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Gestatten, heisse Oliver und arbeite in einem 60%-Pensum bei watson. Den Rest meines Erwerbs bestreite ich als Musiker. Seit mehr als 15 Jahren bin ich Kontrabassist und Songwriter bei The Hillbilly Moon Explosion. Das hört sich ungefähr wie folgt an:
Wir haben bisher fünf Alben veröffentlicht, ein Paar Best-Offs und einige Singles. Wir haben 70’000 Fans auf Facebook und jenes Video von «My Love for Evermore» mit dem walisischen Gastsänger Sparky hat 7 Millionen Views auf YouTube. Soviel zur Statistik.
Und diese langjährige Aufbauarbeit macht möglich, dass wir – die Bandmitglieder Emanuela, Duncan und Sylvain, Tourmanager Chris, sowie die Tontechniker Patrick und Sebastian – seit geraumer Zeit quer durch Europa unterwegs sind; etwas (so versichern mir immer wieder Musikerkollegen und Medienleuten), dass sich etliche Schweizer Bands wünschen. Mal in Paris spielen, das wär geil. Mal in Berlin spielen. Mal in London spielen.
Genau dies machen wir. Die heurige Tournee umfasst um die 60 Konzerte, der weitaus grösste Anteil davon im Ausland. Ja, Paris, London und Berlin sind dabei.
Wie muss man sich das vorstellen? Nun, da wir weiterhin eine kleine Indie-Band sind, geht das anders ab, als wenn ein etablierter CH-Act «den Sprung ins Ausland» (um mal Mediensprache zu bemühen) unternimmt. Geht ein Schweizer Hitparaden-Star nach Deutschland, wird mit viel Bohei die hiesige Presse informiert und Journis nach Berlin geflogen, wo der Sänger in einem Club vor einem handverlesenen Branchenpublikum von 50 Leuten ein Showcase gibt. Am Tag danach lautet die Schlagzeile: «Schweizer Star startet in Deutschland durch» oder so ähnlich.
Nicht so bei Schweizer Bands, die seit Jahr und Tag das Ausland bereisen. Spielt Eluveitie (um eine der erfolgreichsten zu nennen) oder die Peacocks oder, eben, die Hillbilly Moon Explosion in einer europäischen Hauptstadt, dann ist das als Hauptakt in einem rammelvollen Club vor einem zahlenden Publikum, das die Songs kennt und mitsingt. Es geht ordentlich ab. Rock'n'roll und so, halt. Und, ja, das schreibe ich hier nicht ohne Stolz.
Heisst das nun, wir machen etwas richtig, das etliche Schweizer Hitparaden-Acts nicht schaffen? Öhm ... nein. Denn Schweizer Hitparaden-Acts verkaufen gehörig viele Alben, wir einiges weniger.
The Hillbilly Moon Explosion funktioniert anders. Sie hat eine globale Fanbasis, bekommt Fanpost aus den USA, Indonesien oder Brasilien. Ukrainerinnen, Israelis oder Mexikaner stechen sich Tattoos unserer Songs.
Das ist eine wunderschöne Sache. Es ist anrührend. Wir lieben unsere Fans. Aber es bedeutet, dass wir ungemein viel unternehmen müssen, um die Musik live unter die Leute zu bringen.
Konkret bedeutet das: Stundenlang im Bandbus sitzen. Und wenig – und ich meine wirklich wenig – Schlaf bekommen. Wir sind vorgestern von einem Konzert in London zurückgekehrt. Das ist einiges entfernter als das KIFF in Aarau. Demnächst geht es nach Spanien. Uff.
Von daher sollte sich der erfolgreiche Schweizer Rockmusiker am heimischen Markt freuen. «Auf Tour sein» bedeutet für eine Mundart-Band etwa, knapp eine Stunde lang von Bern nach Zürich zu tuckern. Eine «Schweizer Tournee» umfasst dann um die acht Konzerte, dazu kommen noch eine Handvoll coole Sommerfestivals. Auch sind die Gagen immer noch höher als in Resteuropa. Viele unserer Auslandskonzerte können wir nur dank Querfinanzierung oder durch Tour-Sponsoring leisten. Erfolg im Ausland? Be careful what you wish for. Eine geschützte Werkstatt hat durchaus Vorteile.
