Daueroptimisten sollten besser aufhören zu lesen. Wir verlassen die Sonnenseite.
Wir haben dich gewarnt. Also rein in die Welt der dunklen Gedanken. Lara Gut sagt: «Ich bin aufgewachsen mit der Einstellung, in allem immer nur das Positive zu sehen. Nach Enttäuschungen habe ich versucht, sofort nach vorne zu schauen. Mittlerweile akzeptiere ich, dass ich mich nach einem enttäuschenden Rennen einfach nur scheisse fühlen darf.»
Eine riesige Enttäuschung erlebte Lara Gut im olympischen Super-G. Die 26-Jährige verpasste Bronze um eine und Gold um zwölf Hundertstelsekunden. Im Ziel weinte sie. Zu gross war der Schmerz und zu gross die Enttäuschung. «Es ist bitter und es tut weh», sagte sie wenig später. Lara Gut liess ihrem Scheissgefühl Raum. «Früher habe ich mich nicht getraut zu sagen, dass ich enttäuscht bin.»
Das liegt auch an ihrer Geschichte. Als sie mit 16 Jahren in der Abfahrt in St.Moritz stürzte, über die Ziellinie schlitterte und trotzdem Rang drei belegte, lächelte danach ein junges und verschmitztes Mädchen in die Kameras. Aus Lara Gut wurde bald eine, die immer lacht. Tränen passten nicht in das Bild des Sonnenscheins aus dem Tessin. Diese Fassade versuchte sie selbst aufrechtzuerhalten. Eben auch, weil sie Angst hatte, dass anderes als Heiterkeit als falsch angesehen wird.
So tapfer sie auftrat und immer lachte. In Lara Gut drin übernahm die Traurigkeit. Erst im vergangenen Jahr begann sie darüber zu erzählen. Sie sprach von Unsicherheit und Einsamkeit, von Druck und Zweifeln. Und darüber, dass sie erst jetzt das Gefühl habe, zur Frau geworden zu sein. Sie ist 26 Jahre alt.
Heute hat Lara Gut die Reife und Selbstsicherheit, zu sein, wie sie ist. Jemand, der Traurigkeit zulassen kann. «Es tut mir leid, wenn das jemand nicht verstehen kann.» Sie korrigiert die Fassade und es tut ihr sehr gut. Zu lange musste sie ohne Schattenseite existieren.
Es ist eine Floskel, aber eben so passend: Leidenschaft ist etwas, das Leiden schafft. Darum weinte Lara Gut nach Rang vier im Super-G. Schon zum vierten Mal wurde sie an einem Grossanlass Vierte. 2014 an den Winterspielen ebenfalls im Super-G. 2011 an der WM im Super-G und in der Abfahrt. «Wir fahren, um Gold zu gewinnen», sagt Lara Gut. «Wir fahren, weil wir wissen, dass wir die Möglichkeit dazu haben. Wir stecken so viel Zeit und Energie in unseren Sport, da wäre es einfach schön, wenn es klappt.» Bei Gold ist es Leidenschaft, ohne Medaille nur Leid.
«Manchmal denke ich, dass Gold nie mehr kommt. Und nach einem so engen Rennen dachte ich, was mache ich falsch, dass es nicht kommt», sagt die 24-fache Siegerin im Weltcup. Eine olympische und zwei WM-Bronzemedaillen hat sie in ihrer Karriere schon gewonnen. Dazu kommen drei WM-Silbermedaillen. Und zur Erinnerung: Als Lara Gut an den Olympischen Spielen 2014 in Sotschi hinter Dominique Gisin und Tina Maze Bronze in der Abfahrt gewann, war sie nur zehn Hundertstel langsamer als die zeitgleichen Olympiasiegerinnen. Das sind so gar noch zwei weniger, als ihr am Samstag im Super-G zu Gold fehlten.
In der Nacht auf Mittwoch (3.00 Uhr Schweizer Zeit) bekommt die Tessinerin nun eine nächste Gold-Chance in der Abfahrt. Bereits einen Tag nach den Super-G-Tränen fand das erste Training statt. Das hat Lara Gut geholfen. «Ich liebe das Skifahren. Und ich freute mich darauf. Das hilft enorm. Diese Leidenschaft zeigt mir nach jedem Tief, dass es richtig ist weiterzumachen.»
Da ist sie also doch noch, die Passage für Optimisten, die trotz Warnung bis hierhin gelesen haben. Denn obwohl Lara Gut sagt, dass sie heute länger brauche, um Enttäuschungen zu verarbeiten, blickt sich nach ihrem Seelenschmerz optimistisch in die Zukunft.
In der Abfahrt gehört sie nach ihrem Kreuzbandriss vom Februar 2017 zwar noch nicht zu den Topfavoriten. Trotzdem ist möglich, dass nach diesem Rennen die Glücksgefühle überwiegen.