Vor einem Jahr haben vier Gastarbeiter auf dem Weg von Portugal zurück in die Schweiz auf der berüchtigten «Strasse des Todes» ihr Leben verloren, im Jahr davor waren es bei einem Unfall gar zwölf. Heute fährt bei Jacky jeweils die Angst mit, wenn der Fernfahrer mit seinem Lastwagen auf Strecke in die Schweiz unterwegs ist.
Die Route Centre-Europe Atlantique (RCEA) vom Burgund mitten durch Frankreich zur Atlantikküste hat einen schlechten Ruf. Sie kostete schon vielen Auswanderern, die in der Schweiz arbeiteten, auf dem Weg in ihre Heimat oder den Arbeitsort das Leben.
«Ja, ich habe Angst, vor allem nachts», sagt Jacky. Der Fernfahrer nahe dem Pensionsalter benutzt die RCEA seit Jahren, wie er im Gespräch mit der Nachrichtenagentur sda im Restaurant Euroscar verrät, einem emsigen Rastort nahe dem Burgunder Städtchen Paray-le-Monial.
Der Imbiss verkauft täglich zwischen 100 und 200 Mahlzeiten und verfügt über einen grossen Parkplatz. Die Lastwagenfahrer halten dort, um sich zu stärken. Jacky hat die Stadt Nantes verlassen und ist auf der Durchfahrt nach Bern.
Die RCEA, auch Suisse-Océan genannt, wird täglich von Tausenden von Lastwagen genutzt, die quer durch Frankreich unterwegs sind. Die Achse verbindet die Autobahn A6, die in Richtung Süden verläuft, mit der A10, die in Richtung Bordeaux nach Spanien und Portugal führt.
Sie hat einen Vorteil: «Sie hat keine Mautstellen», erklärt Ivan, ein spanischer Fahrer, der alleine an einem Tisch im Restaurant isst. «Deshalb will mein Chef, dass wir diese Route nehmen», sagt er, bevor er mit seinem Sattelschlepper weiter nach Strassburg aufbricht.
Aber die RCEA hat auch einen grossen Nachteil. Sie wird nicht grundlos als «Strasse des Todes» bezeichnet. «Der Abschnitt zwischen Montluçon und Chalon-sur-Saône ist äusserst gefährlich», wirft Ivan ein. Der kleinste Fehler oder eine Unaufmerksamkeit können tödlich enden. Gegen 120 Personen starben zwischen 2008 und 2016 auf diesem Abschnitt, auf dem täglich rund 15'000 Fahrzeuge verkehren. Die Hälfte davon macht der Schwerverkehr aus.
Nur wenige Kilometer vom Strassenrestaurant entfernt kam am 8. Januar 2017 ein Bus von der Strasse ab. Er war in Richtung Romont im Kanton Freiburg unterwegs und hatte portugiesische Immigranten an Bord, die nach den Neujahrsfeiern aus ihrer Heimat zurückkehrten. Vier waren auf der Stelle tot, mehrere weitere wurden schwer verletzt.
Das Fahrzeug war auf einer Eisfläche weggerutscht. Zahlreiche Auswanderer von der iberischen Halbinsel durchqueren Frankreich auf dieser Route. Es ist die schnellste, um von der Schweiz nach Hause zurückzukehren.
Der Unfall ereignete sich weniger als ein Jahr nach einer weiteren Tragödie. Am 24. März 2016 hatten zwölf Portugiesen, die in der Schweiz lebten, ihr Leben verloren, nachdem ihr Kleinbus nachts bei l'Allier von der Fahrbahn abgekommen war. Sie wollten in ihrer Heimat die Osterferien verbringen.
#Allier Terrible accident sur la RCEA : 12 morts dans un choc frontal https://t.co/LgMPyZMnq6 pic.twitter.com/75Z1B5DTy9
— La Montagne (@lamontagne_fr) 25. März 2016
Einige Emigranten drücken bei ihrer Fahrt auf der RCEA riskant aufs Gaspedal. «Ich bin 1850 Kilometer in weniger als 17 Stunden gefahren», sagt etwa Francisco stolz zu seinen Freunden im spanischen Zentrum von Delémont JU. Das ergibt – ohne Pausen – ein Durchschnittstempo von fast 110 Kilometern pro Stunde trotz der Beschränkung auf Tempo 90.
«Ich sehe keinen Sinn darin, die Strecke in Rekordgeschwindigkeit zurückzulegen», erklärt dagegen Feuerwehrchef Romain Compte aus Paray-le-Monial. «Wenn wir die Dramen sehen, die dadurch entstehen können, ist das eine Schande.» Compte musste auch zum Busunglück mit den Portugiesen aus der Schweiz ausrücken.
Fernfahrer Jacky fügt hinzu, dass er deswegen auch schon Angst gehabt habe. «Einmal musste ich eine Vollbremsung einlegen, um eine Kollision mit einem entgegenkommenden Lastwagen zu verhindern, der gerade ein anderes Fahrzeug überholte.»
Zahlreiche Abschnitte auf der RCEA sind nur zweispurig. Selbst wenn eine grosse weisse Linie den Autofahrern verbietet, zu überholen, verlieren manche die Geduld hinter den Fahrzeugen, die die Tempolimite respektieren. Die Eintönigkeit der Strecke verstärkt die Müdigkeit der Chauffeure, die hunderte Kilometer zurücklegen müssen.
Die Behörden haben Schritte unternommen, um die Route in den kommenden Jahren auf vier Spuren auszubauen. Die Erweiterung hat bereits begonnen. Doch Jacky wird sich bis dahin als Pensionär aus dem Fahrergeschäft zurückgezogen haben. Er will dann auch die RCEA nicht mehr benutzen. «Ich wähle andere Strassen, wenn ich wieder einmal zum Imbiss Euroscar zurückkehre, um dort zu essen.» (sda)