Wenn die Schweizer eine Medaille holen wollen, dann müssen sie dazu in der Lage sein, solche Spiele zu gewinnen. Aber sie hatten gegen Schweden keine Chance und verloren 3:5. Mit dem besten WM-Team aller Zeiten – also erstmals auch mit Roman Josi und Kevin Fiala. Wie konnte das passieren?
Der Grund für die Niederlage ist auf den ersten Blick einfach: Auch ein Titan braucht einen grossen Torhüter. Leonardo Genoni war gegen die Schweden ein kleiner Torhüter hinter einer grossen Mannschaft. Keiner der drei ersten Treffer war – an internationalem Standard gemessen – unhaltbar. Auch das «Eigentor» von Michael Fora zum 0:3 nicht. Leonardo Genoni war – wiederum gemessen am internationalen Standard – gegen die Schweden ein «Lottergoalie». Er strahlte zu wenig Sicherheit aus. Er wirkte zu wenig dominant und blieb zu passiv auf der Linie.
Mit einem «Lottergoalie» ist es nicht möglich, ein solches Spiel zu gewinnen. Damit ist klar: Reto Berra muss uns ins Halbfinale hexen. Auch mit Roman Josi, Kevin Fiala, Timo Meier, Sven Andrighetto, Mirco Müller und Nino Niederreiter brauchen wir Reto Berra in der Halbfinal-Form von 2013.
Aber wir machen es uns zu einfach, wenn wir diese Niederlage gegen Schweden auf respektlose und populistische Art und Weise bloss dem Torhüter zuschreiben. Es stimmt: mit Leonardo Genoni war dieses Spiel nicht zu gewinnen. Aber es ist keineswegs sicher, dass wir mit einem grossen Torhüter die Schweden besiegt hätten.
Das Problem, das nichts mit der Torhüterleistung zu tun hat: die Schweizer mussten sich gegen Schweden zum ersten Mal in einer neuen Wirklichkeit zurechtfinden.
Die grossen WM-Siege unter Patrick Fischer – vor einem Jahr gegen Kanada (3:2 n.V.) und Tschechien (3:1) – feierten die Schweizer als Aussenseiter. In erster Linie kamen spielerische Mittel zum Einsatz. So wie es eben bei Spielen in der Gruppenphase zwischen einem Favoriten und einem Aussenseiter der Brauch ist. In den Grundzügen waren auch die bisherigen Partien gegen die Grossen bei dieser WM so – wie zuletzt beim grandiosen Spektakel gegen die Russen (3:4).
Aber nun war die Ausgangslage eine andere. Spätestens mit der Ankunft von Roman Josi und Kevin Fiala war auch den Schweden klar, dass die Schweiz kein «Underdog» mehr ist. Also haben sie gegen uns so gespielt, wie gegen die anderen Titanen: keine Risiken. Scheibenkontrolle. Höchste Konzentration. Taktische Disziplin. Defensive Sicherheit.
Die Schweizer waren noch in keiner Partie unter Patrick Fischer so wenig in Scheibenbesitz wie während den ersten 40 Minuten gegen diese hellwachen Schweden: 9:29 Torschüsse! Der Nationaltrainer wird später sagen: «Es war nicht so, dass wir zu viel Respekt gehabt hätten. Wir haben einfach kein Mittel gefunden.»
Mit dieser neuen Wirklichkeit werden die Schweizer von nun an leben müssen. Sie können nicht mehr Aussenseiter sein. Niemand kann mit Roman Josi, Kevin Fiala, Timo Meier, Sven Andrighetto, Mirco Müller und Nino Niederreiter ein Aussenseiter sein.
Schweden ist an einem guten Tag die taktisch beste Mannschaft der Welt und lässt nichts zu. Und doch mussten die Schweden nach einer 3:0-Führung noch einmal tief durchatmen. Zittern wäre zu viel gesagt. Aber durchatmen mussten sie schon.
Die Schweizer bewiesen im letzten Drittel gegen den starken Gegner wenigstens für eine Viertelstunde ihren Stil, ihren Mut, ihr Tempo, ihre Dynamik. Patrick Fischer erklärte es so: «Es ist uns gelungen, aggressiver zu spielen und das Pressing zu erhöhen.»
Dieses letztlich vergebliche Aufblühen, auch ausgelöst durch Neuformation der Linien (am besten funktionierte das Trio Timo Meier, Kevin Fiala, Sven Andrighetto) gehört zum Besten, was wir in der Neuzeit von einem WM-Team gesehen haben und zeigt sich auch in der Torschussstatistik des Schlussdrittels (14:12). Aber eine gute Viertelstunde reicht gegen Schweden nicht. Patrick Fischer gab denn auch unumwunden zu: «Kompliment an die Schweden. Sie waren einfach besser.»
Neben einem «Lottergoalie», einer neuen Wirklichkeit und einem starken Gegner gibt es einen vierten Faktor, der wesentlich zur Niederlage beigetragen hat: die Schweizer leisten sich, gemessen an ihrem Talent, zu viele Fehler und Konzentrationsschwächen. Sie haben das Talent eines Titanen, aber noch zu oft die Fehlerquote eines Aussenseiters. Diese Schwäche zieht sich durch die ganze bisherige Amtszeit von Nationaltrainer Patrick Fischer.
Bleibt noch eine letzte Frage: haben Roman Josi und Kevin Fiala das Team bereits besser gemacht? Statistisch noch nicht. Roman Josi ging mit einer statistischen Brille (0 Tore/0 Assists) und einer -1-Bilanz vom Eis. Kevin Fiala assistierte zum 2:3 von Raphael Diaz und beendete die Partie mit einer ausgeglichenen Bilanz. Es bleibt am Dienstag die Partie gegen Frankreich (12:15) um Fialas und Josis Spiel noch besser zu justieren.
Übrigens: Nach der Niederlage gegen Schweden ist für heute Montag Zittern ums Viertelfinale angesagt. Wenn die Slowaken gegen die Russen gewinnen (16:15 Uhr) – ein Zwei-Punkte-Sieg genügt – und im letzten Spiel am Dienstag auch Absteiger Weissrussland besiegen, dann wird uns am Schluss auch bei einem Sieg im letzten Spiel gegen Frankreich der Punkt fürs Viertelfinale fehlen, den wir gegen Österreich verschenkt haben. Es wäre das bitterste Scheitern an einer WM seit dem Abstieg von 1995. Patrick Fischer sagt es so: «Am Montag sitzen wir mit Russen-Leibchen auf der Tribune.»