Als sich der mutige Arnold Winkelried 1386 mit einem Bündel Lanzen in der Schlacht von Sempach selbst aufspiesste, um seinen Schweizer Soldaten den Weg hinter die feindliche Front zu sichern, wurde er zum Held.
Juventus ist der Winkelried des italienischen Fussballs. Ohne Heldenstatus. Die Turiner haben sich gegen die Topklubs des internationalen Fussballs erhoben und kämpfen seit Jahren praktisch alleine unter italienischer Flagge an vorderster Front.
Seit der Saison 2012/13 ist Juventus zwar Tyrann in der heimischen Serie A und schnappt sich Titel um Titel, doch international steckt sich Juve Lanze um Lanze in den eigenen Bauch, in der Hoffnung, die «Schlacht der Ligen» für Italien zu gewinnen. Immerhin haben sie 2015 und 2017 das Finale der Champions League erreicht.
Während der italienische Fussball international folglich nur durch Juventus wahrgenommen wurde, haben sich Napoli, die AS Roma und Co. im Schatten der Turiner zu Topteams geformt. Es fehlt lediglich noch der Meistertitel oder ein Coup in der Champions League, dann werden auch die grössten Ignoranten merken, wie gut sich die Spitzenteams in Italien entwickelt haben.
Wer die Meisterschaft Jahr für Jahr dominiert, der macht zweifelsohne vieles, bis fast alles richtig. In diesem Jahr könnte das in der Serie A für Juventus aber plötzlich nicht mehr reichen, weil die Konkurrenz endlich aufgewacht ist und die «alte Dame» nicht mehr alles selbst in der Hand hat. Der Dominator wird endlich richtig gefordert und dies nicht, weil er selbst schlechter, sondern weil die anderen deutlich besser geworden sind.
Napoli hat in 11 Spielen nur beim Unentschieden gegen Inter Punkte abgegeben. Lazio und Juventus kommen mit einem Punkteschnitt von 2,54 dahinter auf den Rängen 2 und 3. Heute Abend könnte Inter mit einem Sieg die beiden aber noch überholen und sich weiter an die Fersen der Neapolitaner heften. Selbst die AS Roma auf Rang 5 könnte mit dem Spiel weniger noch auf 27 Punkte kommen. Die Serie A ist spannend wie seit Jahren nicht mehr. Das ist ein Segen für den italienischen Fussball.
Vor allem wie sich Napoli entwickelt hat, ist beeindruckend. Mit Lorenzo Insigne, Dries Mertens und José Callejon haben die Süditaliener einen überragenden Dreizack in der Offensive, mit Marek Hamsik den unterschätztesten Spielmacher der Welt. Trainer Maurizio Sarri hat es zudem verstanden, die Defensive zu stabilisieren.
Ein weiterer Trainer, der grossartige Arbeit verrichtet, ist Simone Inzaghi (der Bruder von Pippo Inzaghi). Er hat bei Lazio Rom mit Verteidiger Stefan de Vrij, Mittelfeld-Motor Sergej Milinkovic-Savic und Topskorer Ciro Immobile eine fantastische Achse und lässt attraktiven Offensiv-Fussball spielen.
Die AS Roma mit drei Vize-Meistertiteln in den letzten vier Jahren wäre sowieso schon lange fällig für den Titel und könnte unter Eusebio Di Francesco den entscheidenden Schritt nach vorne machen. Und da ist ja noch Inter, das derzeit allerdings etwas über Wert klassiert ist. Sie werden, so wie sie bisher aufgetreten sind, nicht um den Titel mitreden können.
Mit Napoli, Roma und Lazio haben sich drei Teams oben festgesetzt, bei denen das Geld nicht im Überfluss vorhanden ist. Sie setzen auf Kontinuität und haben im Sommer keine neuen Spieler mit grossen Namen verpflichtet, sondern ihre Schlüsselspieler mehrheitlich halten konnten. Dies funktioniert so gut, weil der Fokus in Italien eben so stark auf Juventus gerichtet ist.
Während den 90-er Jahren und auch noch anfangs der 2000-er, da war die Serie A die beste Liga mit den besten Spielern der Welt. Mit dem «Calciopoli», dem Manipulationsskandal im Jahr 2006, folgte der tiefe Absturz. Milan holte zwar 2007 nochmals die Champions League, danach wanderten aber immer mehr Spieler aus Italien ab oder kamen gar nicht mehr in die Serie A.
Jetzt ist die Serie A auf dem Weg zurück zu alter Stärke. Taktisch war der italienische Fussball sowieso immer auf allerhöchstem Niveau, die einheimischen Trainer sind stark. Das Verteidigen haben die Italiener im Blut, daran wird sich nichts ändern.
Was zu internationaler Anerkennung und den grossen Erfolgen aber noch gefehlt hat, waren Weltklasse-Stürmer, die aus allen Lagen treffen. Die Schewtschenkos, Del Pieros und Crespos der Gegenwart. Die gibt es aber nun wieder, wie ein Blick auf die Torschützenliste zeigt, die praktisch ein Spiegelbild der Tabelle ist.
Die fünf Teams an der Spitze sind mit je einem Spieler ganz vorne in der Torschützenliste anzutreffen. Immobile (1,27 Tore pro Spiel), Mauro Icardi (1,1), Paulo Dybala (1) und Mertens (0,9) weisen grossartige Werte auf.
Das Niveau in der Serie A ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Das wird sich bald auch international zeigen, wenn nicht nur Juventus sondern plötzlich auch Napoli, Roma oder Lazio in der K.o.-Phase der Champions League für Furore sorgen.
Vor der Bundesliga und der Premier League braucht sich die Serie A sowieso nicht mehr zu verstecken. Die letzten deutschen CL-Finalisten waren übrigens Bayern und Dortmund 2013, der letzte englische Chelsea 2012. In den letzten vier Jahren standen bloss Real Madrid, Atlético, Barcelona und Juventus in einem Final der Königsklasse. Nur die Primera Division ist also noch besser als die Serie A. Dank Napoli und Co. vielleicht gar nicht mehr so lange.