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Fall Böhmermann: Merkel lässt Strafverfahren zu und plant Abschaffung von Paragraf 103

Fall Böhmermann: Merkel lässt Strafverfahren zu und plant Abschaffung von Paragraf 103

15.04.2016, 13:0815.04.2016, 14:03
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Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel während der Pressekonferenz zur Causa Böhmermann am Freitag Nachmittag.
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel während der Pressekonferenz zur Causa Böhmermann am Freitag Nachmittag.Bild: FABRIZIO BENSCH/REUTERS
Ein Artikel von
Spiegel Online

Die Entscheidung ist gefallen: Die Bundesregierung gibt dem Wunsch der Türkei statt, ein gesondertes Strafverfahren gegen den Satiriker Jan Böhmermann wegen Beleidigung des türkischen Staatschefs Recep Tayyip Erdogan anzuordnen. Das teilte Kanzlerin Angela Merkel am Mittag in einer Erklärung mit.

Grundlage für die Entscheidung ist Paragraf 103 des Strafgesetzbuchs (StGB). Wer einen ausländischen Staatschef beleidigt, muss demnach mit bis zu drei Jahren Haft oder einer Geldstrafe rechnen. Ist Verleumdung im Spiel, drohen sogar bis zu fünf Jahre Freiheitsentzug. 

Merkel teilte jedoch auch mit, dass dieser Paragraf bis 2018 abgeschafft wird.

§ 103 Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten

(1) Wer ein ausländisches Staatsoberhaupt oder wer mit Beziehung auf ihre Stellung ein Mitglied einer ausländischen Regierung, das sich in amtlicher Eigenschaft im Inland aufhält, oder einen im Bundesgebiet beglaubigten Leiter einer ausländischen diplomatischen Vertretung beleidigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe, im Falle der verleumderischen Beleidigung mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
(2) Ist die Tat öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) begangen, so ist § 200 anzuwenden. Den Antrag auf Bekanntgabe der Verurteilung kann auch der Staatsanwalt stellen.

Merkel: «Ermächtigung keine Vorverurteilung»

«Im Rechtsstaat ist es nicht Sache der Regierung, sondern von Staatsanwaltschaften und Gerichten, das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen und andere Belange gegen die Presse- und Kunstfreiheit abzuwägen», sagte Merkel. In Deutschland solle nicht die Regierung, sondern die Justiz «das letzte Wort» haben. Die Ermächtigung stelle keine Vorverurteilung des Böhmermann dar.

Forderte eine Strafuntersuchung gegen Satiriker Jan Böhmermann: Recep Tayyip Erdogan. 
Forderte eine Strafuntersuchung gegen Satiriker Jan Böhmermann: Recep Tayyip Erdogan. Bild: AP/Pool Anadolu Agency

Grundlage für die Entscheidung ist Paragraf 103 des Strafgesetzbuchs (StGB). Wer einen ausländischen Staatschef beleidigt, muss demnach mit bis zu drei Jahren Haft oder einer Geldstrafe rechnen. Ist Verleumdung im Spiel, drohen sogar bis zu fünf Jahre Freiheitsentzug. Merkel teilte jedoch auch mit, dass dieser Paragraf bis 2018 abgeschafft wird. Er sei «für die Zukunft entbehrlich».

«Ich halte die Entscheidung für falsch.»
Thomas Oppermann, SPD-Fraktionschef

Uneinigkeit in der Koalition

Merkel bestätigte, dass es vor der Entscheidung in der Koalition Uneinigkeit gegeben habe. Das hatte zuvor auch bereits der SPIEGEL berichtet: Insbesondere das Kanzleramt und das Auswärtige Amt hätten sich in den vergangenen Tagen nicht auf eine gemeinsame Linie zu dem Begehren der türkischen Regierung einigen können. Es habe «unterschiedliche Auffassungen zwischen Union und SPD» zu dem Verlangen der türkischen Regierung gegeben, sagte Merkel.

Unmittelbar nach Merkels Erklärung kritisierte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann die Entscheidung. «Ich halte die Entscheidung für falsch», teilte er über den Kurzmitteilungsdienst Twitter mit. «Strafverfolgung von Satire wegen ‹Majestätsbeleidigung› passt nicht in moderne Demokratie.»

Merkel pochte in ihrer Erklärung auf das Grundrecht der Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit und forderte dies auch von der Türkei ein. «Im Rechtsstaat ist die Justiz unabhängig. ... In ihm gilt die Unschuldsvermutung.»

als/dpa/Reuters

[phi, 10.5.] Satire, Politik & Pressefreiheit

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88 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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adrianrbf
15.04.2016 13:40registriert April 2016
So, wenigstens ist der dümmliche "Merkel kuscht"-Titel korrigiert. Sie hat genau das getan, was man in einem demokratischen Rechtsstaat erwarten darf: der Justiz grünes Licht gegeben, ihre Arbeit zu tun. Böhmermanns Satire soll nach juristischen, nicht nach politischen Gesichtspunkten beurteilt werden. Und wenn er (was ich inzwischen für wahrscheinlich halte) freigesprochen wird, dann ist das um Längen besser, als wenn die Bundeskanzlerin ein Strafverfahren verhindert hätte.
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anonymer analphabet
15.04.2016 13:38registriert April 2016
Ich denke Merkels Plan könnte aufgehen --> Strafverfahren ja --> keine Verurteilung von Böhmermann ( Grundrecht der Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit) --> Abschaffung von Paragraf 103...
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DailyGuy
15.04.2016 14:00registriert Dezember 2015
Hasst mich, blitzt mich zu, aber der "Flüchtlinge-Deal" mit der Türkei hat die Box der Pandora geöffnet. Schon bei der Überweisung des ersten Betrages hat sich Europa dem lieben Herr Erdogan unterstellt. Dass er die Pressefreiheit, Meinungsfreiheit und weitere wichtige Rechte mit Füssen tritt, ja gar total missachtet interessiert niemanden. Jeder "verurteilt" es, niemand kann aber wahrhaftig etwas machen, da man jetzt mit der Türkei einen Knebelvertrag hat. Erdogan sitzt am längeren Hebel. Ein aufsteigender Diktator vor unserer Haustüre und alle schauen zu.
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    «Die Amerikaner sind zum Spielball der Israelis geworden»
    Militärexperte Fabian Hoffmann sagt, was eine US-Intervention bedeuten würde – und welche hochrelevante Lehre der Schlagabtausch zwischen Israel und dem Iran für uns in Westeuropa hat.

    Was würde ein Kriegseintritt der USA gegen den Iran bedeuten?
    Fabian Hoffmann: Für Israel gibt es im Moment zwei Wege: Entweder sie bringen selber zu Ende, was sie begonnen haben, indem sie dem Iran die Mittel nehmen, nochmals ein ernsthaftes Nuklearprogramm zu starten. Allein durch militärische Mittel, oder auch allenfalls durch einen Deal, der früher oder später geschlossen wird. Wenn das aber nicht gelingt, dann ist der Anreiz im Iran enorm gross, sich eine Atombombe zu beschaffen, und diese auf ballistische Raketen zu packen.

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