Fünf Jahre ohne gewonnene Playoff-Serie, aber mit verpassten Playoffs (2022): Das hat es beim SCB seit dem Wiederaufstieg von 1986 noch nie gegeben. Auch vier Spielzeiten ohne mindestens einen Vorstoss in den Halbfinal hat der SCB seinem Publikum noch nie zugemutet. Für die Titel von 2016, 2017 und 2019 hat der SCB, in seinem Selbstverständnis das Bayern München des Hockeys, inzwischen einen hohen Preis bezahlt.
Im Laufe der letzten Saison hat sich eine Besserung abgezeichnet. Mehrere Nationalspieler haben unter Trainer Jussi Tapola wieder Betriebstemperatur erreicht. Der neue Obersportchef Martin Plüss ist daran, den zuletzt verlorenen Respekt im Markt wieder aufzufrischen. Er hat mit dem Transfer von Marco Müller (kommt im Sommer 2025 aus Lugano heim nach Bern) und Neubesetzungen auf den Ausländerpositionen bereits ein Zeichen gesetzt und mit der vorzeitigen Verlängerung mit Jussi Tapola einen wegweisenden Entscheid getroffen.
Die sportlichen Einzelteile zu neuem sportlichem Ruhm sind vorhanden. Die Frage ist, ob es Jussi Tapola gelingt, daraus im zweiten Amtsjahr mindestens ein Halbfinal-Puzzle zusammenzustellen. Die «Radikalkur Tappola» läuft auf die Frage hinaus: Taktik oder Spektakel? Mehr Schablonenhockey finnischer Prägung (2017 und 2019 eine meisterliche Taktik) oder mehr Spektakel fürs Publikum? Im Idealfall gelingt der Mittelweg. Die Stadionauslastung betrug letzte Saison während der Qualifikation zwischen September und März – während der Zeit, in der das Geschäft gemacht wird – nur noch beunruhigende 90,95 Prozent gegenüber 95,65 Prozent in der letzten Meistersaison 2018/19.
Scheitert Jussi Tapola trotz Vertrag bis 2026, dann wird der SC Bern ein Lugano ohne Palmen und steht vor einer langen Phase der Stagnation mit einer viel zu teuren Mannschaft und der 60-Millionen Hockey- und Gastrokonzern wird Europas teuerstes, nicht mehr finanzierbares Hockey-Mittelmass. Der SCB steht vor einer wegweisenden Saison.
Aktuelle
Note
7
Ein Führungsspieler, der eine Partie entscheiden kann und sein Team auf und neben dem Eis besser macht.
6-7
Ein Spieler mit so viel Talent, dass er an einem guten Abend eine Partie entscheiden kann und ein Leader ist.
5-6
Ein guter NL-Spieler: Oft talentierte Schillerfalter, manchmal auch seriöse Arbeiter, die viel aus ihrem Talent machen.
4-5
Ein Spieler für den 3. oder 4. Block, ein altgedienter Haudegen oder ein Frischling.
3-4
Die Zukunft noch vor sich oder die Zukunft bereits hinter sich.
Die Bewertung ist der Hockey-Notenschlüssel aus Nordamerika, der von 1 (Minimum) bis 7 (Maximum) geht. Es gibt keine Noten unter 3, denn wer in der höchsten Liga spielt, ist doch zumindest knapp genügend.
Punkte
Goals/Assists
Spiele
Strafminuten
Er ist
Er kann
Erwarte
Benotung 1 bis 10.
Jussi Tapola war viermal finnischer Meister und hat 2023 die Champions League gewonnen. Der finnische Bandengeneral führte den SCB auf Rang 5. Die beste Klassierung seit der letzten Meistersaison (2018/19). Er sorgte zwar mit eigenwilligen Entscheidungen rund um Transfers und Torhüternominationen (nach einem Shutout im 6. Viertelfinalspiel kommt Philip Wüthrich im 7. Spiel nicht mehr zum Zuge) auch für einige Verwunderung.
