Ein Windpark im Berner Jura. Um die weltweite Klimaerwärmung unter 2 Grad zu halten, muss die Verbrennung fossiler Brennstoffe bis spätestens 2040 weltweit komplett eingestellt werden. Bild: KEYSTONE
Seit dem Beginn der systematischen Temperaturmessungen vor 136 Jahren war weltweit kein Monat wärmer als der Juli 2016. Die neun Monate zuvor stellten ebenfalls Hitzerekorde auf und 2016, das ist jetzt schon sicher, wird als wärmstes je gemessenes Jahr in die Geschichtsbücher eingehen.
Die Rekordhalter zuvor? Die Jahre 2015 und 2014. Auch 2013 war ausserordentlich warm. Der Klimawandel ist real.
Doch was sind seine Auswirkungen? Worauf müssen wir uns in der Schweiz gefasst machen? Auf wenig Positives und viel Negatives. Denn die alte Mär, dass die Schweiz von der Klimaerwärmung profitieren werde, ist längst widerlegt.
Die Schneefallgrenze verschiebt sich pro Grad Temperaturerhöhung um etwa 150 Meter in höhere Regionen. Zwar sieht das Pariser Abkommen vor, die Klimaerwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter auf unter zwei Grad einzudämmen, in der Schweiz ist die Temperatur aber bereits um 1,5 Grad gestiegen. Es gilt zu bedenken, dass die Pariser Klimaziele nur erreicht werden, wenn bis 2040 weltweit die Verbrennung fossiler Brennstoffe eingestellt wird.
24. Dezember 2015 in Leysin. Die milden Temperaturen haben den Schnee schmelzen lassen. Bild: EPA/KEYSTONE
Ende dieses Jahrhunderts werden 60–80 Prozent der Schweizer Gletscherflächen verschwunden und die Eisriesen nur noch in den hochgelegenen Gebieten der Berner und Walliser Alpen zu finden sein, schreibt das Bundesamt für Umwelt. Das Engadin und das Tessin sind bis Ende Jahrhundert vollständig eisfrei.
Ein Blick auf den Rhonegletscher. Mit einer speziellen Abdeckung soll dem Abschmelzen entgegengewirkt werden. Bild: EPA/KEYSTONE
Die höhere Durchschnittstemperatur sorgt dafür, dass die Winter in der Schweiz niederschlagsreicher, allerdings nicht zwingend schneereicher werden. Der Anteil des Festniederschlags (Schnee) geht zurück. Deshalb wird die Gefahr von Hochwasser nicht wie bisher im Frühling, sondern im Herbst und Winter am grössten sein. Ob die Gefahr von Hochwasser generell zunimmt, kann aufgrund der kleinen Fallzahl nicht prognostiziert werden.
Hochwassergefahr im Juni 2016 am Rhein. Ein Phänomen, das sich in Zukunft mehrheitlich im Herbst und Winter abspielen wird. Bild: KEYSTONE
Die Punkte 1 bis 3 haben Einfluss auf den Winter-Tourismus. Rund die Hälfte aller Skigebiete wird keinen Schnee mehr halten können. Bis zur Mitte des Jahrhunderts kann dies noch mit Schneekanonen kompensiert werden, die Saison wird allerdings deutlich kürzer ausfallen. Einige wenige Gemeinden wie Laax oder Saas Fee dürften aufgrund ihrer Höhenlage allerdings sogar profitieren. Sie werden die Übernachtungen der weniger schneesicheren Gemeinden abschöpfen.
Airolo, 1175 Meter über Meer, am 4. Januar 2015. Ein Bild, an das wir uns gewöhnen sollten. Bild: KEYSTONE/TI-PRESS
In den freigelegten Mulden der Gletscher werden sich in den nächsten Jahrzehnten bis zu 600 neue Seen mit einer Gesamtfläche von ca. 60 Quadratkilometern bilden – mehr als der Thunersee. Das tönt zwar romantisch, die Wassermassen bedeuten aufgrund ihrer Lage allerdings eine Gefahr für die Zivilisation: Fällt Geröll in diese Seen oder kommt es zu Erdrutschen, drohen Sturzfluten. Konkret bedroht ist zum Beispiel das Dorf Naters unterhalb des grossen Aletschgletschers.
Ein neu entstandener See beim Rhonegletscher. Bild: EPA/KEYSTONE
Im Rekordsommer 2003 gab es in der Schweiz Regionen mit 42 Hitzetagen (über 30 Grad). Damals starben in der Schweiz rund 1000 Menschen an den Folgen der Hitze und die Sterblichkeit stieg um 7 Prozent. Im Jahre 2085 wird dies die Normalität. Für das Tessin und den Genfersee werden 50 oder mehr Tropennächte (Temperatur fällt nicht unter 20 Grad) pro Jahr prognostiziert. Besonders für ältere Menschen können Hitzetage gefährlich sein. Eine Gruppe Klimaseniorinnen droht deshalb nun, die Schweiz zu verklagen.
Wird es am Letten in Zürich in Zukunft noch enger? Bild: KEYSTONE
5 Prozent der Schweizer Fläche besteht aus Permafrostböden. Bei mehr als der Hälfte dieser Fläche bewegt sich die Temperatur zwischen 0 und -3 Grad. Nur schon ein kleiner Temperaturanstieg reicht aus, um zu einem Auftauen und damit zu einer Destabilisierung zu führen. Die Gefahr von Erdrutschen und Felsstürzen nimmt damit zu.
