Ein Kampf der Kulturen? Ja, das ist es, was dem EHC Kloten bevorsteht. Seit 1962 ist Kloten erstklassig. Mehr als ein halbes Jahrhundert. Länger als jeder andere NLA-Klub. Eine Zeitspanne, die in der richtigen Welt ungefähr der Existenz des römischen Reiches entspricht. Und nie ist Klotens Hockeykultur in echte sportliche Not geraten. Es gab und gibt Finanz- und Führungskrisen mit bemerkenswertem Unterhaltungswert. Aber die haben bis heute das sportliche Fundament nie wirklich gefährdet.
Eigentlich ist die Mannschaft auch jetzt nominell gut genug für die Playoffs. Vorne mit Denis Hollenstein und Vincent Praplan die beste Flügelzange des Landes. Dazu die Erfahrung von WM-Silberhelden wie Patrick von Gunten, Morris Trachsler, Denis Hollenstein und Matthias Bieber. Und im Kasten steht Nationaltorhüter Luca Boltshauser.
Aber Kloten steht auf dem letzten Tabellenplatz. Auch nach einem Trainerwechsel. Warum beisst die Flügelzange nur im Nationalteam und nicht im Klub? Warum hilft die Erfahrung von gleich vier (!) WM-Silberhelden nicht? Warum kann nicht einmal ein Nationalgoalie den Sieg heraushexen?
Eine Spurensuche ist aufschlussreich. Gerne öffnen die Männer in der Not ihre Herzen. Aber nur unter der Wahrung absoluter Anonymität. Das wäre zwar im richtigen Leben juristisch heikel. Aber Hockey ist ja ein Teil der Unterhaltungsindustrie. Mehr Hollywood als richtiges Leben.
Wie gleich mehrere Quellen unabhängig voneinander bestätigen, gibt es offenbar ein traumatisches Festtagserlebnis: Das Weihnachtessen. Im Mannschaftsport sind solche Feiern in der Regel ein Ereignis zwischen Pfingsterlebnis und Oktoberfest. Bei bester, manchmal ausgelassener Stimmung wird klar, wohin die Reise für die restliche Saison geht.
Ob wahr oder nicht wahr lassen wir mal offen. Aber eigentlich spricht alles dafür, dass es wahr sein könnte. Präsident Hans-Ulrich Lehmann habe einen verheerenden Auftritt gehabt. Statt bei jenen, die schon anderorts unterschrieben haben, an den Stolz zu appellieren und die Verzagten, die bleiben müssen, weil niemand sie mehr will, aufzurichten, sei er wie ein zorniger Elefant durch den mentalen Porzellanladen marschiert.
Vor der Festtagspause siegte Kloten gegen Lugano 5:1. Seit der Festtagspause hat Kloten dreimal gespielt, einmal gegen den Tabellenvorletzten und einmal gegen den drittletzten. Die ernüchternden Resultate:
Kloten – Ambri 1:2 n.P.
Kloten – Lausanne 2:3 n.V.
Lausanne – Kloten 9:3
Der grosse welsche Chronist Jean-Claude Schertenleib, der nicht im Verdacht steht, gegen Kloten zu polemisieren, hat nach diesem 9:3 gesagt, Lausanne haben gegen ein Phantom gewonnen. Der Begriff steht für unwirkliche Erscheinung, Trugbild, Geist oder Gespenst. Kloten als Phantom unserer grossen Hockey-Oper. Wahrlich dramatisch.
Nun müssten in der sportlichen Not alle zusammenstehen. Aber immer mehr zeigt sich, dass dies nicht der Fall ist. Immer wieder kommt in den Erzählungen Präsident Hans-Ulrich Lehmann vor, der sich in alles einmische, die Stimmung verderbe und wenn er in der Kabine gewesen sei, sinke die Temperatur unter den Gefrierpunkt. Immerhin sei es gelungen, den Vorsitzenden davon abzubringen, Spieler zu feuern.
Ob wahr oder nicht wahr lässt sich natürlich nicht beweisen. Der Chronist arbeitet ja nicht in den Klub-Büros. Doch gibt es Anzeichen, dass es mit der Stimmung nicht zum Besten steht. Die echte sportliche Gefahr, die es zum ersten Mal in der Klotener Geschichte gibt, wird ausgeblendet. Weil niemand die sportliche Gefahr zu erkennen vermag. Oder zu erkennen wagt.
Im Unternehmen werden offenbar weiterhin die kleinen Eitelkeiten, die alltäglichen Intrigen gepflegt. Was war beispielsweise das grösste Problem nach der 1:2-Penalty-Niederlage Ambri? Dass sich der Trainer nach Spielschluss im Kabinengang mit zwei Spieleragenten und einem Chronisten unterhalten hat. Er sei dafür von höchster Ebene gerügt worden.
Kein Wunder, ist Kevin Schläpfer am verzweifeln. «Es kommt schon gut», ist weiterhin alles, was er sagt. Was er zu sagen wagt. Was er sagen darf. Wohl wissend: Öffnet er sein Hockey-Herz, ist seine Amtszeit in Kloten bereits zwei Jahre vor Vertragsablauf beendet. Und kein Schelm, wer fragt: Wie lange kann sich Schläpfer eigentlich unter diesen dramatischen Umständen noch im Amt halten? Wäre der Trainer diese Saison nicht schon gefeuert worden, würde man aufgrund des Auftretens der Klotener in den letzten Partien dringend zu einer Trainerentlassung raten.
Kein Wunder, ist die Mannschaft inzwischen vom gefährlichsten Virus befallen, den es im Leistungssport gibt: von der Gleichgültigkeit. Sogar die vornehme NZZ stellt fest, dass die Spieler gegen den Enthusiasmus des Trainers immun seien. Das stimmt nachdenklich. Denn gerade dieser Enthusiasmus des Trainers ist der mentale Zaubertrank, an dem die Klotener genesen sollten.
Keine Emotionen. Kein Enthusiasmus. Deshalb beisst die Flügelzange nicht. Deshalb nützt alle Erfahrung der WM-Silberhelden nichts. Deshalb kann der Goalie hexen wie er will – er kann die Pleiten nicht mehr verhindern. Beim 3:9 in Lausanne sind nun erstmals Auflösungserscheinungen sichtbar geworden.
Das ist deshalb so gefährlich, weil Kloten im kommenden Existenzkampf voraussichtlich auf zwei Hockeyunternehmen treffen wird, die eine sturmerprobte Krisenkultur haben. Ambri ist gestählt durch jahrelange Erfahrung im sportlichen Existenzkampf und hat sogar mehrere Liga-Qualifikationen überstanden. Und demonstriert auch in Zeiten der Niederlagen Mut und Geschlossenheit.
Was kann Kevin Schläpfer noch bewirken, wenn sein Zaubermittel Enthusiasmus nicht mehr wirkt? Kann er seinen Glauben («es kommt schon gut») bis zu den Schicksalsspielen im März bewahren? Kann er die Spieler so lange einigermassen bei Laune halten? Schläpfer steht vor einer Serie von scheinbar bedeutungslosen Partien. Das ist so, wie wenn Albert Anker dazu verurteilt worden wäre, Gartenzäune zu streichen statt Bilder zu malen.
Geht Kloten gegen Ambri in den Playouts unter, ist es durchaus möglich, dass die Lakers warten. Sollten die Klotener absteigen, wäre dann Gottéron (Aufstieg 1980) der dienstälteste NLA-Klub. Aber so weit sind wir ja noch lange nicht.