«Ich mache in meinem Privatleben, was ich will», sagt Franck Ribéry. Er hat noch immer nicht verstanden, weshalb es Fussballfans aufregt, dass da einer ein mit Blattgold überzogenes Steak gemampft hat. Man solle ihn als Fussballer beurteilen, fordert der Franzose in der Zeitung «L'Equipe».
Hmm, deshalb postet er auf Social Media bestimmt auch die vielen Fotos aus seinem Privatleben. Oder ein Video, das ihn beim Genuss des mit Blattgold überzogenen Steaks zeigt …
Borussia Dortmund ist am Mittwoch in der Champions League bei Tottenham unter die Räder gekommen, hat nach dem 0:3 in London nur noch minime Chancen aufs Weiterkommen. Jetzt kommt aus: Am Abend vor dem Spiel waren fünf BVB-Spieler noch beim Coiffeur. Im eigenen Hotel, in einem eigens dafür gebuchten Zimmer.
War ja praktisch, normalerweise lassen sie den Star-Haarschneider Sheldon Edwards eigens aus London einfliegen. Auch das nachvollziehbar, weil die 274 im Telefonbuch aufgeführten Friseure in Dortmund im Umgang mit der Schere bestimmt vollkommen talentfrei sind. Man schaue nur mal auf die Köpfe gewöhnlicher Menschen in Dortmund: Schlimm, dass die sich das Haar dort schneiden lassen müssen!
Dem griechischen Philosophen Sokrates wird nachgesagt, einst so über die Jugend geschimpft zu haben. In einer Zeit, als es noch keinen Profifussball gab, vor 2500 Jahren. Dass früher alles besser war, war schon früher so. Auch das Jammern darüber, wie schlimm diese schreckliche Fussballwelt doch nur geworden ist, ist nicht neu, sondern ganz im Gegenteil ein Evergreen.
Höchstbezahlte Stars verlieren den Kontakt zur Basis, «Scheiss-Millionäre» brüllen die Fans, egal ob in München oder in Dortmund, von verhätschelten Berufsfussballern ist die Rede und: «Irgendwann reicht's.» Die Einschätzungen stammen aus einem Zeitungs-Artikel, der über 20 Jahre alt ist.
Bayern München war schon damals der FC Hollywood. Aber vergoldetes Fleisch? Das konnte man sich höchstens auf dem Teller eines James-Bond-Bösewichts vorstellen. Man munkelt, dass es zu jener Zeit sogar noch Fussballer gab, deren Unterarme nicht komplett zutätowiert waren.
Viele Fans denken wehmütig an früher, als ihre Fussballwelt noch besser war. «Typen» würden dem Fussball fehlen, solche wie Mario Basler, die rauchten und soffen. Ecken und Kanten sollen die gleichgeschalteten Spieler wieder haben, heisst es oft. Vielleicht sind die Ecken heute mit Blattgold überzogene Steaks und die Kanten ein fliegender Coiffeur, und wir haben das nur nicht bemerkt, weil wir älter geworden sind.
Natürlich ist nichts mehr wie früher! Die Stadien unserer Kindheit stehen nicht mehr (es sei denn, man ist Aarau-Fan). Wir selber stehen auch nicht mehr, sondern machen uns bequem auf einem Sitzplatz breit, wenn wir ins Stadion gehen. Wir haben bemerkt, dass es im Leben tatsächlich auch noch andere Dinge von Belang gibt.
Der Fussball war vermutlich noch nie auf so einem hohen Niveau wie heute bei den Spitzenteams. Er war schon immer eine Unterhaltung für die Massen und das ist er heute mehr denn je. Heute Fussball, morgen Kino, übermorgen Zirkus, am Wochenende rasch ein Städtetrip. Fussball ist zum austauschbaren Konsumgut geworden.
Heute Abend tritt Bayern in Augsburg an, morgen spielen Barça und Milan, am Dienstag und Mittwoch war Champions League, gestern hoffte der FC Zürich gegen Napoli vergeblich auf eine magische Nacht, kein Tag ohne Fussball in der Glotze. «Weiter, immer weiter.» Das sagte nicht Sokrates, sondern ein anderer Philosoph: Oliver Kahn.
Irgendwann reicht's? Das glaubt man zwar in regelmässigen Abständen, dabei weiss man es besser: Nein, da kommt immer noch mehr. Die Welt ist nicht untergegangen, als erstmals für einen Fussballer eine Million bezahlt worden ist. Der Sport wurde populärer und populärer und er ging auch nicht unter, als 100 Millionen bezahlt wurden und als PSG 222 Millionen Euro für Neymar hinblätterte. Eine europäische Super-Liga ist wohl nicht mehr fern und der Tag wird kommen, an dem es eine globale Fussball-Liga geben wird.
Verändert hat sich, dass die Schere zwischen Fans und Spielern immer weiter auseinandergeht. Fussballer verdienten schon immer viel mehr als ihre Anhänger, aber nun ist es viel, viel, viel mehr geworden. Und weil sie ihren Protz auf Social Media gleich selber zur Schau stellen, sieht jeder, was sie haben. Kein Wunder, führt das ab und an zu Kopfschütteln.
Funktionäre und Fernsehmacher können uns mit ihren Entscheiden noch so hässig machen, Stars können so oft vergoldete Steaks essen, wie sie wollen: Am Ende werden wir den Klubs doch unser Geld nachwerfen, damit sie es den Stars und Mitläufern überweisen können. Bevor wir uns über all die verhätschelten Tschütteler aufregen, sollten wir uns zuerst über die ärgern, die das ermöglichen: über uns selber.