Es ist nicht einfach ein dramatisches, intensives, schnelles, hochstehendes Spiel. Es ist ein «Kampf der Kulturen.» Biel gewinnt 4:2.
Biel zelebriert unter Antti Törmänen (48) das Hockey von morgen. Die ZSC Lions unter Serge Aubin (43) das Hockey von gestern. Beides kann erfolgreich sein. Ja, in der Unerbittlichkeit der Playoffs ist Eishockey von gestern oft erfolgreicher. So sind die ZSC Lions unter dem konservativen Haudegen Hans Kossmann soeben Meister geworden.
Was heisst Eishockey von morgen? Stark vereinfacht gesagt: Scheibenbesitz-Hockey. Wenn die Bieler den Puck haben, dann beginnt das grosse Karussell mit allen Stürmern und Verteidigern zu drehen. Die Gegenspieler verlieren die Orientierung, Räume öffnen sich und durch diese freien Räume stürmen die Bieler. Die Angriffe kommen oft aus der Tiefe des Raumes. Eishockey wird mehr gespielt als gearbeitet. Biel ist das offensiv produktivste Team der Liga (80 Tore).
Es ist ein hochentwickeltes, spektakuläres und riskantes Hockey. Es funktioniert nur, wenn alle Lämpchen auf Grün stehen. So wie gegen die ZSC Lions.
Was heisst Eishockey von gestern? Stark vereinfacht gesagt: Hockey mit wenig Scheibenbesitz. Wenn die Zürcher den Puck haben, schiessen sie ihn oft in die gegnerische Zone und setzen wuchtig nach. Die Offensivaktionen haben ihren Ursprung meist in erkämpften Pucks vorne «an der Front». Eishockey wird mehr gearbeitet als gespielt. Die ZSC Lions haben erst 51 Tore erzielt. Nur Davos (49) und Rapperswil-Jona (39) noch weniger.
Und doch: Das Spiel stand lange auf des Messers Schneide. Damien Brunner, der Gambler, machte mit dem dritten Treffer alles klar. Am Vorabend hatte er bereits die Auseinandersetzung in Lugano mit drei Toren entschieden (4:3).
Damien Brunner ist nach Jonas Hiller die Nummer zwei in Biels Salärhierarchie. Während der Vorbereitung und den ersten sieben Spielen (2 Tore) war noch keineswegs sicher, ob wir in Biel noch einmal den besten Damien Brunner sehen würden. «Aber es ist nie die geringste Hektik aufgekommen», sagt Biels Topskorer. «Man hat mir Zeit gelassen.»
Wenn er über sein erstaunliches Comeback spricht, braucht er oft Worte wie «Gelassenheit» und «Ruhe». Ruhe und Gelassenheit gehören zur DNA Biels. Für einen Spieler, der zuvor nie in Biel, aber in der NHL und in Lugano war, eine neue, wunderbare Erfahrung.
Der beste Schweizer Skorer der Liga wirkt so ruhig und selbstsicher wie noch nie seit der Rückkehr aus der NHL im November 2014. In Lugano, wo er unter dem Erwartungsdruck zerbrach (und deshalb den Vertrag vorzeitig auflöste), wirkte er im Spiel oft hektisch und neben dem Eis unruhig, als ob er noch den letzten Zug erwischen müsste. Inzwischen hat er für Biel bereits 14 Tore erzielt. In Lugano waren es in der Qualifikation nie mehr als 13.
Damien Brunner ist wieder der einzige echte «Gambler» unter den Schweizer Stürmern. Er geht Risiken ein, ohne das Spielsystem zu missachten. Er findet intuitiv die freien Räume und tut nicht das, was seine Gegenspieler erwarten. So ist er einer der ganz wenigen «Gamebreaker». Einer, der in einem Spiel ganz allein die Differenz machen kann. Sage mir, ob Damien Brunner trifft, und ich sage dir, wie es um Biel steht.
Mit vertauschten Topskorern hätten die ZSC Lions die Partie mit ziemlicher Sicherheit gewonnen. Der Meister hat keinen «Gambler» wie Damien Brunner. Den gelben Helm des Topskorers trägt mit Denis Hollenstein ein fleissiger Musterprofi. Er ist schnell und mutig, aber in seinem Spiel berechenbar. Wahrscheinlich der beste und bestbezahlte Mitläufer der Liga. Mit halb so vielen Skorerpunkten (12) wie Damien Brunner ist er Topskorer der ZSC Lions und die Nummer 47 der Liga-Skorerliste.
Das Spiel des Meisters lebt nicht vom Genie der Künstler. Sondern von der Energie und dem Mut seiner Hinterbänkler. Den Fräsern vom dritten und vierten Block. Sie haben in Biel auch die beiden Treffer erzielt. Der zweifache Torschütze Tim Ulmann (31) hat fast seine ganze Karriere im Farmteam (GCK Lions) gedient und verdient pro Jahr nicht viel mehr als Denis Hollenstein in einem Monat.
Die ZSC Lions laufen wegen verletzungsbedingten Ausfällen und formschwachen offensiven Leitwölfen sozusagen erst auf zwei von vier offensiven Zylindern. Sie haben die vier Ausländerpositionen (noch) nicht erstklassig besetzt. Wir haben die wahren ZSC Lions nach wie vor nicht gesehen. Nicht einmal die halbwahren.
Wahrscheinlich ist Serge Aubin nicht der grosse Trainer, der charismatische Bandengeneral, den ein grosses Hockey-Unternehmen wie die ZSC Lions eigentlich braucht. Auch keiner, der ein Spielsystem einübt, das zu einem unverwechselbaren Stil führt wie in Biel mit Antti Törmänen, in Ambri mit Luca Cereda, in Zug mit Dan Tangnes, in Genf mit Chris McSorley, in Langnau mit Heinz Ehlers oder einst in Davos mit Arno Del Curto.
Die ZSC Lions haben ja immer zwei Saisonziele. Eines ist natürlich der Gewinn der Meisterschaft bzw. die Verteidigung des Titels. Das andere, intern ebenso wichtige, ist den Trainer unter allen Umständen im Amt zu halten. Serge Aubin hat noch einen Vertrag bis Ende der nächsten Saison.
Mag sein, dass der Meister in der Qualifikation zu wenig aus seinem Potenzial herausholt. Mag sein, dass die Zuschauer nicht zufrieden sind. Mag sein, dass nach wie vor keine taktische Handschrift des Trainers zu erkennen ist.
Aber erstens gehört eine durchzogene Qualifikation zur ZSC-Kultur. Die zwei letzten Titel sind vom 7. Platz aus gewonnen worden. Und zweitens ist die Gewissheit unerschütterlich, dass es in den Playoffs doch reichen kann. 1:4 gegen Bern und 2:4 in Biel Ende November, Anfang Dezember – na und?
Solange die Playoff-Qualifikation nicht ernsthaft in Gefahr gerät, kann Serge Aubin nach wie vor ruhig schlafen.