Diesmal wagte es keiner, jene Frage zu stellen, die jeden umtrieb, der mitverfolgte, wie Roger Federers Traum von der Titelverteidigung bei den Australian Open am Griechen Stefanos Tsitsipas (ATP 15) zerschellte. Die Frage, ob er zum letzten Mal den Weg durch den Gang genommen hat, der ihn, vorbei an sechs Ebenbildern für die sechs Siege, die er hier seit 2004 feiern konnte, in das gleissende Licht der Rod Laver Arena führt. 7:6, 6:7, 5:7, 6:7 unterlag er dem 20-Jährigen, über den Federer Anfang Jahr gesagt hatte, dass er ja eigentlich auch sein Sohn sein könnte.
Es war nicht so, dass Federer eine schlechte Partie gezeigt hätte: Im zweiten Satz vergab er vier Satzbälle, alle zwölf Breakchancen liess er ungenutzt und musste selber seinen Aufschlag nur einmal abgeben. Nur fünf Punkte akkumulierte er in diesem 3:16 Stunden langen Spiel. Und doch verlässt er die Australian Open nach 17 Siegen in Folge erstmals seit 2016 als Verlierer. Und mit Melbourne jene Stadt, die am Ursprung seiner Auferstehung steht, die er als Märchen bezeichnet hatte.
Gestern Sonntag endete das Märchen. Dort, wo es vor zwei Jahren begonnen hatte. Und Federer erhielt einen kleinen Vorgeschmack auf das, was ihn in den nächsten Monaten erwarten dürfte. Paris, London, New York – wo er hinkommt, wartet schon die Frage, die auch ihn umtreibt: Wie lange noch? Und weil er sie selber nicht beantworten kann oder will, wird er jedes Mal so behandelt, als wäre es ein Abschied für immer. Denn mit 37 Jahren umweht jeden seiner Auftritte ein Hauch von Endgültigkeit, dem auch er sich nicht entziehen kann.
«Denn man weiss nie, ob man noch einmal zurückkehrt», hatte er in London gesagt. Ein bisschen so fühlte es sich nun auch in Melbourne an, als er 13 Minuten nach dem Ausscheiden in Worte zu packen versuchte, was ihm an diesem Abend widerfahren war.
Er sagte, mit der ersten Niederlage seit drei Jahren in Australien sei Normalität eingekehrt. Zwar blitzten immer wieder Kreativität und Spielwitz auf. Doch die Leichtigkeit und Unbeschwertheit der vergangenen beiden Jahre, die ihn von Erfolg zu Erfolg hatten eilen lassen, waren ihm schleichend abhandengekommen. Immer öfter scheiterte er am Balanceakt auf dem schmalen Grat zwischen Perfektionismus und Lockerheit.
Noch ist es zu früh, ein Requiem auf Roger Federer anzustimmen. Noch gehört er fast überall, wo er spielt, zu den Favoriten. Vielleicht entfacht die Rückkehr zur Normalität auch ein Feuer, das ihn im Sommer zum Wimbledon-Sieg führt. «Wenn du etwas im Leben am besten kannst, willst du das niemals aufgeben. Und für mich ist das Tennis», lautet sein Leitsatz.
Sein Feuer und die Leidenschaft sind noch immer unerreicht, das zeigte sich auch in der Niederlage. Die Lust am Spiel ist ungebrochen. Auch darum spielt Federer im Frühling nach drei Jahren erstmals wieder auf Sand und damit auf jenem Belag, auf dem er das Tennisspielen einst gelernt hatte. Die Entscheidung sei vor den Australian Open gefallen.
Mit seiner Rückkehr nach Paris erfüllt er die Sehnsüchte der Franzosen, ihn noch einmal in Roland Garros zu sehen. Doch nirgendwo dürfte er mehr mit der eigenen Vergänglichkeit konfrontiert werden wie an jenem Ort, an dem er 2000 sein erstes Grand-Slam-Turnier bestritten hat. Es offenbart sein Dilemma. Federer führt im Schaufenster der Weltöffentlichkeit einen Kampf, den er nicht gewinnen kann. Er möchte im Hier und Jetzt verharren, das Spiel geniessen, das ihn zu dem gemacht hat, der er ist. Seine Anhänger aber wollen ihn für die Ewigkeit, oder zumindest für ein Jahr, noch lieber zwei.
Als er auf ein Video angesprochen wird, das ihn am Tag vor seinem Ausscheiden in den Gängen der Rod Laver Arena zeigt, wie ihm ein Sicherheitsmann den Zutritt zum Spielerbereich verweigert, weil er den Zugangspass nicht auf sich getragen hatte, sagte er lakonisch, die Zeiten hätten sich geändert: «Es ist schwierig geworden, eine Ecke zu finden, wo du ein wenig entspannen kannst.» Oder eine Ecke, in der er sich Gedanken machen kann, wie das Märchen, das seine Karriere – ungeachtet ihres Ausgangs –, ist, enden soll. Dieser Wunsch, das steht jetzt schon fest, wird unerfüllt bleiben.