Schweiz
Durchsetzungsinitiative

Durchsetzungs-Initiative: So verlor die SVP die Deutungshoheit

Das Plakat der Gegner stellt jenes der Befürworter in den Schatten.
Das Plakat der Gegner stellt jenes der Befürworter in den Schatten.
Bild: KEYSTONE/TI-PRESS

Wie die SVP die Deutungshoheit über ihre Durchsetzungs-Initiative verloren hat

Mit Ausländerthemen war die SVP in den letzten Jahren sehr erfolgreich. Dieses Mal scheint es anders zu kommen – weil die Gegner aus der Ausländer- eine Systemfrage machen konnten.
20.02.2016, 12:1621.02.2016, 22:05
Mehr «Schweiz»

Am Anfang sah es miserabel aus für die Gegner. In einer ersten Umfrage vom letzten Oktober wollten 66 Prozent der Befragten die Durchsetzungs-Initiative annehmen. Für eine wirkungsvolle Nein-Kampagne fehlte das Geld. Die Wirtschaft und ihre Verbände wollten ihre Kassen für den Kampf gegen das SVP-Begehren nicht öffnen. Bürgerliche Spitzenpolitiker tönten resigniert. «Es wird sehr schwierig, diese Initiative noch zu bodigen», sagte CVP-Präsident Christophe Darbellay dem «Blick».

Kunststück: Wer will sich schon für «kriminelle» Ausländer stark machen?

Seither aber tat sich Wunderliches. Es entwickelte sich ein Abstimmungskampf, wie ihn die Schweiz noch nie erlebt hat. Eine breite Allianz aus NGOs, Juristen, Kirchenvertretern, Künstlern und Mitgliedern der Zivilgesellschaft machte gegen die SVP und ihre Initiative mobil. Der vom Publizisten Peter Studer lancierte «dringende Aufruf» sammelte mehr als eine Million Franken für eine Plakat- und Inseratekampagne, die ihren Zweck erfüllt: Sie lässt nicht kalt, sondern polarisiert.

Der wichtigste Kanal für die Initiativgegner sind die sozialen Medien, die sie intensiv bespielen. Mit verblüffendem Erfolg: In den neusten Umfragen von SRG und 20 Minuten ist das Nein-Lager erstmals stärker als die Befürworter. Noch hat es die Abstimmung nicht gewonnen, aber die Indikatoren deuten auf ein Nein am 28. Februar hin. Dafür spricht auch die bislang überdurchschnittlich hohe Stimmbeteiligung in den Städten, wo die SVP hartes Brot isst.

Man staunt. Ausgerechnet in einem ihrer Kernthemen droht der SVP eine böse Niederlage. Euphorische Gemüter sehen in der Nein-Kampagne bereits eine Art Blaupause für künftige Erfolge bei ähnlichen Vorlagen. Dies dürfte verfrüht sein, dennoch stellt sich eine drängende Frage: Wie ist es möglich, dass die SVP die Deutungshoheit über ihre eigene Initiative verloren hat?

Du hast watson gern?
Sag das doch deinen Freunden!
Mit Whatsapp empfehlen

Ein wichtiger Aspekt, wenn nicht der wichtigste, sind die Emotionen. Die SVP spielt in der Regel virtuos auf dieser Klaviatur, während die Empörung ihrer Gegner verpufft. Im aktuellen Fall aber stossen die Emotionen des Nein-Lagers auf grössere Resonanz. «Sie kommen nicht nur bei den bereits Bekehrten an, sondern auch bei ‹eingemitteten› Menschen», sagt der Politgeograf Michael Hermann. Die Argumente der SVP hingegen wirkten defensiv.

«Sie konnten aufzeigen, dass die SVP es übertrieben und einen Pfusch abgeliefert hat.»
Michael Hermann

Tatsächlich fragen sich selbst Befürworter der Initiative, ob sie nicht zu weit geht. Wie ist so etwas möglich? Kaum jemand hat Sympathien für straffällig gewordene Menschen, insbesondere Ausländer.

Michael Hermann schildert es so: «In Abstimmungskämpfen entstehen zwei Dynamiken: Entweder wird ein Problem grösser gemacht, als es ist. In einem solchen Fall steigt die Zustimmung. Beispiele sind die Minarett- und die Masseneinwanderungs-Initiative. Oder die Nebenwirkungen treten nach anfänglicher Sympathie in den Vordergrund. Dann nimmt die Zustimmung ab. Davon betroffen sind linke Initiativen oder im aktuellen Fall die Heiratsstrafe.»