Aber das ist auch typisch für seinen unbeirrbaren Führungsstil (My way or the highway), mit dem auch sein Landsmann Kari Jalonen gut zu zwei Meistertiteln gefahren ist. Inzwischen hat er mit Patrik Bärtschi und Martin Plüss eine neuen Unter- und Obersportchef bekommen, die ihre eigenen Vorstellungen haben – und die sind offensichtlich gleich wie die von Jussi Tapola und sie haben den Vertrag mit ihrem Trainer gleich mal vorzeitig bis 2026 verlängert.
Wird es nun um den SCB-Trainerposten windstill? Gibt es endlich einmal keine Polemik um den Trainerjob? Wer eine so frühzeitige Verlängerung vom neuen Ober- und Untersportchef bekommt, verdient erst einmal eine Maximalnote für Verhandlungsgeschick und Überzeugungskraft. Aber die Messe wird auf dem Eis und nicht bei Sitzungen und Gesprächen vor der Saison im Büro der Ober- und Untersportchefs gelesen. Wenn der SCB sich nicht in der oberen Tabellenhälfte halten kann, dann steht der Trainer zur Disposition. Kari Jalonen ist in Bern selbst mit den Meriten der Meistertitel von 2017 und 2019 und nach einer vorzeitigen Vertragsverlängerung im Herbst 2019 dann am 28. Januar 2020 gefeuert worden. Nicht wegen fehlender Kompetenz des Trainers, sondern wegen der besonderen Verhältnisse beim SCB ist eine Maximalnote für den Trainer nicht möglich.
Adam Reideborn hat die hohen Erwartungen – besser sein als Philip Wüthrich – nicht erfüllt und ist wahrscheinlich der schwächste ausländische Goalie der Liga. Auch deshalb, weil ihn Trainer Jussi Tapola letzte Saison zu stark forciert hat bzw. forcieren musste. Der Schwede hatte nie zuvor in seiner Karriere 40 Qualifikationsspiele bestritten und die vielen Doppelrunden (zwei Spiele in zwei Tagen) und verletzungsbedingte Ausfälle von Philip Wüthrich haben die Belastung noch verschärft.
Nun ist Philip Wüthrich rechtzeitig auf den Saisonbeginn fit geworden und er hat alles, um sich als Nummer 1 gegen Adam Reideborn durchzusetzen. Das SCB-Glück hängt zu einem nicht zu unterschätzenden Teil davon ab, ob Philip Wüthrich tatsächlich die Nummer 1 wird und Trainer Jussi Tapola dann, wenn es wirklich zählt, sechs ausländische Feldspieler einsetzen und auf Adam Reideborn verzichten kann. Sage mir, wie es um die Form von Philip Wüthrich steht, und ich sage dir, wie es dem SCB geht. Fällt Philip Wüthrich durch Blessuren längere Zeit aus, hat der SCB ein Goalieproblem.
144 Gegentreffer und defensiv nur die Nummer 7 der Liga: Zu wenig Stabilität für einen Trainer, der Wert auf eine solide Defensive legt und ein Team, das drei Ausländerlizenzen für Verteidiger und einen für einen Torhüter gelöst hat. Mit Anton Lindholm ist nun zweiter ausländischer Defensivverteidiger neben Patrik Nemeth verpflichtet worden.
Wenn die beiden Schweden plus Ramon Untersander gesund durch die Saison kommen, müsste eigentlich die Anzahl Gegentreffer auf unter 120 reduziert werden können. Aber das ist immer noch nicht meisterlich. 2018/19 kassierte der SCB in seiner letzten Meistersaison bloss 99 Treffer und war defensiv die Nummer 1 der Liga. Wäre die Abhängigkeit von den beiden Ausländern und von Roman Untersander nicht so gross, wäre eine maximale Bewertung möglich. So aber nicht.
Erstmals seit der letzten Meistersaison (2018/19) stimmen die Mischung und die Besetzung der offensiven Ausländerpositionen. Schnelle Spektakelmacher (Dominik Kahun, Marco Lehmann, Benjamin Baumgartner, Austin Czarnik, Thierry Bader), Titanen mit Wasserverdrängung und Zug zum Tor (Victor Ejdsell, Waltteri Merelä) und bissige Provokateure (Tristan Scherwey, Marc Marchon) ergeben einen exzellenten Mix.