Am 13. August fuhr die Rhätische Bahn zwischen Tiefencastel und Solis auf einen Erdrutsch auf und entgleiste. Bild: KANTONSPOLIZEI GRAUBUENDEN
Die Klimaerwärmung äussert sich nicht nur zu Land, auch die durchschnittliche Wassertemperatur wird zum Leidwesen unserer Kaltwasserfische zunehmen. Diese verenden bei Temperaturen ab 25 Grad, welche gerade in seichten Gewässern erreicht werden können.
Ein Zivilschutzteam fischt im Sommer 2015 wegen anhaltender Hitze Fische aus dem Homburger Bach in Thürnen. Bild: KEYSTONE
Eine höhere Durchschnittstemperatur des Wassers befeuert die Verunreinigung durch Parasiten. Ausserdem wird von einer zukünftig rückläufigen Abflussmenge und einer schlechteren Durchmischung unserer Seen im Sommer ausgegangen, was sich auf die Wasserqualität auswirkt. Frohlocken dürfen aber die Winzer und Liebhaber hiesiger Weine: Höhere Temperaturen ermöglichen einen breiteren Rebsortenanbau.
Die Lavaux-Region an der Nordküste des Genfersees. Produziert die Schweiz bald noch besseren Wein? Bild: KEYSTONE
In einem wärmeren Klima können sich diverse Schädlinge wie der Maiszünsler, der Maiswurzelbohrer, die Blattlaus, der Kartoffelkäfer, der Borkenkäfer und der Apfelwickler besser vermehren, was eine Bedrohung für unsere Fauna darstellt.
Die Rinde eines vom Borkenkäfer befallenen Baumes. Bild: Aargauer Zeitung
Steigende Temperaturen bei hoher Luftfeuchtigkeit führen zu einer Abnahme der Milchleistung und Veränderungen der Milchqualität, schreiben die Forscher Jürg Fuhrer und Pierluigi Calanca von der Forschungsanstalt Agroscope in der Zeitschrift Agrarforschung Schweiz. Dem könnte mit einer Weidehaltung in höheren Gebieten entgegengewirkt werden.
Kühe leiden unter Hitzestress und produzieren deshalb weniger Milch. Einen Ausweg bietet die Alp. Bild: KEYSTONE
Was im Winter an Heizenergie eingespart werden kann, wird im Sommer durch Kühlung und den Konsum anderer Güter wieder verbraucht. In der Wissenschaft wird dies Rebound-Effekt genannt. Pessimisten gehen davon aus, dass der Energieverbrauch in Zukunft sogar noch steigen wird.
Ein Projekt, das Mut macht: Das erste energieautarke Mehrfamilienhaus der Welt steht in Brütten in der Nähe von Winterthur. Das Haus kommt ohne externen Anschluss für Strom, Öl und Erdgas aus. Die gesamte Energie wird von der Sonne bezogen und dank unterschiedlicher Speicherformen über das gesamte Jahr beziehbar gemacht. Bild: KEYSTONE
Höhere Temperaturen sorgen für weniger Nebel und damit für mehr Sonneneinstrahlung. Gleichzeitig geht man davon aus, dass der Schweiz weniger Wasser zur Energienutzung zur Verfügung stehen wird. Es wird mit rund sechs Prozent weniger Strom durch Wasserkraft bis 2085 gerechnet.
Solarzellen im Nebel: Ein Bild, das in der Zukunft weniger vorkommen wird. Bild: KEYSTONE
Bereits heute wurden im Tessin vereinzelte Exemplare der Asiatischen Tigermücke gesichtet. Dies wird mit höchster Wahrscheinlichkeit zunehmen. Die Asiatische Tigermücke kann Viren übertragen, die wiederum das Dengue- oder das Chikungunya-Fieber auslösen.
Die Asiatische Tigermücke: Sie kann nicht nur das Chikungunya-Virus übertragen, sondern auch das West-Nil-Virus oder das Dengue- oder Gelbfieber. Bild: Keystone
Aller Unkenrufe zum Trotz. Als James Hansen, der Direktor des Umweltinstituts der renommierten Columbia University gefragt wurde, wo man am sichersten sei vor den Auswirkungen des Klimawandels, antwortete er: «Nun, die Schweiz wäre wohl ein guter Tipp.» Er begründet seine Aussage damit, dass die Schweiz ein Binnenland sei und im Gegensatz zu vielen anderen Ländern die Klimaerwärmung ernst nehme. Hinzu kommt, dass die Schweiz trotz Veränderungen des Wasserhaushalts das Wasserschloss von Europa bleibt und die meisten Studien darauf schliessen lassen, dass die Schweiz nicht von grossen Wellen von Umweltflüchtlingen überrollt werden wird.
Nichtsdestotrotz wird man sich auch hierzulande auf Veränderungen einstellen müssen, denn wie das Bundesamt für Umwelt (BAFU) auf seiner Homepage schreibt, wird erwartet, dass die Schweiz «voraussichtlich überdurchschnittlich stark» von der Klimaerwärmung betroffen sein wird.