Mit der Initiative für die Volkswahl des Bundesrats erlitt die SVP Schiffbruch.
Mit der Initiative für die Volkswahl des Bundesrats erlitt die SVP Schiffbruch.
Bild: KEYSTONE

Bei der Durchsetzungs-Initiative kämen beide Dynamiken ins Spiel, sagt Hermann: «Die kriminellen Ausländer werden zum Thema, aber auch die Auswirkungen der Initiative auf das ganze System.» Das Ungewöhnliche im aktuellen Fall: Der zweite Effekt ist stärker als der erste. Hermann verweist auf die Flops der SVP mit institutionellen Initiativen wie der Volkswahl des Bundesrats: «Den Gegnern ist es gelungen, aus einem Ausländerthema eine institutionelle Debatte zu machen.»

«Wir planen eine Schlussoffensive, mit der wir junge Wähler ansprechen wollen, damit uns keiner durch die Lappen geht.»
Flavia Kleiner

Der Schlüssel zu dieser ungewöhnlichen Entwicklung liegt für den Politgeografen in einem Begriff: Common Sense. Oder gesunder Menschenverstand. Die SVP nimmt ihn gerne für sich in Anspruch, doch dieses Mal haben ihn die Gegner auf ihrer Seite. «Sie konnten aufzeigen, dass die SVP es übertrieben und einen Pfusch abgeliefert hat», sagt Hermann.

Deshalb deutet alles daraufhin, dass eine Ausländervorlage der SVP für einmal jenes Schicksal erleidet, das sonst linken Initiativen vorbehalten ist. Das Nein-Lager aber will bis zuletzt dran bleiben. «Wir planen eine Schlussoffensive, mit der wir junge Wähler ansprechen wollen, damit uns keiner durch die Lappen geht», sagt Flavia Kleiner, die Leiterin der NGO-Kampagne. Gleichzeitig hofft sie, dass kein Negativereignis wie ein neuer «Fall Köln» alle Bemühungen zunichtemacht.

Michael Hermann ist deswegen nicht sonderlich beunruhigt: «So etwas hätte keinen grossen Einfluss mehr. Die meisten Leute haben bereits abgestimmt.» Auch wenn wie üblich erst am Schluss abgerechnet wird: Ein Nein bleibt das wahrscheinliche Ergebnis.

