leadertypen. Darum
herum kann man ein Team aufbauen.
Wichtig ist eine starke, fünf, sechs Mann
umfassende Leadergruppe.
Kann man auch zu viele Leader haben?
Oder gar nicht genug davon?
Geering: Es gibt ja dieses Sprichwort mit
den Indianern und den Häuptlingen.
Wenn man zu viele Häuptlinge hat, kann
das ein Problem sein. Letztlich ist die Mischung
im Team entscheidend. Man
braucht die jungen, hungrigen Spieler. Die
Ausländer, die skoren. Und einen intakten
Kern der Mannschaft. Jeder muss seine
Rolle erfüllen.
Muss sich der Leader-Kern der Mannschaft
auch menschlich nahe stehen?
Moser: Es gibt immer Spieler, mit denen
man sich besser versteht und mit denen
man auch privat etwas unternimmt. Andere
sieht man nur in der Garderobe.
Aber wenn ich dann mit ihnen gut auskomme,
dann reicht das eigentlich.
Oder anders gefragt: Kann Freundschaft
hinderlich sein für Leistung?
Moser: Das habe ich noch nie erlebt.
Geering: Ich glaube nicht. Im Gegenteil:
je besser ich einen Mitspieler – auch neben
dem Eis – kenne, umso ehrlicher
kann ich mit ihm sein.
Erwartet ihr von euren Mitspielern,
wenn sie private Probleme haben,
dass sie euch das mitteilen?
Geering: Das hat nichts mit dem Captain-Amt
zu tun. Das muss jeder Spieler
für sich selber entscheiden. Private Probleme
hängt man ja selten an die grosse
Glocke. Ich bin aber überzeugt, dass jeder
Spieler innerhalb der Mannschaft
seine zwei, drei Bezugspersonen hat, denen
er seine Sorgen anvertrauen kann.
Ich werde das also nicht für alle sein.
Und erwarte das auch nicht.
Aber möchten Sie es als Captain
nicht wissen, wenn es einem Mitspieler
spürbar nicht gut geht?
Geering: Klar möchte ich helfen. Ich will
ja, dass die Chemie innerhalb der Mannschaft
stimmt. Deshalb würde ich schon
nachhaken.
Moser: Wenn die Stimmung in der
Mannschaft und die Leistung auf dem
Eis beeinflusst wird, dann muss man
schon auf den betreffenden Spieler zugehen.
Geering: Man merkt innerhalb der
Mannschaft recht schnell, wenn jemand
über längere Zeit ein Problem mit sich
rumträgt. Wir sind so nah aufeinander.
Können bei einem Grossklub die äusseren
Umstände lähmend wirken?
Moser: Bei uns in Bern ist es so, dass wir
Spieler uns innerhalb der Mannschaft
gegenseitig unter Druck setzen. Den
Druck lassen wir uns gar nicht erst von
aussen machen. Deshalb ist man auch
innerhalb des Teams miteinander hart,
wenn man spürt, dass irgendwo der
Schlendrian Einzug hält.
Ist diese Leistungskultur der Schlüssel
für ein funktionierendes Team?
Moser: Ich denke schon. Dieses gegenseitige
Pushen, der Wille, sich gegenseitig besser
zu machen, sind extrem wichtig.
Hat dieses Pushen in Zürich zuletzt
ein wenig gefehlt?
Geering: Offensichtlich ja. Wenn man
zwei solche Saisons wie wir abgeliefert
hat, dann hat jede Kritik, die von aussen
kommt, irgendwo ihre Richtigkeit. Es
gibt keinen fixen Plan, was man besser
machen muss. Aber es ist sicher so, dass
ein intakter Mannschaftskern und diese
Bereitschaft, jeden Tag hart an sich zu
arbeiten, wichtige Erfolgsfaktoren sind.
Wie gross ist die Gefahr, dass sich
diese Misserfolgserlebnisse in den
Köpfen der Spieler einbrennen?
Moser: Am besten nicht davon reden.
Aber ihr hört es ja trotzdem jeden
Tag, wenn es so weit ist.
Geering: Weniger thematisieren ist sicher
ein Schlüssel. Aber auch, dass man am
Tag X mit der Gewissheit in ein Spiel gehen
kann, dass man bereit ist. Dass man
sich gar nicht hinterfragen muss. Das tut
man im Erfolgsfall ja lustigerweise kaum
einmal. Dann läuft es halt einfach.
Moser: Ja, bei uns ist es in der letzten
Saison einfach gelaufen. Das Selbstvertrauen
war da. Wir hatten zum richtigen
Zeitpunkt auch das nötige Glück. Und ja:
man hinterfragt das wirklich nicht.