Über 800 NHL-Spiele, erster Captain mit Schweizer Pass in der NHL. Stanley-Cup-Sieger 2017. Musterprofi durch und durch und noch immer topfit. Und zu haben!
Auf den ersten Blick denken wir: Jeder Sportchef, der noch bei Sinnen ist, muss jetzt Mark Streit ein Angebot machen.
Mark Streit hat zwar stets ausgeschlossen, seine Karriere in der NLA zu beenden. Noch vor 14 Tagen. Aber er meinte damit, dass er nächste Saison nicht noch in unserer höchsten Liga spielen wird.
Nun ist eine völlig unerwartete Situation eingetreten: Es geht um diese Saison, nicht mehr um die nächste. Er hat sich mit der ihm eigenen Professionalität auf diese Saison vorbereitet. Soll jetzt die ganze Arbeit im Sommer für die Katz gewesen sein? Ist jetzt, vor der Zeit, alles vorbei?
Um Geld geht es nicht mehr. Mark Streit hat in der NHL so viel verdient (über 30 Millionen Dollar), dass er sein Vermögen nicht einmal dann zu verprassen vermöchte, wenn er ein Hallodri wäre. Das ist er aber nicht.
Mark Streit hat zwei Optionen. Wenn er gerne noch einmal die Kameraderie, das Kabinenleben geniessen möchte, dieses im Grunde unbeschwerte Leben von Männern, die dafür bezahlt werden, zu spielen, dann beendet er die Karriere in der NLA. Falls es ihm egal ist, was über ihn gesagt, geschrieben und gesendet wird. Was sollen ihn kleinkarierte Kritiker kümmern, die in ihrem ganzen Leben nicht so viel Geld verdienen wie er in einem einzigen Jahr?
Falls er Nörgelei und Kritik rund um sein Eishockey am Ende einer grandiosen Karriere nicht will, dann sollte er nicht mehr in der NLA spielen.
Es gibt aber noch eine Frage: Welche Klubs können bzw. sollen sich Mark Streit überhaupt leisten? Die «Streit-Frage» kann unsere Meisterschaft entscheiden.
Was bekommt ein Klub mit Mark Streit? Sportlich einen langsamen Offensiv-Verteidiger und Powerplay-Spezialisten mit formidabler Schusskraft. Auf dem breiteren europäischen Eisfeld gerät er bei schnellen Gegenstössen in Not, aber das Terrain rund ums Tor kann er gut besetzen. Obwohl er aus der NHL kommt, dürfen wir keine krachenden Checks erwarten. Mark Streit ist ein hochintelligenter Ingenieur des Defensivspiels. Kein Angstmacher, Einschüchterer, Provokateur oder Abräumer.
Noch wichtiger: Er ist einer der grössten Schweizer Spieler aller Zeiten. Eine charismatische Persönlichkeit. Er erhebt nicht den Anspruch auf einen Platz ganz oben in der Teamhierarchie. Er erwartet keine Vorzugsbehandlung und schon gar keine Privilegien. Er will nur an der Leistung gemessen werden.
Aber diese hehren Absichten kann er nicht in die Wirklichkeit umsetzen. Ob er will oder nicht, wird er alleine mit seiner Präsenz die Kabine füllen und einen Platz ganz oben in der Hierarchie bekommen. Mark Streit ist ganz einfach ein zu grosser Name, um bescheiden in einer Ecke der Kabine zu sitzen, siebter Verteidiger zu sein und still und leise seines Weges gehen zu können.
Das müssen wir berücksichtigen, wenn wir die «Streit-Frage» stellen. Die Frage, wo seine Verpflichtung Sinn macht und wo nicht. Wo das Risiko gross ist und wo gering.
Beim SC Bern wäre seine Verpflichtung eine Herzensangelegenheit. Er ist Stadtberner, hier ist seine Heimat. Mark Streit ist hier! Die Sponsoren wären hocherfreut. SCB-General Marc Lüthi könnte ihn zum Business-Lunch mit seinen wichtigsten Geldgebern einladen. Die schöne Fabienne Streit-Kropf brächte einen Hauch von echtem Glamour in die VIP-Logen.
Aber sportlich wäre seine Verpflichtung ein gewaltiges Risiko. Der SCB ist in den letzten drei Jahren auch deshalb zu einer gut funktionierenden «Hockey-Maschine» geworden, weil in der Hierarchie jeder seinen Platz hat. Kommt Mark Streit, verändert sich diese Hierarchie. Die Strahlkraft seines Namens ist so gross, dass das Charisma von Eric Blum und Simon Moser – also der aktuellen Leitwölfe – beeinträchtigt würde. Etwas polemisch können wir sagen: Die Verpflichtung von Mark Streit könnte den SCB die Titelverteidigung kosten.
