Schweiz
Durchsetzungsinitiative

Warum die VOX-Analyse zur DSI nicht überzeugt

Das GFS setzt bei seinen Befragungen auf Methoden von Anno Domini.
Das GFS setzt bei seinen Befragungen auf Methoden von Anno Domini.Bild: KEYSTONE

Die Wählscheibe lässt grüssen: Warum die VOX-Analyse zur DSI nicht überzeugt

Die SRG hat ihre politischen Umfragen neu vergeben. In Zukunft werden neben dem Festnetztelefon auch Online und Mobilfunk genutzt. Eine überfällige Massnahme. Das zeigt auch die VOX-Analyse zur Durchsetzungsinitiative.
15.05.2016, 10:5816.05.2016, 07:11

Es ist etwas passiert am 28. Februar. Das Schweizer Stimmvolk verpasste der SVP mit dem Nein zur Durchsetzungsinitiative eine deftige Ohrfeige. Nicht allein die Niederlage beim Reizthema «Kriminelle Ausländer» überraschte. Sie kam zustande aufgrund einer Kampagne, wie sie die Schweiz noch nie gesehen hatte. Sie mobilisierte ungewöhnlich stark, die Stimmbeteiligung erreichte mit 63 Prozent den höchsten Stand seit der denkwürdigen EWR-Schlacht von 1992.

Das DSI-Nein war ein Sieg der Jungen und der Zivilgesellschaft. Sie hatten eine Initiative gebodigt, die aus ihrer Sicht unmenschlich war und einen Angriff auf den Rechtsstaat darstellte. So lauteten die Interpretationen im Nachgang zur Abstimmung. Oder war es doch anders?

Jubel bei den DSI-Gegnern am Abstimmungssonntag.
Jubel bei den DSI-Gegnern am Abstimmungssonntag.
Bild: KEYSTONE

Die kürzlich veröffentlichte VOX-Analyse des Instituts GFS Bern und der Universität Genf lässt diesen Schluss zu. Demnach war die Mobilisierung der jungen Stimmbürger ungewöhnlich stark, doch sie hätten «nicht mehr zur Ablehnung der Volksinitiative beigetragen als die übrigen Altersklassen». Mit anderen Worten: Es nahmen mehr Junge als üblich an der Abstimmung teil, aber eben nicht nur Gegner, sondern auch Befürworter der Durchsetzungsinitiative.

Graue Haare statt junge Wilde?

Den Ausschlag gaben demnach die Sympathisanten der CVP und vor allem der FDP. Sie hatten 2010 mehrheitlich für die Ausschaffungsinitiative gestimmt, die «Vorläuferin» der DSI, schlugen sich nun aber «klar auf die Seite der Nein-Stimmenden». Zwar hält die Analyse auch fest, dass die Beteiligung von Menschen mit hohem Bildungsstand aussergewöhnlich hoch war. Trotzdem vermittelt sie den Eindruck, dass letztlich alles ziemlich konventionell ablief.

Die Medien nahmen den Ball auf. «Doch kein ‹Aufstand der Zivilgesellschaft›», titelte SRF Online. Die «Tagesschau» vermittelte den Eindruck, das Nein zur DSI sei grauhaarigen Akademikern und Alt-Bundesräten zu verdanken und nicht etwa den «jungen Wilden» um die Operation Libero. Deren Aushängeschild Flavia Kleiner bekam in der «SonntagsZeitung» ihr Fett weg. Sie sei «zum unfreiwilligen Covergirl linksliberaler Journalisten in der Midlife-Crisis» geworden. Dabei wäre die SVP «auch ohne den Einsatz von Kleiners Truppe gescheitert».

Alles paletti, die Kirche steht wieder im Dorf und die politische Schweiz ist wieder in Ordnung. Ernsthaft in Frage gestellt wurde die VOX-Analyse nicht. Dabei gäbe es dafür gute Gründe.

Der wichtigste ist die Erhebungsmethode in Form von standardisierten Telefoninterviews unter 1509 stimmberechtigten Personen. Das GFS Bern und sein Leiter Claude Longchamp vertrauen auf die gute alte Festnetztelefonie, und das in einer Zeit, in der das Kommunikationsverhalten gerade junger Leute von Smartphone und Internet bestimmt wird. Neue Zahlen aus den USA zeigen, dass eine Mehrheit der Jugendlichen kaum noch weiss, wie ein Festnetztelefon aussieht.

Longchamps Flops

Longchamp ist deswegen wiederholt in die Kritik geraten, erstmals bei der Minarettinitiative 2008. In der letzten SRG-Trendumfrage hatte er 53 Prozent Nein ermittelt, am Ende wurde sie mit 57,5 Prozent Ja angenommen. Online-Umfragen hatten eine deutlich bessere Trefferquote. Auch die VOX-Analyse zur Masseneinwanderungsinitiative vom Februar 2014 erwies sich als in einem Punkt zweifelhaft: Angeblich hatten nur 17 Prozent der Stimmberechtigten unter 30 Jahre teilgenommen.

