2016 war das Punk-Jubiläums-Jahr. Vor 40 Jahren, am 26. November 1976 hatten die Sex Pistols ihre Debut-Single «Anarchy in the UK» veröffentlicht.
Aufdrehen!
Ohne die heute kaum vorstellbare Schockwirkung verniedlichen zu wollen, welche von dieser Scheibe ausging, muss man dennoch konstatieren: Als die britische Presse sich über den Skandal der Majestätsbeleidigung ausliess, zeigten sich die vier Jungs aus dem New Yorker Stadtteil Queens eher mässig beeindruckt. Sie hatten bereits im Februar 1976 ihre erste Single veröffentlicht. Und im April danach ihr erstes Album.
Ladies and Gentlemen, The Ramones waren die Ersten und die Taffsten.
Zum Jahreswechsel 2016/2017 also 7 Gründe, warum The Ramones die beste Band der Welt waren:
«I Don’t Wanna Go Down to the Basement» ist der längste Track des Debut-Albums «Ramones». Er ist 2 Minuten 35 Sekunden lang. «Havanna Affair» ist genau 2 Minuten lang, während «Judy Is a Punk» auf 1:20 kommt. Und das ist gut so.
Damals, in einer Zeit, als sich Art-Rock- und Progressive-Rock-Bands pompöse Konzept-Doppelalben auf Vinyl pressten und ihre Ernsthaftigkeit mit 10-minütigen Gitarrensoli zu betonen bedachten, brachten die Ramones den Rock’n’Roll auf den Punkt.
Frag’ mal in deinem Musiker-Kollegenkreis umher – genauer: bei Gitarristen – und du wirst feststellen: Leadgitarristen mögen die Ramones nicht. «Zu primitiv», lautet oftmals ihre Begründung. Der wahre Grund: Die Ramones bewiesen, dass es keine Gitarrensoli braucht. Dein Herumgefidel an deiner Phallusverlängerung wird die Mädchen nicht zum Tanzen bringen, werter Gitarrero! Aber den vier hässlichen Siechern mit ihren angeblich primitiven Songs mangelte es nie an weiblichen Fans.
Allzu oft wurde die Musik der Ramones als «dumm» abgetan: Ein paar Punks, die schlicht nicht besser spielen können und deshalb 2-Minuten-Tracks raushauen, die einander alle ähneln.
Und dann gab es die alternative Sichtweise. Die, nämlich, dass hier Konzeptkünstler am Werk sind, die bewusst einen musikalischen Ultraminimalismus betreiben. Kreativitätsverweigerung als Protest, gewissermassen.
Ach was!
Der Anspruch der Band war nie intellektuell. Aber auch nie dumm. Letztendlich wollten sie Rock’n’Roll spielen. Und das machten sie wie keine anderen.
Am Anfang ihrer Karriere hatten die Ramones stets dasselbe Problem mit Konzertveranstaltern: Ihr Set war bereits nach 30 Minuten fertig, gebucht waren sie aber für ein 45-Minuten-Set worden. «Wir haben unseren Vertrag erfüllt und unser 45-Minuten-Set gespielt», so Schlagzeuger Tommy Ramone, «einfach schneller – in 30 Minuten». Wie geil ist das denn?
Obwohl das optische Konzept der Band darauf aus war, das Uniformelle zu betonen, waren die einzelnen Mitglieder so verschieden wie nur möglich.
Gitarrist Johnny Ramone, etwa, war ein richtiges Rechtsaussen-Arsch. Ich glaube, das darf man so sagen. Sänger Joey Ramone schrieb den Song «The KKK Took My Baby Away» über ihn, als seine damalige Freundin Linda ihn für Johnny verliess. Die Ku-Klux-Klan-Referenz deshalb, weil Johnny ein ziemlich mieser Rassist war, der Joey wegen seiner jüdischen Herkunft stets verspottete.
Aber, man darf davon ausgehen, dass Johnny die Anspielung in besagtem Song ohnehin gar nie checkte. Auch erkannte er, der stramme Republikaner, den Anti-Reagan-Song «Bonzo Goes to Bitburg» erst als solchen, als dieser begann, die Charts hochzuklettern. Too late, Johnny! Ätsch!
Die Tatsache, dass Johnny und Joey wegen solchen Spannungen über Jahrzehnte nie miteinander sprachen, trotzdem aber fleissig tourten und Alben aufnahmen, ist eine der vielen Geschichtsstränge der dysfunktionalen Ramones-Familie, die eine herrliche Soap-Opera hergeben.
Derweil hatte Bassist Dee Dee Ramone, nebst Joey der andere kreative Kopf der Band, zeitlebens mit Drogenproblemen zu kämpfen und trieb Leute wie Manager Monte Melnick zur Verzweiflung, wenn er einmal mehr in einer wildfremden Stadt stundenlang verschwand, um dann knapp fünf Minuten vor Showbeginn endlich wieder aufzukreuzen. Mit der Zeit hielt Dee Dee die Spannungen innerhalb der Band (vor allem zu Johnny) nicht mehr aus und trat zurück, belieferte sie aber weiterhin fleissig mit Songs.
Die Ramones erreichten mit keinem ihrer Alben Gold-Status. Eine der demoralisierendsten Musikbiz-Statistiken besagt, dass «The Young and Hopeless», das Debut-Album von Good Charlotte, sich 4,9 Millionen Mal verkaufte – und damit zehn Mal mehr als alle Ramones-Alben zusammen.
Das muss man sich mal vor Augen führen: Eine grauenhafte Pop-Parodie einer Punkband, vier südkalifornische Poser aus gutsituierten Familien, die alles – aber wirklich alles – an ihrem Stil den Ramones verdanken, verkaufen mit einem Album das Zehnfache des gesamten Katalogs der ihrer Urväter.
Aber vielleicht obsiegt am Ende doch die Gerechtigkeit – zumindest moralisch. Good Charlotte kennt heute kaum wer, während die Ramones zum globalen kulturellen Unterbewusstsein gehören.
Nachteilig daran ist, dass das Klientel von Zürcher Hipster-Clubs oftmals der Meinung ist, Ramones sei eine T-Shirt-Marke (ähnlich wie Motörhead oder Misfits), ...
... aber dafür sind die Ramones, 40 Jahre nach Veröffentlichung ihrer ersten Platten, 20 Jahre nach dem letzten ihrer 2’263 Konzerte 1996 und zwei Jahre nach dem Tod des letzten Gründungsmitglieds Tommy 2014 (Joey verstarb 2001, Dee Dee 2002, Johnny 2004), so präsent wie noch nie. Und alle, aber wirklich auch alle, Punkbands, die nach 1977 gegründet wurden, schulden den Ramones eigentlich ... alles.
And if Lemmy pays his respect, so should you:
Hey ho, let’s go.