Aufatmen, der Schnee ist da: Seit gefühlt einer Ewigkeit hat es nicht geschneit, der Dezember war zwar kalt, aber durchgehend sonnig. Niederschlag gab es kaum. Bis jetzt: Am Montagabend und in der Nacht hat eine Störung die Schweiz überquert, sie brachte praktisch in der gesamten Deutschschweiz Schnee. Bis morgen Donnerstag soll es zudem in den zentralen und östlichen Alpen 10 bis lokal 30 Zentimeter Neuschnee geben.
Damit ist eine rekordverdächtige Trockenphase beendet. Laut Messungen des Instituts für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) geht als Rekordmonat in die Geschichte ein – noch nie lag vor und während der Weihnachtszeit so wenig Schnee in der Schweiz wie 2016. Ein Aufatmen also für diejenigen Skigebiete, die, vergleichbar mit den letzten Wintern, einen holprigen Start hinter sich bringen mussten.
Das sind allerdings längst nicht alle. Eine Umfrage des «Tages-Anzeigers» bei den Skigebieten zeigt, dass der Kater nach den schneearmen Wochen zwar da ist, aber nicht bei allen und weniger heftig als vermutet: 14 Prozent der Skigebiete sehen gar keinen Einfluss auf das Wintergeschäft. 56 Prozent rechnen mit Einbussen und «nur» 30 Prozent befürchten einschneidende Umsatzrückgänge. Das zeigt: Der entscheidende Faktor für das Befinden der Skitouristiker ist längst nicht nur die natürliche Schneemenge.
Fast alle grossen Skigebiete der Schweiz liegen hoch. Verbier (Quatre Valées), Flims/Laax/Falera und St.Moritz beispielsweise reichen bis über 3000 Meter über Meer, Zermatt sogar bis fast 4000 Meter. Diese Gebiete können es sich leisten, ihre Pisten grosszügig zu beschneien. Ausserdem sind die Bedingungen gut, weil es genug kalt ist. Mindestens minus 3 Grad sind ideal, um Pisten zu beschneien.
«In hoch gelegenen Gebieten waren die Bedingungen sehr gut. Die Pisten waren allerdings alle künstlich beschneit», sagt Andreas Keller, Mediensprecher von Seilbahnen Schweiz. Auch tiefer liegende Skigebiete warfen in den letzten Wochen Kunstschnee auf die aperen Stellen. Schweizweit gibt es rund 22'000 Hektaren Pisten, davon sind etwa 10'800 Hektaren technisch beschneit. Tendenz zunehmend.
Auch kleine Skigebiete sind wenig abhängig vom Niederschlag, weil sie kostengünstig betrieben werden. «Ein einzelner Skilift beispielsweise kann von einem Verein unterhalten werden und öffnet vielleicht zwei Jahre gar nicht, dann aber wieder für 20 Tage», sagt Keller. Das reiche, um den Betrieb aufrecht zu erhalten. Zudem können kleine Skigebiete Alternativen bieten. So hat das Stockhorn im Simmental beispielsweise vor sechs Jahren den Winterbetrieb wegen Schneemangels eingestellt. Dafür gibt's jetzt Schneeschuh-Tracks und Eisloch-Fischen. «Und schwarz gefrorene Seen sind in diesem Winter eine Top-Attraktion», sagt Keller.
Kleine Skigebiete sind dafür stark abhängig vom Wetter. Das war in den letzten Wochen überdurchschnittlich gut. «Uns hat die Sonne gerettet», sagt Thomas Exposito, Geschäftsführer von Amden Tourismus und Tourismus-Experte. Die Gastronomie habe stark von den überdurchschnittlich vielen Sonnentagen profitiert, auch Skischulen würden eher frequentiert werden. Der Hauptvorteil kleiner Skigebiete sei die Flexibilität: «Schneit es zu wenig, stellen wir einfach auf Sommerbetrieb», sagt Exposito. Dieser ist kostengünstiger als der Winterbetrieb und bedarf in kleinen Skigebieten keinen grossen Umstellungen.
Unter dem Schneemangel leiden also in erster Linie die mittelgrossen, mittelhoch gelegenen Skigebiete. Diese seien mit hohen Ansprüchen konfrontiert, sagt Seilbahnen-Mediensprecher Keller, eine gewisse Schneesicherheit werde, anders als bei sehr kleinen Skigebieten, von den Gästen erwartet. Den Skigebieten in mittleren Lagen, oft in Agglomerationsnähe komme zudem eine wichtige Funktion zu: Sie seien diejenigen Skigebiete, die Nachwuchs anlocken müssten.
«Diese Skigebiete haben mit grösseren Herausforderungen zu kämpfen», sagt Keller. Exposito bestätigt: «Kleine Skigebiete können flexibel von Sommer- zu Winterbetrieb umstellen. Grösseren Skigebieten fehlt einerseits diese Flexibilität, andererseits aber auch die Voraussetzungen, sei das wettertechnisch oder finanziell, künstlich beschneien zu können.» Exposito nennt Elm und Braunwald als Beispiele, Keller fügt Sörenberg, Flumserberg, Hochybrig und Meiringen-Hasliberg an.
Im Hochybrig beispielsweise konnten die ersten Schneekanonen erst am Montag angeworfen werden. «Die Saison lief nicht gut an», sagt Geschäftsführer Wendelin Keller. «Normalerweise haben wir um diese Zeit Naturschnee». Ohne Kunstschnee ginge es nicht, aber bis jetzt wäre es zu teuer und zu aufwändig gewesen, alles zu beschneien.
Pizol-Bahnen-CEO Klaus Nussbaumer bezeichnet den Beginn der Saison als «nicht befriedigend». Weil der Pizol ein Tagesgast-Gebiet sei, fehle ihm die Basisauslastung, die Wetterabhängigkeit sei grösser. «Im Gegenzug leiden wir nicht so unter der Frankenstärke.» Auch Nussbaumer sieht alternative Angebote als immer wichtiger für den Wintertourismus. «Die ganze Branche ist Spannungen ausgesetzt», sagt der Pizol-Bahnen-CEO.
Gelassener klingt es bei Flumserberg-Geschäftsführer Heinrich Michel. «Wir haben gute Tage hinter uns, aber ohne Beschneiung ginge es nicht. Die 30 Prozent Piste, die wir beschneien, sind unsere Hauptpisten.» Zudem geniesse der Flumserberg zwei Vorteile: Erstens liegen die Pisten auf sanften Weiden statt Stein oder Geröll – es ist also weniger Schnee nötig. Zweitens verfügt das Gebiet über drei Kühltürme, die das Wasser für die Beschneiung um ein paar Grad senken – so kann bereits bei kritischen Temperaturen von -1 bis -2 Grad Kunstschnee produziert werden. «Wir konnten 20 Kilometer Piste anbieten», sagt Michel. «Aber damit sind wir wohl eine Ausnahme unter den Voralpen-Gebieten.»
Nicht nur der Fall Flumserberg, bestätigt die Annahme, dass die Möglichkeiten zur technischen Beschneiung ausschlaggebend für das Überleben der Bergbahnen sind. Christoph Marty, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim SLF sagt, man unterscheide zwischen natürlicher und künstlicher Schneesicherheit. «Natürlich heisst: Während 100 Tagen zwischen 15. Dezember und 15. April liegen mindestens 30 Zentimeter Schnee. Und das in sieben von zehn Wintern. Das gilt als schneesicheres Gebiet.» Immer wichtiger aber werde Kunstschnee, sagt Marty. Und das sei dann vielfach eine rein finanzielle Frage.