Die Medien waren erschrocken. Der «Tages-Anzeiger» widmete der angeblich stimmfaulen und unpolitischen Jugend eine Doppelseite. Dann zeigten Daten aus mehreren Städten: Die 17 Prozent konnten nicht stimmen, die Beteiligung der Jungen war deutlich höher. «Etwas muss bei der Befragung schief gelaufen sein», hielten zwei Zürcher Politologen in der «NZZ am Sonntag» fest.

Umso erstaunlicher wirkt es, dass die VOX-Analyse zur DSI ein weiteres Mal kritiklos wiedergekäut wird. Der Verdacht drängt sich auf, dass das Stimmverhalten der Jugendlichen erneut nur ungenügend abgebildet wurde. Zwar scheint es durchaus plausibel, dass die intensive Nein-Kampagne in den sozialen Medien auch junge Befürworter der Initiative mobilisiert hat. Es ist hinlänglich bekannt, dass die Jungen konservativer und ausländerkritischer sind als früher.

Junge Leute kommunizieren fast nur noch via Smartphone. 
Junge Leute kommunizieren fast nur noch via Smartphone.
Bild: KEYSTONE

Es wäre eine Erklärung dafür, warum der Ja-Anteil mit rund 1,3 Millionen Stimmen praktisch gleich hoch war wie bei der Ausschaffungsinitiative 2010, trotz der «Überläufer» aus CVP und FDP. Die Zahl der Nein-Stimmen aber nahm massiv zu, von 1,25 auf fast zwei Millionen. Auf diesen Aspekt geht die VOX-Auswertung praktisch nicht ein. Genügt der Zuwachs bei den Bürgerlichen und den Jungen dafür als Erklärung? Wohl kaum, es muss einen zusätzlichen Mobilisierungsfaktor gegeben haben.

Neuartige Qualität der Mobilisierung

Zu diesem Schluss kommt auch Peter Moser, Leiter Analysen und Studien im Statistischen Amt des Kantons Zürich. Seine Auswertung der DSI-Abstimmung enthält interessante Erkenntnisse. So war entgegen der allgemeinen Annahme die Mobilisierung in der Stadt Zürich «trotz der starken Ablehnung unterdurchschnittlich». Der wesentliche Grund für das klare Nein sei die nicht nur quantitativ aussergewöhnliche Teilnahme der Gegnerschaft gewesen. Bemerkenswert sei «die eigentümliche, vielleicht auch neuartige Qualität der Mobilisierung», schreibt Moser.

Es ist eben doch etwas passiert am 28. Februar. Was genau, bleibt unklar. Der Verdacht drängt sich auf, dass halt doch eine überdurchschnittlich grosse Zahl junger, gut ausgebildeter Menschen zur Teilnahme motiviert wurde. Abklären liesse sich dies mit einer umfassenden Studie, deren Methoden nicht aus der Zeit des Wählscheiben-Telefons stammen.

Aufträge neu vergeben

Die Bundeskanzlei hat das Problem erkannt. Im letzten Herbst vergab sie die Analysen der eidgenössischen Abstimmungen neu an die Stiftung für die Forschung in den Sozialwissenschaften (Fors). Claude Longchamp musste den prestigereichen Auftrag nach 28 Jahren abgeben, der Wechsel dürfte in der zweiten Hälfte 2016 stattfinden.

Auch die SRG hat ihre Umfragen neu vergeben. Jene vor Wahlen werden neu vom Politgeografen Michael Hermann und seiner Forschungsstelle Sotomo durchgeführt, und zwar in Form von Onlinebefragungen. Die Trendumfragen vor Abstimmungen verbleiben beim GFS Bern. Das Institut setzt weiter auf Telefonbefragungen, neu aber nicht nur via Festnetz, sondern auch mobil.

Willkommen im 21. Jahrhundert.

Internationale Presseschau DSI

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Die Durchsetzungsinitiative mobilisierte nicht nur das Schweizer Volk. Die Abstimmung interessierte auch im Ausland. Die BBC schreibt von Stimmbürgern, die sich weigerten, Ausländer für kleine Vergehen auszuschaffen.
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17 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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MissTreri
15.05.2016 12:35registriert Juni 2015
Dafür mag ich euch, Watson! Keine Wiederkäuerei, sondern kritisches Hinterfragen von Tatsachen und Methoden!
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Herbert Anneler
15.05.2016 13:05registriert August 2015
Sozialforscher wissen schon lange um die Problematik von Telefon-Befragungen. Was aber Sotomo tut, ist der Versuch, den Teufel mit Beelzebub auszutreiben. Das wird jeder ernstzunehmende Politologe bestätigen. Online-Befragungen zu gewichten, ist eine Blackbox: Es lassen sich keine Irrtumswahrscheinlichkeiten berechnen, und die statistischen Unschärfen werden nach dem System Handgelenk Mal Pi ermittelt. Kurz: sie sind theoretisch nicht abgesichert. In der Branche würde man von "quick and dirty" sprechen. Das ist nicht a priori schlecht , dort, wo es aber um Meinungsbildung geht, ist dies fatal.
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