Nun soll dieser Report mitnichten ein selbstmitleidiges Rumnörgeln sein (sondern wenn schon schamlose inzestuöse Eigenwerbung). Das Touren im Ausland hat durchaus angenehme Aspekte, wenn die Jahre der Aufbauarbeit geleistet sind. Der harsche Stundenplan und die langen Fahrtkilometer bleiben, ja, doch einiges ist annehmlicher geworden. Man reist nicht mehr im Kleinbus, sondern mietet einen 9-Plätzer-Tourbus. Die Hotels sind meistens in Ordnung, das Catering ist dank dem Rider unserer französischen Booking-Agentur in der Regel sehr gut und auch die paar wenigen Sonderwünsche wie eine Flasche Schampus für unsere Sängerin klappen fast immer. Schön sind auch die Konzerte, zu denen man eingeflogen wird – letzthin waren wir in Helsinki, Thessaloniki, Athen, Tunis gar.
Und doch darf man nichts für selbstverständlich nehmen: Das Hadern mit der Booking-Agentur, die einem viel zu lange Fahrstrecken aufbrummen will, gehört zum Alltag. Und immer wieder gibt es Veranstalter, die bei allen Ecken und Enden – etwa bei der Umkleidegarderobe, beim Hotel, beim Notausgang oder der PA-Anlage – sparen und damit spekulieren, dass wir trotzdem brav auftreten werden. Man will sein Publikum nicht im Stich lassen.
Doch haben wir bis jetzt das Wichtigste überhaupt noch nicht erwähnt: Die Musik. «Wieso machst du das?», ist eine Frage, die man interessanterweise ausschliesslich in Schweizer Interviews gestellt bekommt. Technisch gesehen ist sie durchaus gerechtfertigt angesichts des hohen Arbeitsaufwands und des niedrigen Lohns. Es gibt darauf zwei Antworten, die beide aufs Gleiche hinauslaufen: Es geht nichts weniger als um die Seelenruhe.
1. Du hast eben gar keine Wahl: Du bist nun mal Musiker, also machst du gopfertammi nochmal Musik, denn ansonsten wärst du ein wesentlich unglücklicherer Mensch.
2. Nochmals: It's the music, stupid! Kein Beruf auf der ganzen Welt kann einen vergleichbaren «Job Satisfaction» aufweisen, wie der des auftretenden Musikers. Nicht ohne Grund werden Rockmusiker selbst von den erfolgreichsten Filmstars der Welt beneidet: Nichts ist unmittelbarer, als die Interaktion mit einem Konzertpublikum. Macht man was gut, kommt die Reaktion sofort und direkt, und von den Menschen, die einem direkt gegenüber stehen. Emotionen, Energie, Vibes ... ach, ich stehe dem Esoterik-Kram eigentlich eher ablehnend gegenüber, aber diese Stichworte treffen nun mal zu.
Und dann kommt noch ein gewisser Berufsstolz als Road Dog dazu: Nach sieben Stunden Busfahrt die Backline aufstellen und losrocken zu müssen, macht einem irgendwie zum härteren Siech als der Lokalmatador vom Proberaum nebenan. Bei schlechter Bühnenakustik spielen zu müssen und dabei trotzdem 100% zu geben, macht einen zu einem besseren, routinierteren Musiker.
Und für all das ist man sehr, sehr dankbar. Wenn ich auf meinen Bass reinhaue und ins Mikro reinbrülle, schiesst es mir stets durch den Kopf, wie unglaublich privilegiert ich bin, dies machen zu dürfen. Da kommen Leute, die Eintritt bezahlen, um uns performen zu sehen! Das ist alles andere als selbstverständlich. Demut ist angesagt. Und Dankbarkeit.
In den Worten von Joey Ramone: Touring is never boring. Ich möchte es niemals missen.