Bei weitem genug Talent, um die kläglichen 145 Treffer der letzten Saison – der SCB war offensiv nur die Nummer 8 der Liga, sogar Ambri war besser – bei weitem zu übertreffen. 160 Tore müssen das Ziel sein. Nicht mehr das Talent steht zur Debatte. Sondern die Frage, ob Jussi Tapola bereit ist, seinem Personal die Freiheit für offensives Spektakel zu gewähren, ob Schablone wichtiger ist als Kreativität.
Der SC Bern der Moderne ist das Lebenswerk von Marc Lüthi. Aber die letzten Jahre des Ruhmes (drei Titel zwischen 2016 und 2019) haben zu einem übertriebenen Selbstvertrauen und, unter der Belastung der Pandemie, die das Unternehmen mit der starken Ausrichtung auf die Gastronomie hart getroffen hat, einer ganzen Serie von Fehleinschätzungen im sportlichen Bereich geführt: Vermeintlich billige, aber überforderte Trainer (Nachbaur, Lundskog, Söderholm) und eine schier endlose Parade von Operetten-Ausländern (Koivisto, MacDonald, Thomas, Jeffrey, Conacher, Brithén, Goloubef, Varone, Gélinas, Frk, Knight) stehen für ein unglückliches Sportmanagement unter Spardruck, das dem SCB die grösste sportliche Krise seit dem Wiederaufstieg von 1986 und einen nach wie vor nicht korrigierten Publikumsrückgang beschert hat.
Eine markante Verbesserung zeichnet sich mit dem neuen Obersportchef Martin Plüss und Untersportchef Patrik Bärtschi ab und die Investitionen ins sportliche Personal (in die Ausländer) sind endlich wieder hochgefahren worden. Der Versuch, das grösste Hockey-Unternehmen der Schweiz aus der Abhängigkeit von Marc Lüthi zu befreien, ist vorderhand gescheitert. Der grosse Zampano ist vom Thron des Präsidenten herabgestiegen, hat seinen Kronprinzen Raeto Raffainer gefeuert und managt wieder.
Der SCB neigt zu einer gewissen Bürokratie («Bund für Hockeywesen») und leistet sich als einziger Klub einen Ober- und Untersportchef. Der neue Obersportchef Martin Plüss bringt reichlich Kompetenz und Expertise mit (Erfahrung als meisterlicher SCB-Leitwolf auf dem Eis, Spieler-Agent, Masterstudium in Kommunikation, Prozessanalyse und Coaching). Es mangelt beim SCB weder an Führungs- noch an Fachkompetenz oder Büropersonal, aber eben auch nicht an Konfliktpotenzial in der Chefetage.
Das ist einer der Gründe, warum sich Mitbesitzer Mark Streit vollständig aus dem SCB zurückgezogen hat. Die Frage ist, ob es endlich wieder gelingt, die Emotionen aus den Büros und dem Umfeld wieder aufs Eis zu verlagern und ob der SCB mittelfristig die enormen infrastrukturellen Herausforderungen (neue Arena) stemmen kann. Zweifel sind berechtigt, Zuversicht und Vertrauen in die Führung aber auch. Immerhin zeigt die vorzeitige Verlängerung mit Jussi Tapola den Willen zur sportlichen Kontinuität und sorgt erst einmal für ein wenig Ruhe in der Trainerfrage – oder dann halt für Mehrkosten, wenn der Trainer doch gefeuert werden muss.
Idee, Konzept und Inhalt: Klaus Zaugg. | Redaktionelle Betreuung: Adrian Bürgler, Olivier Meier. | Technische Umsetzung: Nicole Christen, Carlo Natter, Philipp Reich, Jelle Schutter. | Spielerportraits: nationalleague.ch.
Was die Zuschauer wollen ist ein starker SCB wie ein starker ZSC, EVZ, HCD, HCL und andere, das ergibt nämlich eine ausgeglichene und sehenswerte Saison.