All das gilt auch für den HC Lugano. Dort kommt noch ein sportlicher Faktor dazu: Die Abwehr ist viel weniger tempofest als die SCB-Verteidigung. Mit Mark Streit würde Luganos Powerplay zwar besser, die Defensive aber geschwächt. Trainer Greg Ireland ist ein Kanadier und für ihn ist die NHL das Mass aller Dinge. Er könnte der Versuchung nicht widerstehen, Mark Streit viel Eiszeit zu geben. Es käme für ihn nicht in Frage, den NHL-Veteranen nur im Powerplay einzusetzen. Wir können ganz unpolemisch sagen: Mit Mark Streit werden Luganos Meister-Chancen gemildert.
Und wie wäre es mit den ZSC Lions? Nun, sportlich brächte Mark Streit keinen Mehrwert, aber Unruhe in die Teamhierarchie. Ein Verteidigerpaar aus den beiden 39-jährigen Legenden Mathias Seger und Mark Streit wäre zwar ein ausserordentliches Medienspektakel. Aber es wäre das langsamste Verteidigerpaar, das je in einer ernstzunehmenden Profiliga eingesetzt worden ist.
Wie wäre es beim EV Zug? Mark Streit würde ins Revier von Leitwolf Rafael Diaz (31) eindringen und die Integration der jungen Spieler arg erschweren. Trainer Harold Kreis ist so sehr auf erfahrene Spieler fixiert, dass er Mark Streit sofort mit 20 bis 25 Minuten Eiszeit pro Spiel forcieren würde.
Kloten, Lausanne, Servette, Ambri, Kloten, Langnau und Gottéron streichen wir mal von der Liste der möglichen Klubs für Mark Streit. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Mark Streit nicht eine Nummer zu gross ist, um sich von Lausannes Yves Sarault oder Servettes Craig Woodcroft in die Geheimnisse des Eishockeys einweihen zu lassen.
Mark Streit hat zwar einst bei Gottéron in der NLA debütiert. Aber als Ur-Berner wird er seine Karriere nicht bei Gottéron beenden. Und mit Kloten, Ambri oder Langnau um die Playoffteilnahme oder womöglich gar noch gegen den Abstieg zu kämpfen? Nein, das wäre kein würdiges Finale dieser Karriere.
Eigentlich sehe ich nur zwei Teams, für die es Sinn machen würde, Mark Streit zu verpflichten. Davos und Biel.
In Davos steht ganz oben in der Hierarchie nicht ein Spieler. Sondern der Trainer. Das ist so ausgeprägt in keiner anderen Mannschaft einer ernstzunehmenden Liga der Fall. Arno Del Curtos Charisma ist sogar stärker als jenes von Mark Streit. Arno Del Curto ist der einzige Trainer in der NLA, der so charismatisch, selbstsicher und cool ist, dass er Mark Streit genau gleich behandeln würde wie einen Junior, der sein erstes NLA-Spiel bestreitet. Er würde ihn wie jeden anderen Spieler nach einem Fehler «zusammenfalten». In Davos würde sich mit Mark Streit in der Kabine praktisch nichts verändern.
Und warum Biel? Weil auch in Biel nicht gleich alles durcheinandergeraten würde. Sportchef Martin Steinegger ist ein kluger, gelassener Mann, der mit Jonas Hiller ja bereits eine helvetische NHL-Ikone im Team hat. Und Trainer Mike McNamara, der grosse, weise, alte Mann, würde sich mit Mark Streit im Team nicht aus der Ruhe bringen lassen.
Er wäre in der ihm eigenen Art natürlich begeistert, mit Mark Streit arbeiten zu dürfen – aber er würde deswegen nicht gleich alle seine taktischen und sonstigen Pläne ändern. Und anders als in Bern, Lugano, Zürich und Zug denkt in Biel niemand an den Gewinn des Meistertitels. Sportlich wäre die Verpflichtung von Mark Streit risikolos und würde sicherlich pro Heimspiel 300 bis 400 zusätzliche Zuschauer bringen.
Ein Chronist, der gerne polemisiert, wünscht sich Mark Streit beim SC Bern. Das Interesse an SCB-Storys ist gross, aber der SCB funktioniert im Herbst 2017 auf und neben dem Eis so beängstigend gut, dass die Themen langsam aber sicher ausgehen und dass es fast nicht mehr möglich ist, einen Ansatz für eine Polemik zu finden.