Die Coronapandemie ist gefühlt schon wieder ganz weit weg. Flugscham hört sich an wie ein Wort aus einer anderen Zeit. Die Touristen füllen die Städte, Strände, Berge und Restaurants wieder, als wäre nichts geschehen.
Vor wenigen Tagen ging ein Notruf aus dem Louvre um die Welt. Das berühmte Museum wird von Touristinnen und Touristen nahezu überrannt. Overtourism sorgt aber nicht nur in Paris für Schlagzeilen: Auch in Barcelona, auf Mallorca, in Venedig, Amsterdam oder in der Schweiz sind die Menschenmassen ein Thema. Der Kanton Appenzell Innerrhoden führte im Herbst 2024 ein neues System ein, um die Touristenmassen an schönen Wochenendtagen zu bewältigen. Und schliesslich erzählten watson-Mitarbeiter und im folgenden «User unser» die Community von unzähligen Orten, wo es rappelvoll, statt wunderschön war.
In der Schweiz untersuchte die nationale Tourismusorganisation das Phänomen, stellte punktuell lokale und zeitliche Engpässe fest, nannte die fünf Hauptärgernisse für Einwohner und sagte im Interview mit watson, wie das Problem behoben werden soll.
Was niemand wegdiskutieren kann: Der Tourismus entwickelte sich in den letzten Jahren extrem. Die Coronapandemie stoppte das Wachstum nur kurz. Diese acht Grafiken zeigen, wie der Tourismus explodiert ist.
25 Millionen Touristinnen und Touristen weltweit zählte man vor 70 Jahren in einem Jahr. Im Verhältnis zu den 2,5 Milliarden Bewohnerinnen und Bewohnern, die 1950 auf unserem Planeten lebten, ergab das genau einen Reisenden auf 100 Erdbewohner.
Seither ist die Zahl der jährlichen Touristinnen und Touristen gemäss der Welttourismus-Organisation UNWTO geradezu explodiert: 1,5 Milliarden Touristenankünfte wurden 2019 registriert. Nach der Coronapandemie wurden 2024 weltweit wieder 1,5 Milliarden Touristenankünfte verzeichnet. Von 100 Erdbewohnern reisen also im Schnitt 18.
Im Jahr 1950 bewegten sich zwei Drittel der Touristinnen und Touristen weltweit in (oder nach) Europa. Auch wenn Europa heute mit rund 50 Prozent noch immer mit Abstand die wichtigste touristische Region ist – Asien (inklusive Pazifik) hat gewaltig aufgeholt: 2024 wurde bereits jeder vierte Tourist in dieser Region gezählt.
Die Entwicklung kommt vor allem daher, dass sich in den Schwellenländern Indien und China immer mehr Menschen das Reisen überhaupt leisten können (siehe auch Punkt 5).
Fliegen liegt im Trend. Im Jahr 1914 wurden noch rund 1200 Flugtickets verkauft, 1936 (also gut 20 Jahre später) hat sich die Zahl bereits auf 1'300'000 Tickets vertausendfacht. Natürlich beinhalten diese Zahlen auch an Geschäftsreisende verkaufte Tickets. Doch eindrücklich ist das Wachstum dennoch – inzwischen hat sich der Verkauf von Flugtickets nämlich noch dreimal vertausendfacht: Im Jahr 2023 lag die Zahl der Flugtickets bereits bei rund vier Milliarden. Vor Corona hatte sie gar rund 4,5 Milliarden erreicht. Diese Werte könnten 2024 wieder erreicht werden, die genauen Zahlen wurden noch nicht veröffentlicht.
Auch wenn in den letzten Jahren vermehrt über die schlechte Ökobilanz von Kreuzfahrten berichtet wurde: Ferien auf dem Ozeandampfer boomen. Auch hier ist der Corona-Taucher längst vergessen. 2024 machten erstmals über 30 Millionen Leute eine Kreuzfahrt – Tendenz weiter steigend. Für das laufende Jahr wird mit mehr als 33 Millionen Kreuzfahrerinnen und Kreuzfahrern gerechnet.
Barcelona, Dubrovnik oder Venedig – sie alle leiden mittlerweile unter den Kreuzfahrt-Touristen, die meist nur als Tagestouristen die Stadt (über-) bevölkern, wenig Geld liegen lassen und die Strassen verstopfen.
Tourismus ist (wieder) einer der am schnellsten wachsenden Wirtschaftssektoren der Welt. Seit den 2010er-Jahren wächst er (meist) stärker als die Weltwirtschaft, und gemäss Prognosen wird das so bleiben.
Die Welttourismusorganisation (UNWTO) prognostizierte 2011 für das Jahr 2030 eine Zahl von 1,8 Milliarden Touristinnen und Touristen, die ins Ausland reisen. Das könnte gut auch früher schon der Fall sein.
Einer der Treiber dieser Entwicklung: Der Anteil der Mittelschicht an der Weltbevölkerung wächst und damit auch der Anteil Menschen, die sich das Reisen leisten können. Die Definition von Mittelschicht ist nicht fix. Eine der gebräuchlichen besagt, dass Haushalte mit einem verfügbaren Einkommen zwischen 75 und 200 Prozent des Medianeinkommens zur Mittelschicht zählen. Aktuell gehört demnach die halbe Welt zur Mittelschicht – 1950 waren es noch mehr als dreimal weniger.
Als Treiber zeigt sich vor allem auch der Wohlstand in bevölkerungsreichen Schwellenländern wie China und Indien.
In China machte 1990 der Mittelstand 3 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Drei Dekaden später lag die Zahl schon bei 50 Prozent oder rund 700 Millionen Menschen. Und die Tendenz zeigt klar in eine Richtung.
Das Jahr 2015 war für den Tourismus in der Schweiz wegen des starken Frankens ein Dämpfer. Seither stieg die Kurve im Tourismus wieder an, zumindest bis zur Coronapandemie: Im Jahr 2019 erzielte die Branche Einnahmen von fast 18 Milliarden Franken. Zwei Drittel davon stammten aus dem Reiseverkehr mit Übernachtungen. Die Coronapandemie stoppte die Entwicklung auch hier nur kurzfristig. Gemäss der Fremdenverkehrsbilanz des Bundesamts für Statistik lagen die Einnahmen 2023 schon bei 18,5 Milliarden (provisorische Zahl). 2024 sah es für den Tourismus in der Schweiz auch gut aus.
Am meisten Logiernächte verzeichnet jeweils Zürich. Danach folgen Genf und Zermatt. Im Jahr 2023 knackte die Schweiz einen neuen Rekord: Die Hotellerie verzeichnete über 41 Millionen Logiernächte. Gegenüber 2022 nahm die Logiernächtezahl um 9,2 Prozent zu (plus 3,5 Millionen).
Die inländische Nachfrage blieb mit 20,8 Millionen Logiernächten trotz eines leichten Rückgangs um 1,1 Prozent (-224'000) sehr hoch. Die Nachfrage der ausländischen Gäste erhöhte sich um 21,8 Prozent auf 20,9 Millionen Logiernächte (plus 3,7 Millionen) und näherte sich dem Rekordniveau von 2019.
Bei den Logiernächten liegt Graubünden klar an der Spitze. Dahinter folgt der Kanton Bern und das Wallis:
Dieser Artikel erschien in ähnlicher Form 2019 erstmals. Wir haben ihn überarbeitet und ausgebaut. Mitarbeit: Lea Senn und Marius Egger.