Der letzte Serienteil, «Pokémon Legenden: Arceus», machte vor, wie sich die legendäre Reihe weiterentwickeln kann. Die vielen Neuerungen daraus greift «Pokémon Karmesin und Purpur» nur zum Teil auf. Es schreibt besonders die Freiheiten der Open World aber noch etwas grösser und baut zudem die kooperativen Optionen aus. Reicht das für einen Hit? Wir haben das Spiel ausführlich vor Ort bei der Pokémon Company in London für dich angespielt.
Während die meisten der bislang veröffentlichten Serienteile ziemlich linear verliefen, setzt «Pokémon Karmesin und Purpur» verstärkt auf Open World und spielerischen Freiraum. Die erstmals in der Reihe vertretene Region Paldea besteht komplett aus einem Stück, von wunderschönen Stränden bis hin zu schneebedeckten Wipfeln. Die erkundest du wahlweise zu Fuss oder auf dem Rücken des Flagship-Pokémon deiner Edition, Koraidon in «Pokémon Karmesin» oder Miraidon. Mit ihnen kannst du querfeldein reisen, hohe Felswände erklimmen, auf Wasser schwimmen und sogar fliegen. So erreichst du jeden auch noch so kleinen Winkel und jedes Geheimnis der Welt. Das lohnt sich, hat aber auch seine Schattenseiten. Denn obgleich «Pokémon Karmesin und Purpur» insgesamt hübscher als die deutlich kleineren 3D-Areale etwa von «Schild und Schwert» ist – ganz flüssig und ohne deutlich sichtbar mitunter wenige Meter vor uns aufpoppende Details läuft unsere noch nicht finale Pre-Launch-Fassung nicht gerade.
Mehr Freiheiten hast du aber nicht nur bei der Erkundung, sondern auch darin, welchem Storypfad du folgst. Besiegst du erst alle Arena-Champions, um zum grössten Poké-Trainer der Region aufzusteigen? Das geht, wobei du es dir im Rahmen neuer Challenges erst verdienen musst, ihnen entgegenzutreten. Der von uns besiegte Champ, der eher Tutorial-Charakter hat, ist diesbezüglich aber hoffentlich nicht repräsentativ, und die stupide Suche nach kreischenden Sonnenblumen im Umfeld der Arena ist spielerisch nicht sonderlich prickelnd.
Genauso gut kannst du dich aber auch zunächst auf das Team Star konzentrieren. Beim Betreten ihrer Gebiete kommt zunächst ein neues Feature zum Tragen, das auch in der Open World genutzt werden kann: Ihr hetzt per Knopfdruck eure Pokémon auf andere Artgenossen. Danach folgt ein Bossfight, in unserem Fall gegen die Team-Star-Trainerin Irsa. Erst gegen deren mächtigstes Taschenmonster und dann gegen ihr Star-Mobil, also ein Fahrzeug, hinter dem vielleicht auch mehr steckt. Der dritte Kampagnen-Pfad besteht aus Schlachten gegen besonders mächtige Herrscher-Pokémon.
Was «Pokémon Karmesin und Purpur» primär aus Vorgänger «Arceus» übernimmt, ist, dass sämtliche Kämpfe direkt in der Spielwelt stattfinden, also, von bestimmten Storyschlachten abgesehen, nicht in separaten Arenen wie sonst. Bereits aus früheren Spielen übernommen und ausgeweitet wurden die Koop-Optionen. Nun könnt ihr bis zu drei Freunde in eure Partie einladen oder mit derselben Anzahl an Mitstreitern in den neuen Tera-Raids antreten. Letztere funktionieren allerdings kaum anders als die Raids früherer Serienteile. Ihr müsst im Kern bloss nicht mehr die Aktion der Mitspieler im Kampf gegen die mächtigen Pokémon in den Raids abwarten. Tatsächlich führt dieses neue Koop-Prinzip aber dazu, dass der Koop-Modus dort noch weniger Sinn ergibt.
Anders sieht das schon beim normalen Koop aus, bei dem ihr euch auch direkt in der Welt mit bis zu vier Teilnehmern versammeln könnt. Was etwa das Tauschen von Pokémon betrifft, ist das ganz nett. Ansonsten lauft ihr dabei aber eigentlich nur unabhängig voneinander durch die Welt. Greift ihr ein wildes Pokémon an oder selbiges euch, kämpft ihr trotzdem allein. Das höchste der Gefühle ist da schon ein gemeinsames Picknick, bei dem ihr euren Begleitern mit zuvor gesammelten Zutaten ein Sandwich zusammenstellt. Viel mehr als das geht nicht, weshalb der Koop wenig verlockt und vor allem auch «Pokémon Karmesin und Purpur» im Grundsatz ein Solo-Abenteuer bleibt.
«Pokémon Karmesin und Purpur» entwickelt die Reihe sinnvoll fort und schreibt insbesondere den Open-World-Ansatz grösser. Damit steigt aber nicht nur die spielerische Freiheit, auch die technischen Grenzen der Switch werden noch etwas deutlicher. Das ist genauso wenig zu leugnen wie das Hit-Potenzial des Abenteuers in der neuen Paldea-Region, dessen Qualitäten auch trotz seiner potenziellen Schwächen nicht nur bei den grössten Fans greifen sollten.
«Pokémon Karmesin und Purpur» erscheint am 18. November 2022 exklusiv für Nintendo Switch.