Schon vor 2020 lagen E-Sport-Veranstaltungen voll im Trend. Doch dann kam Corona und bescherte der Branche einen Boom, mit dem viele in dieser Form nicht gerechnet hatten. Mittlerweile ist Corona vorüber und dieser Boom hält weiter an – auch im Hinblick auf Vor-Ort-Veranstaltungen, die wieder Event-Locations in aller Welt füllen.
Wer sich beispielsweise für den legendären Online-Shooter «Counter Strike: Global Offensive» interessiert, konnte erst Ende Mai beim Finale des Blast.TV Paris Major in der Accor Arena mitfiebern. Beat-'em-up-Enthusiasten wiederum – 35'000, um genau zu sein – verschlug es zur EVO Japan 2023 Anfang April auf das Tokioter Messegelände, während Fans des Echtzeit-Strategie-Hits «StarCraft 2» ihre Stars in diesem Jahr unter anderem schon im Rahmen der Intel Extreme Masters Anfang Februar im polnischen Katowice anfeuern durften.
Aber auch Racing-Interessierte hatten kürzlich Grund zur Freude, denn mit dem GT World Series Showdown in Amsterdam öffnete eines der grössten E-Sport-Rennspiel-Events erstmals seine Pforten für jeden, der vorab ein Ticket erworben hatte. Zur Erinnerung: Zwar gibt es die GT World Series schon seit mehreren Jahren, in der Vergangenheit füllten jedoch stets nur geladene Gäste, Pressevertreter und gerade nicht Rennen fahrende Teilnehmer die Zuschauerränge.
Einige Tage bevor mehrere Hundert Gäste am 11. und 12. August 2023 ihren E-Sport-Helden im geräumigen und mit einer gigantischen Curved-Projektionsleinwand ausgestatteten Theater Amsterdam zujubelten, überraschte Entwickler Polyphony Digital die «Gran Turismo 7»-Community jedoch zunächst mit einem grösseren Content-Patch, der eng mit dem Event verzahnt wurde.
So hatten Spieler nach dem Update auf Version 1.36 unter anderem die Möglichkeit, sich die Livestreams des Turniers direkt im Spiel anzusehen – Belohnungen inklusive. Wer den Manufacturers Cup in voller Länge verfolgte, erhielt beispielsweise ein leistungsstarkes Motoren-Upgrade. Das Ansehen des Nations Cup wurde indes mit einem verrückten Fahrpark-Neuzugang honoriert.
Gemeint ist der Toyota Ambulance Himedic '21 – ein 158 PS starker Krankenwagen mit Heckantrieb, der sich in eine lange Liste ungewöhnlicher Fahrzeuge einreiht. In «Gran Turismo 4» etwa überraschte der japanische Rennspiel-Entwickler mit dem allerersten Automobil überhaupt – Daimlers Motorkutsche von 1886 –, während in «Gran Turismo 6» der Mondbuggy in spielbarer Form zur Auswahl steht.
Weitere interessante Ergänzungen des Updates umfassen drei rassige Sportwagen (Chevrolet Corvette C1 '58, Maserati MC20 '20, Toyota GR Corolla MORIZO Edition '22), neue Herausforderungen für den Café-Modus und eine Fahrzeuglackierung, die dem GT-R NISMO GT3 '18 den gleichen Anstrich verpasst wie dem korrespondierenden Fahrzeug im Kinofilm.
Stichwort Kinofilm: Jann Mardenborough, dessen Werdegang vom «Gran Turismo»-Profi zum Vollzeit-Rennfahrer im Film mit viel kreativer Freiheit nacherzählt wird, war ebenfalls vor Ort und stand Journalisten Rede und Antwort. Dabei gab Mardenborough gegenüber watson.ch preis, dass ihn vor allem das Filmen der Le-Mans-Stunts-Szene an seine Grenzen brachte. «Während der Aufnahmen vermischte sich Wasser aus Wasserkanonen mit weisser Farbe frisch aufgetragener Streckenmarkierungen und raubte mir nahezu vollständig die Sicht. Hinzu kam, dass wir bei Nacht filmten und die Frontscheinwerfer der Fahrzeuge abgeklebt werden mussten, um Blendeffekte in den Kameras zu verhindern. Das war wirklich der härteste Teil der Dreharbeiten – machte aber auch verdammt viel Laune.»
Im Rahmen des Events spielte der Film jedoch nur eine Nebenrolle, denn alle Augen waren auf die Leistungen der GT7-Rennfahrer-Elite gerichtet, die in zwei Wettbewerben gegeneinander antrat. Los ging's mit dem Manufacturers Cup am 11. August. Hier duellierten sich zwölf Teams bestehend aus je drei Fahrern repräsentativ für führende Automobilhersteller. Gefahren wurde auf Suzuka mit BMW, Subaru und Porsche auf den Top-3-Rängen der Startaufstellung.
Diese Abfolge hatte allerdings nur eine sehr kurze Halbwertszeit, denn bereits in der ersten von 35 langen Runden zog Subaru famos an BMW vorbei und verteidigte die Pole Position dann über viele Runden hinweg. Auch als es in der Mitte des Rennens stark zu regnen begann und zahlreiche Piloten massive Probleme hatten, ihre Boliden auf der Ideallinie zu halten.
Doch dann, lediglich zwei Runden vor Schluss, schrumpfte der Vorsprung von Roberto Sternberg im Subaru immer weiter zusammen und dem Spanier Jose Serrano im Porsche gelang ein spektakuläres Überholmanöver. Minuten später war das Rennen auch schon gelaufen und Serrano und Teamkamerad Takuma Sasaki nahmen voller Stolz den prestigeträchtigen Pokal entgegen.
Highlight des Showdown blieb gleichwohl der Nations Cup am Folgetag. Wichtige Änderung im Vergleich zu den Vorjahren: Statt zwölf einzelne Fahrer aus unterschiedlichen Ländern gegeneinander antreten zu lassen, entschieden sich die Veranstalter auch hier für ein Team-Format, bei dem sich drei Fahrer jedes qualifizierten Landes im Rennverlauf abwechselten. Rückblickend eine gute Entscheidung, die im Verlauf der insgesamt 30 Runden für reichlich Spannung sorgte.
Als Strecke diente diesmal der knapp 5,8 Kilometer lange Rundkurs Autodrome Lago Maggiore. Frankreich startete zunächst auf der Pole, wurde dann aber schon nach 30 Sekunden von Pol Urra überholt – eine Führung, die die Spanier bis zum Schluss souverän halten konnten. Silber holte Team Japan und Bronze Brasilien.
Was bleibt, sind viele positive Eindrücke von einer E-Sport-Rennveranstaltung, die zwar noch längst keine Stadien füllt, wohl aber Fans des Genres tolle Nervenkitzel bescherte und auch in diesem Jahr wieder mit hervorragend kommentierten, in gleich mehreren Sprachen lokalisierten Livestreams punktete. Weiter geht's dann vom 1. bis zum 3. Dezember, wenn in der katalanischen Hauptstadt Barcelona die World Finals ausgetragen werden – dann hoffentlich endlich wieder mit Fahrern aus der Schweiz, Österreich und Deutschland.