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Die ZSC Lions haben die sportlichen Erwartungen in den letzten zwei Jahren nicht erfüllt. Dafür haben sie nun an Unterhaltungswert zugelegt. Sie können den SCB des Frühjahres 2016 kopieren.
Unter der professionellen Oberfläche dieses Hockey-Musterunternehmens rumort es fast so verheissungsvoll wie während der kurzweiligen «Belle Epoque» im alten, rauchigen Hallenstadion der späten 1980er und frühen 1990er Jahren. Es ist angerichtet für eine «Hollywood-Saison».
Grosse Namen, die letzte Saison unter den Erwartungen geblieben sind (wie Roman Wick, Severin Blindenbacher, Inti Pestoni oder Matthias Sjögren), eine höchst umstrittene Vertragsverlängerung (Mathias Seger) und ein Trainer-Duo, das bei einem beunruhigend grossen Teil der Mannschaft nicht beliebt ist: Endlich haben auch die modernen ZSC Lions wieder ganz erhebliches Konflikt- und Hollywood-Potenzial.
Im Frühjahr 2016 hat das «Aus» im Viertelfinale gegen Bern die ruhmreiche Ära der NHL-Bandengeneräle mit den Titeln von 2012 (Bob Hartley) und 2014 (Marc Crawford) beendet. Der Start in die neue nordische Ära mit dem schwedischen Duo Hans Wallson und Lars Johansson ist im letzten Frühjahr missglückt.
Dabei galten die beiden Schweden bei ihrer Ankunft als nordische «Hockey-Götter». Sie hatten in Schweden mit Skelleftea alles gewonnen (mehrere Meistertitel) und sie sollten bei den ZSC Lions mit innovativer Taktik, neuartigen Trainingslehren und ganzheitlichem Denken eine Revolution anzetteln und nach fünf Jahren unter NHL-Generälen eine neue Ära einleiten.
Im ersten Jahr hat die «nordische Revolution» den ZSC Lions steriles «Beamtenhockey», klägliches Scheitern in der ersten Playoff-Runde und Konflikte mit wichtigen Spielern beschert, die in der «Vertreibung» von Luca Cunti nach Kloten bzw. Lugano gipfelten.
Waren die Erwartungen zu gross? Sind die beiden Schweden, weil in der Heimat so erfolgreich, zu arrogant und haben unsere Hockey-Kultur unterschätzt? Sie bekommen die Chance, die Lehren aus der missglückten ersten Saison zu ziehen. Das «schwedische Experiment» dürfte allerdings nur bei einem Titelgewinn oder dramatischen Scheitern im Finale verlängert werden. Und wenn die ZSC Lions im Oktober nicht als Spitzenteam begeistern, wird die Polemik um die Trainer einsetzen.
Im Hallenstadion ist nun alles möglich. Beste Unterhaltung ist garantiert – und das ist gut so. Schliesslich sind die ZSC Lions ein wichtiger Teil der Stadtzürcher Unterhaltungsindustrie. Hollywood und Meistertitel schliessen sich, wie der SCB 2016 bewiesen hat, keineswegs aus.
Wenig in der Mannschaft, aber einiges in der Chefetage. Die Vertragsverlängerung mit Mathias Seger (39) zeigt, dass der Mut zum echten Neuanfang fehlt. Einerseits. Aber andererseits ist Sportchef Edgar Salis (neu Chefscout) nach neun Jahren und drei Titeln durch Sven Leuenberger ersetzt worden. Vom ehemaligen SCB-Sportchef wird eine härtere Linie und eine Auffrischung des Leistungsklimas erwartet. Als erstes hat er die Ausländerpositionen klar besser besetzt (neu mit Kevin Klein, Drew Shore und Fredrik Pettersson).
Der neue Sportchef Sven Leuenberger ist eine starke Persönlichkeit und wird in den Gesprächen mit den Spielern eine härtere Linie fahren als der freundliche ausgebildete Sozialpädagoge Edgar Salis. Anders als Salis hat Leuenberger keine gemeinsame Vergangenheit mit ZSC-Spielern. Genug Talent und Kadertiefe um eine Meisterschaft zu gewinnen. Unruhe muss bei einer so talentierten Mannschaft nicht in jedem Fall negativ sein – sie kann auch Energien freisetzen. Wie 2016 beim SC Bern.
Zu viele Spieler, die letzte Saison nicht ihr bestes Hockey gespielt haben. Können sie es in der neuen Saison unter dem gleichen Trainerduo? Keine klare Nummer 1 auf der Torhüterposition. Ohne klare Nummer 1 beim Playoff-Start keine Chance auf den Titel.
Platz 2 in der Qualifikation – und selbst nach einer turbulenten Saison gute Titelchancen in den Playoffs.
Seit elf Jahren wartet Lugano auf den nächsten Meistertrainer. Schafft es ausgerechnet der grösste Langeweiler?
