Der «Spirit of Curling» ist der Grund, weshalb die Szene ausser sich ist. Gilt der Fussball mit seinen Schwalbenkönigen und Simulanten längst als verdorben, so ist der Curling-Sport rein und unbefleckt. Eine heile Welt voller Gentlemen und -women. Curling sei ein Sport, zu dem «eine bestimmte geistige Haltung» gehöre, heisst es im «Spirit of Curling».
Hat Martin Rios diesen besonderen Geist beschmutzt? Am Wochenende an den Schweizer Meisterschaften im Mixed-Curling, das 2018 erstmals olympisch sein wird, kommt es zu dieser Szene:
Martin Rios und seine Partnerin Jenny Perret vom CC Glarus gewinnen dank dieses Steins im Zusatzend die Vorrundenpartie gegen Limmattal 1 und werden später Schweizer Meister.
Nach der Partie hagelt es happige Vorwürfe: Rios habe den Stein getreten und damit auch den edlen Geist des Curling-Sports. Simon Strübin, der 2010 in Vancouver Olympia-Bronze gewann, stellte das Video der Szene auf Facebook und kommentierte: «Schämt Euch!» Strübin spricht von einem unsportlichen Verhalten des Duos Rios/Perret und davon, dass es unmöglich sei, eine solche Berührung nicht zu bemerken.
Claudio Pescia, einst Vize-Weltmeister, riet dem Glarner Duo einen Tag nach dem umstrittenen Spiel: «Unternehmt jetzt etwas, es wäre noch rechtzeitig. Dem Curlingsport zuliebe! So etwas kann man nicht unter den Teppich wischen, auch wenn es keine Absicht war.» Auch bei Pescia schimmert, wie bei allen direkt und indirekt Beteiligten durch, wie heilig der «Spirit of Curling» ist und wie sehr sich Spieler an ihn halten sollen.
Im Verlaufe des heutigen Tages wird nun Rios zum Vorfall von der Swiss Curling Association (SCA), die eine Untersuchung eingeleitet hat, befragt. Bis zu deren Abschluss wollen die Beteiligten keine Stellung nehmen.
Der 35-jährige Rios, welcher im Schweizer Verband im Nachwuchsbereich tätig ist, liess sich schriftlich zitieren. Er habe keine Berührung wahrgenommen, auch wenn es auf den Videobildern in der Tat so aussehe, dass eine stattgefunden haben könnte.
Falls es eine Berührung gegeben hat, welche die Richtung des Steins massgeblich beeinflusst hat: Wieso haben die Gegner nichts bemerkt, wenn sie doch unmittelbar daneben gestanden sind? Mario Freiberger, der die umstrittene Partie gemeinsam mit Partnerin Michèle Jäggi 6:7 verloren hat, möchte sich auf Anfrage mit dem Hinweis auf das laufende Verfahren nicht äussern.
Auf Facebook schreibt das Duo von einem «Fehler, zu wenig interveniert zu haben». Freiberger und Jäggi sind enttäuscht darüber, dass ihr «Traum, die Schweiz an der WM und eventuell auch den Olympischen Spielen zu vertreten» geplatzt sei.
An den nächsten beiden Weltmeisterschaften werden die Quotenplätze für das erste olympische Mixed-Turnier vergeben. Stand jetzt können sich die Schweizer Meister Martin Rios und Jenny Perret Hoffnungen darauf machen. Sofern das Resultat vom Wochenende nicht noch geändert wird.