Wie gedenkst du, bei der Durchsetzungs-Initiative abzustimmen?
An dieser Umfrage haben insgesamt 18261 Personen teilgenommen
[pbl, 16.02.2016] Durchsetzungs-Initiative
7 Gründe, warum das Nein zur DSI ein historischer Entscheid ist
113
7 Gründe, warum das Nein zur DSI ein historischer Entscheid ist
von Peter Blunschi
DSI-Nein: Ein Stimmvolk, das sich schlau macht, ist ein übermächtiger Gegner für die SVP
199
DSI-Nein: Ein Stimmvolk, das sich schlau macht, ist ein übermächtiger Gegner für die SVP
von Hansi Voigt
Die SBB erliegen dem heissesten Abstimmungskampf seit Jahren – wie jeden Winter dem ersten Schnee
201
Die SBB erliegen dem heissesten Abstimmungskampf seit Jahren – wie jeden Winter dem ersten Schnee
von Rafaela Roth
Der «Appenzeller Volksfreund» schreibt etwas vom Besten über die DSI und sorgt damit für einen Dorf-Knatsch
78
Der «Appenzeller Volksfreund» schreibt etwas vom Besten über die DSI und sorgt damit für einen Dorf-Knatsch
von Felix Burch
DSI-«Arena»: Ein alter Berner Secondo sagt, wie's ist – und Guts und Amstutz' Abend ist gelaufen
222
DSI-«Arena»: Ein alter Berner Secondo sagt, wie's ist – und Guts und Amstutz' Abend ist gelaufen
von Maurice Thiriet
Tippspiel zur Abstimmung: 47,5 Prozent legen ein Ja zur DSI ein
7
Tippspiel zur Abstimmung: 47,5 Prozent legen ein Ja zur DSI ein
von Olaf Kunz
Das Hakenkreuz ist weg – dafür hat die SBB jetzt einen Shitstorm am Hals
110
Das Hakenkreuz ist weg – dafür hat die SBB jetzt einen Shitstorm am Hals
NEIN, NO, NON – die DSI-Gegner kaufen eine ganze Seite in der «Weltwoche» 
55
NEIN, NO, NON – die DSI-Gegner kaufen eine ganze Seite in der «Weltwoche» 
von Felix Burch
Weil wir stimmen, wie wir liken: Siegt die Durchsetzungs-Initiative, dann auch wegen des Namens 
46
Weil wir stimmen, wie wir liken: Siegt die Durchsetzungs-Initiative, dann auch wegen des Namens 
von Kian Ramezani
«Gäste sollen sich ans Gesetz halten» – 19 aktive oder ehemalige SVPler, die es nicht taten
228
«Gäste sollen sich ans Gesetz halten» – 19 aktive oder ehemalige SVPler, die es nicht taten
von Maurice Thiriet
Die Eindrittel-Rösti: Der «Club» zur Durchsetzungsinitiative in Zahlen
51
Die Eindrittel-Rösti: Der «Club» zur Durchsetzungsinitiative in Zahlen
von Simone Meier
Von der Härtefall-
zur Täterschutzklausel: Wie die SVP die Sprache instrumentalisiert
203
Von der Härtefall- zur Täterschutzklausel: Wie die SVP die Sprache instrumentalisiert
von Peter Blunschi
SVP-Nationalrat Heinz Brand: «Die Durchsetzungs-Initiative ist möglicherweise nicht perfekt, aber ...»
72
SVP-Nationalrat Heinz Brand: «Die Durchsetzungs-Initiative ist möglicherweise nicht perfekt, aber ...»
von Kian Ramezani
Durchsetzungs-«Arena»: SVPler amüsieren sich über hässige Sommaruga 
243
Durchsetzungs-«Arena»: SVPler amüsieren sich über hässige Sommaruga 
Alles auf einen Blick: So verschärft sollen wir nach dem 28. Februar ausschaffen
129
Alles auf einen Blick: So verschärft sollen wir nach dem 28. Februar ausschaffen
von leo helfenberger
Staatsanwälte schalten sich in die Durchsetzungs-Debatte ein: «Die Initiative ist nicht praktikabel»​
128
Staatsanwälte schalten sich in die Durchsetzungs-Debatte ein: «Die Initiative ist nicht praktikabel»​
von Felix Burch

Hol dir jetzt die beste News-App der Schweiz!

  • watson: 4,5 von 5 Sternchen im App-Store ☺
  • Tages-Anzeiger: 3,5 von 5 Sternchen
  • Blick: 3 von 5 Sternchen
  • 20 Minuten: 3 von 5 Sternchen

Du willst nur das Beste? Voilà:

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
Du hast uns was zu sagen?
Hast du einen relevanten Input oder hast du einen Fehler entdeckt? Du kannst uns dein Anliegen gerne via Formular übermitteln.
87 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Wolfsblut
20.02.2016 13:33registriert Januar 2016
🌻🌻🌻🌻🌻 Dieser Blumenstrauss ist für Euch bei Watson und für Eure brillante Aufklärungsarbeit.
00
Melden
Zum Kommentar
avatar
Robert K.
20.02.2016 13:51registriert Februar 2015
WENN SIE DIR SAGEN, DU SOLLST DIE GRUNDRECHTE VON MENSCHEN AUFHEBEN

DANN GIBTS NUR EINS - STIMM NEIN.
00
Melden
Zum Kommentar
avatar
Amadeus
20.02.2016 13:16registriert September 2015
Oh the irony:

Das Volk macht mobil gegen die selbsternannte Volkspartei. Und Herr Amstutz beklagt sich dann, dass die Nein-Kampagne "absurde Ausmasse" angenommen habe.
00
Melden
Zum Kommentar
87
Wolfsrudel schrecken die Schweiz auf – weil sie plötzlich Rinder reissen
Im Waadtländer Jura zeigen Wölfe neue Beutepräferenzen. Diesen Sommer kam es zur Eskalation. Fachleute warnen: Auch andere Regionen der Schweiz müssen sich vorbereiten.
«So kann es nicht mehr weitergehen. Der Wolf richtete diesen Sommer ein Massaker an. Er ist zum König des Kantons geworden»: So martialisch ist die Sprache von Guy Berseth, so heftig brodelt es im Waadtländer, wenn er über den Wolf spricht. Er präsidiert die Viehzüchtergenossenschaft von Saint-George VD, gelegen im Naturpark Jura. Sie zählt 110 Tiere, die diesen Sommer auf der Alp auf insgesamt 120 Hektaren Weide sömmern.
Zur Story