Lugano hat mehr Geld als jedes andere Hockey-Unternehmen ausserhalb der NHL und KHL und weltweit die höchste Lebensqualität («Eishockey unter Palmen»). Aber Lugano kann seit elf Jahren einfach nicht mehr gewinnen. Nicht den Titel, nicht den Spengler Cup und nicht einmal den Schweizer Cup.
Die grosse Vorsitzende Vicky Mantegazza und ihre Entourage wissen, wer die Verantwortung trägt. Der Trainer. Schliesslich war auch beim letzten Titelgewinn 2006 eine Trainerentlassung die Mutter des Triumphes. Larry Huras wurde während des Viertelfinals gegen Ambri gefeuert und durch Harold Kreis ersetzt. Seither sind alle gescheitert. Zuletzt auch der sendungsbewusste Patrick Fischer und der charismatische Verlierer Doug Shedden.
Die Leistungskultur ist schwächer entwickelt als bei den anderen Titanen. Die Spieler haben fast immer recht. Die Chefin und Besitzerin des Unternehmens (Vicky Mantegazza) entscheidet oft mehr mit dem Herzen (das bei den Spielern ist) als mit dem Verstand. Das macht Lugano sympathisch. Aber nicht meisterlich.
Einerseits ist Glaube an die Wirkungsmächtigkeit des Trainers im Guten wie im Bösen nirgendwo so tief verwurzelt. Gross ist sein Ruhm, wenn er siegt. Aber noch grösser die Schmach, wenn er verliert. Andererseits ist die Ohnmacht des Trainers nirgendwo so gross. Niemand hat es geschafft, die Türe zum Büro von Vicky Mantegazza zu verriegeln. Die Spieler haben direkten Zugang zur Präsidentin. Kein Wunder also, sind alle Trainer seit 2006 gefeuert worden.
Sollten wir uns nun den Namen von Greg Ireland merken? Oder blüht auch ihm in Lugano das Schicksal einer ruhmlosen Entlassung? Bleibt sein Name bloss eine Fussnote der Geschichte?
Wir sollten uns den Namen merken. Greg Ireland kommt in seinem unaufgeregten Wesen und Wirken Harold Kreis, Luganos letztem Meistertrainer, erstaunlich nahe. Der Pragmatiker hat keine ruhmreiche Vergangenheit als Spieler. Aber einen Universitätsabschluss in Wirtschaft und Sport. Der kluge Opportunist beruhigte letzte Saison nach seinem Amtsantritt die Kabine, beendete das wilde Spektakelhockey, sorgte für Disziplin, ordnete die Defensive.
Im Viertelfinal zermürbte Lugano die mächtigen ZSC Lions und forderte im Halbfinale den SC Bern stärker als jeder andere Gegner. Er hat die Gottesgabe der Diplomatie und bringt die Spieler (die mächtiger sind als er) nicht gegen sich auf. Also ein grosser Bandengeneral und Hockeypolitiker. Am 12. April ist sein Vertrag, typisch für den Glauben an die Wirkungsmächtigkeit der Trainer, gleich um zwei (!) Jahre verlängert worden.
Wenn es dem Kanadier gelingt, weiterhin so gut strukturiertes Resultathockey zu spielen wie in den Playoffs und wenn irgendjemand den Spielern den Zugang zu Vicky Mantegazzas Büro verwehrt (vielleicht schliesst sie ja mal selber die Türe), dann könnte es sein, dass wir uns vor Greg Ireland noch verneigen und über ihn grosse Portraits schreiben müssen.
Daniel Sondell, Tony Martensson und Patrik Zackrisson sind gegangen. Die «Schweden-Mafia» gibt es nicht mehr, der schwedische Paradiesvogel Linus Klasen muss sich nun ein bisschen mehr der Mannschaft unterordnen. Wer weiss, vielleicht wird er nun auch buchen, wenn es wirklich zählt. Die Ausländerpositionen sind «ethnisch» mit dem Finnen Jani Lajunen, dem Amerikaner Bobby Sanguinetti, dem Schweden Linus Klassen und dem Kanadier Maxim Lapierre besser durchmischt.
Bei weitem genug Talent um eine Meisterschaft zu gewinnen und mit Elvis Merzlikins ein emotionaler Goalie, der dazu in der Lage ist, in den Playoffs einen Titel herauszuhexen. Wenn Trainer Greg Ireland die richtigen Worte findet, ist sensible Schillerfalter Luca Cunti ein Spieler, der eine Meisterschaft entscheiden kann. Cunti und Jani Lajunen könnten die Mittelachse meisterlich machen.
Die Titanen, die nach wie vor Brückenpfeiler des Teams sind oder sein sollten (Philippe Furrer, Damien Brunner, Julien Vauclair, Alessandro Chiesa) sind zerbrechlich. Ein Sportunternehmen ist erfolgreich, wenn die Besitzer besitzen, der Manager managt, der Sportchef «sportchefft», die Spieler spielen und die Chronisten «chronistet». In Lugano werden diese Funktionen stärker als bei anderen Spitzenteams bunt und unterhaltsam vermischt.
