«Ach, Afrika!» – eigentlich gibt es keinen schlechteren Titel für einen Schlussartikel über den Afrika-Cup in Gabun. Denn es zeigt genau, wozu wir in Europa neigen: Afrika als eines zu sehen, als einen Kontinent, auf welchem überall das gleiche vorherrscht: Korruption, Krieg, Krankheiten, Probleme.
Als ich aus Gabun zurückkehrte, erkundigten sich einige Bekannte besorgt: «Hui, hast du nichts von den Unruhen mitbekommen?». «Welche Unruhen?», fragte ich. «Die mit dem abgesetzten Präsidenten.» Nun, die waren in Gambia, fast 5000 Kilometer entfernt. Gut 1500 Kilometer weiter weg als Syrien von der Schweiz. Und hier würde sich niemand überlegen, mit dem Helm auf die Strasse zu gehen, während in Aleppo Krieg herrscht. Aber in Afrika – da ist ja alles das Gleiche.
Oder das «Hôpital Albert Schweizer», das Absagen von europäischen Aushilfen erhielt, weil 2014 in Sierra Leone Ebola ausbrach. Auch hier gilt: Fast 5000 Kilometer entfernt. Bleibt in der Schweiz jemand zuhause, weil im Iran ein Virus ausbricht?
Ich will nichts verherrlichen. Aber manchmal würde es gut tun, nicht alles Unbekannte in die gleiche Schublade zu stecken. Gehe ich im Zürcher Niederdorf in eine Bar, sage ich ja auch nicht, ich sei in Europa in einer Bar gewesen. Genauso wenig, wie ich sage, dass ich in Afrika in einer Bar war, wenn ich im Ausgehviertel Louis in Gabuns Hauptstadt Libreville in eine solche gehe. Denn genau da bin ich jetzt. Das Lokal ist halb voll, ich setze mich an den Tresen und bestelle ein Bier. Kaum sitze ich, stellt sich ein etwas dicker Einheimischer vor mich hin. Woher ich komme und was ich hier mache, fragt er mich.
Nun, in der Bar bin ich nur, weil ich am Nachmittag aus meinem Journalisten-Gratis-Flug zum Spielort Oyem gestrichen wurde. 90 Minuten vor dem Abflug hiess es: «Du kannst nicht mit, Offizielle müssen auf den Flug.» So kann es hier laufen. Du weisst nie, wie es endet, bis es eintrifft.
Manchmal, da glaube ich, dass sich die Smartphone-Erfinder von Afrika – ja, hier gilt die Verallgemeinerung – inspirieren liessen. Unverbindlichkeit wird durch Handys begünstigt. Bei Einladungen erst mal vage zusagen und sich alle Optionen offen halten. Vielleicht kommt ja noch was Besseres. Und im Notfall hat man schnell einen Plan B zur Hand.
Ich buchte vor meiner Gabun-Reise nichts ausser der ersten Nacht im Hotel, weil man weiss nie, wen man trifft, was man noch erfährt, wo sich noch eine Möglichkeit auftut. Statt ein Reiseprogramm packte ich vor allem gestählte Nerven und viel Offenheit in meinen Rucksack.
Ich verstehe alle, die mit Afrika nichts anfangen können. Es ist fraglos anders und speziell. Es wäre einfach wünschenswert, wenn sie ihr Urteil nicht mit den in Europa erhältlichen Informationen und Meinungen fällen würden. Es gibt auf dem schwarzen Kontinent noch mehr als Korruption, Krieg, Krankheiten und Probleme. Ich habe menschlich nur gute Erfahrungen gemacht. Die Leute sind freundlich, hilfsbereit und offen.
Jeder, der sich etwas mehr Gelassenheit und Spontanität wünscht, dem empfehle ich eine Reise nach Gabun. Oder in andere afrikanische Länder – da ist sie wieder, diese Verallgemeinerung. «This is Africa!», ein Ausdruck, den man auf dem ganzen Kontinenten immer wieder hört, wenn etwas nicht funktioniert wie es sollte. Oder aus irgendeinem Grund doch plötzlich klappt. Die Erfahrungen sind unbezahlbar. Nirgends lernt man so viel wie auf Reisen.
Ähnlich läuft dies auch mit dem Afrika-Cup. Das Turnier war einmal mehr voller Überraschungen. Eine Vorhersage zu treffen, war fast unmöglich. Wer hätte schon gedacht, dass Kamerun – praktisch mit einem B-Team angereist – den Titel gewinnt? Dass die Elfenbeinküste in der Gruppenphase scheitert? Dass Senegal so früh rausfliegt? Dass Ägypten doch wieder gefährlich wird?
Klar, die fussballerische Qualität hat vermutlich wieder etwas abgenommen. Afrikas Fussball droht den Anschluss an die Weltspitze immer mehr zu verpassen. Die Plätze waren teilweise in katastrophalem Zustand und das Niveau oft entsprechend. Aber ich sag's euch: Bei diesen Temperaturen will man eigentlich gar nicht 90 Minuten rennen. Nur schon auf der Tribüne schwitzte ich jeweils, bis ich bachnass war.
Aber die Freude und der Enthusiasmus, mit denen die Fans mitfiebern – die ist unbeschreiblich. Das zeigt sich nicht in den Zuschauerzahlen, besonders in Gabun nicht. Viele protestierten mit einem Boykott gegen Präsident Ali Bongo. Aber Fussball wird in den Strassen gelebt. Unzählige «Public Viewings» mit kleinen Röhrenbildschirmen sorgen für eine spezielle Stimmung.
Dazu kann man gleich neben dem Stadion in eine Bar sitzen, wo ein paar Plastikstühle aufgestellt sind. Hier gibt es zu lauter Musik etwas zu trinken. Wer auch noch was essen will, der holt es sich vom Grill nebenan. Nichts ist eindeutig reglementiert und perfekt. Die WM und die EM scheinen auf einem anderen Stern stattzufinden. Fussball-Romantiker kommen hier auf ihre Kosten. Alles funktioniert einfach oder eben nicht. Aber meistens schon.
Und wenn nicht, dann sitzt du vielleicht plötzlich in einer Bar in Librevilles Ausgehviertel Louis, bestellst auf all die zermürbenden Erfahrungen und Verhandlungen im Alltag ein Bier und ein etwas dicker Typ steht dir plötzlich gegenüber. «Aus der Schweiz. Ich besuche den Afrika-Cup», antworte ich ihm.
Er fragt mich nach meinem Namen, stellt sich als Carlo vor, zeigt dem Barkeeper, dass das Bier auf ihn gehe und sagt mir, ich soll doch mitkommen zum Tisch seiner Freunde. Alleine in einer Bar sitzen, das geht hier nicht. Kaum bin ich dort allen vorgestellt stehen drei weitere Getränke vor mir. Alle wollen mich einladen.
Es wird ein witziger Abend und ich bin gar nicht mehr enttäuscht, wurde ich aus dem Flug nach Oyem gestrichen. Afrika halt – geht eine Tür zu, öffnet sich eine andere. Es gibt trotz allen Problemen keinen besseren Sportanlass als den Afrika-Cup. Ich freue mich schon auf die Austragung 2019 in Kamerun.