Platz 4 – und wenn in den Playoffs für ein paar Wochen alles zusammenpasst, gute Aussenseiterchancen im Titelkampf.
Noch nie funktionierte das «System SCB» so perfekt wie letzte Saison. Aber diese Perfektion kann auch zum Problem werden und eine Krise statt Titel produzieren.
Der SCB kann Meister. Definitiv. In allen Variationen. 2016 gewannen die Berner nach einer «Hollywood-Saison» mit Trainerentlassungen und ausländischem Goalie vom 8. Platz aus die Meisterschaft. Letzte Saison haben sie diesen Titel mit einer unheimlichen Dominanz, Zielstrebigkeit und Perfektion verteidigt.
Die Meisterschaft 2017 war wie nie zuvor das Produkt des Systems SCB. Wenn es je einem Hockeyunternehmen gelungen ist, dieses unberechenbare Spiel berechenbar zu machen und den Erfolg zu programmieren – dann dem SCB in der letzten Saison.
Der SCB ist sogar mit dem FC Basel, dem Titanen der nationalen Fussballmeisterschaft (acht Titel in Serie) verglichen worden. Dabei dominieren die Berner, anders als die Basler, die Liga finanziell keineswegs – die «Kriegskassen» in Lausanne, Zürich, Lugano und Zug sind mindestens so gut oder sogar noch besser gefüllt.
Das «System SCB» macht diese Überlegenheit: die Fähigkeit des Managements, zu erkennen, was die Besonderheiten des Unternehmens und der Mannschaft sind und dafür die passenden Leute zu holen. Mit Kari Jalonen wurde der Wunschtrainer verpflichtet, mit Leonardo Genoni der Wunschtorhüter und mit Mark Arcobello der Wunschausländer. Alles passte zusammen, nie stand der Qualifikationssieg in Frage, nie drohte in den Playoffs das Scheitern. Dominanz vom ersten (6:2 gegen Langnau) bis zum letzten Spiel der Saison (5:1 in Zug).
Fast alle Hauptdarsteller dieser grossen Meistersaison sind geblieben und für jene, die gegangen sind, hat Sportchef Alex Chatelain Ersatz gefunden. Das Jahrzehnttalent Gaëtan Haas ersetzt den Leitwolf Martin Plüss. Nichts spricht gegen einen dritten Titel in Serie. Wir werden den besten SCB aller Zeiten sehen. Langeweile wegen sportlicher Dominanz wird das einzige Problem sein. Oder doch nicht?
Die Gefahr für den SCB hat der grosse NHL-Bandengeneral Mike Keenan einmal so in einem Satz zusammengefasst: «If you accept status quo in sports, you’re toast. You’re finished.»
Status Quo bedeutet in diesem Zusammenhang so viel wie «Stillstand». Wenn ein Hockeyunternehmen auf so perfekte Art und Weise gewinnt wie der SCB, dann gibt es keinen zwingenden Grund mehr für Veränderungen und Weiterentwicklungen, Revolution und interne Auseinandersetzungen. Ruhe, Bewahren des «Ist-Zustandes» wird zur ersten Bürgerpflicht. Anders als beim FC Basel gibt es für den auf nationaler Ebene perfekten SCB keine echte ständige Herausforderung durch europäische Wettbewerbe – nach wie vor ist die Champions Hockey League im Eishockey wirtschaftlich nur ein Operetten-Wettbewerb.
Nur sehr wenig. Oder besser: gerade so viel wie notwendig. Jahrzehnttalent Gaëtan Haas ersetzt Martin Plüss und mit Mika Pyörälä und Mason Raymond kommen zwei neue Ausländer. Auf den Ausländerpositionen ist der SCB beim Saisonstart besser besetzt als vor einem Jahr.
Ein Trainer, der weiss, wie man Meister wird und wie man Titel verteidigt, eine nahezu perfekte Mischung aus Stars und Mitläufern, ein taugliches taktisches Konzept, der Rückhalt des besten Torhüters der Liga und wirtschaftliche Stabilität.
Eine Titelverteidigung ist immer schwierig. 2014 hat der SCB als erster Titelverteidiger überhaupt die Playoffs verpasst. Auch mit einem finnischen Trainer. Dieses Malheur ist auszuschliessen. Noch nie seit dem Wiederaufstieg (1986) segelte der SCB sportlich und wirtschaftlich in so ruhigen Gewässern. Aber es kann nie ausgeschlossen werden, dass es die Ruhe vor dem grossen Sturm ist. Die grösste Gefahr droht dem SCB gegen physisch starke Gegner, die zumindest in einzelnen spielen so hart, schnell, wild und unberechenbar spielen, dass die Dinge nicht ihren geordneten Lauf nehmen – wie zuletzt in der Champions Hockey League in Nottingham gegen ein Team aus dem britischen Operetten-Hockeys.
Platz 1 – aber nur, wenn alles seinen gewohnten Gang nimmt.