Mit diesen Worten beginnt das Bekenntnis des Schweizer Naturforschers Arnold Heim (1882–1965), mit dem er 1942 die Welt beschenkt, während diese in den Flammen eines grauenvollen Krieges aufgeht.
Arnold Heim wollte mit seinem Buch niemandem den Glauben nehmen und auch niemanden kränken. Es war nur so, dass sein unablässiges Streben nach der Wahrheit über das uneigennützige und unvoreingenommene Forschen führte, so wie es seine «verehrten Eltern» Marie Heim-Vögtlin – die erste Schweizer Ärztin und Mitbegründerin des ersten Schweizer Frauenspitals – und der Geologe Albert Heim ihm vorgelebt hatten.
Er reiste in alle Erdteile, suchte nach Öl, vermass Berge und machte bahnbrechende Untersuchungen über die Zusammenhänge zwischen Sedimentation und Tektonik. Doch Arnold Heim studierte nicht nur die Natur, sondern auch die ihm fremden Völker. Und was er da sah, machte ihn zum Kritiker des westlichen Lebensstils, zu einem Pionier der Entkolonialisierung und des Naturschutzes.
Heim glaubte nicht an den einen Schöpfer, er war Pantheist, er verehrte die Schönheit der Natur, in dessen Vielfalt er das Göttliche erblickte. Er schrieb: «Welch wunderbare Mannigfaltigkeit ist in der Zauberpracht der Blüten und Schmetterlinge zur Schau gelangt! Es ist der äusserste Ausdruck göttlicher Liebe.»
Nicht Gott hat die Welt erschaffen, sondern die Welt hat Gott erschaffen – oder wie es Goethe einst ausdrückte:
Arnold Heim sah mit eigenen Augen, was in den Gegenden geschah, in denen man von diesem Gott noch nie etwas gehört hatte. Wie man ihn den Menschen dort aufzwang.
Wie fanatisch die christlichen Missionen versuchten, den Naturvölkern das «Heil» zu bringen – mit tatkräftiger Unterstützung der Kolonialregierungen.
Wie die «Herrschsucht der weissen Rasse» den Untergang der Azteken und Inkas in Südamerika nach sich zog, die Indianer in Nordamerika tötete und unzählige Völker und Stämme in Afrika, Asien, Australien und der gesamten Inselwelt des Pazifiks erst entwurzelte, dann ausbeutete und am Ende ganz auslöschte.
Manch ein Missionar empfand das Aussterben solcher Menschen dann auch besser als ihr heidnisches Fortleben: «Jedes Mittel ist gut, wenn es zum Zwecke der Mission führt; jeder Krieg, jede Revolution wird dadurch geheiligt», sagte ein protestantischer Pfarrer aus Bern.
Mit Schlägen führte man die Eingeborenen dem Christentum zu. Selbst die Eskimos* in Grönland seien von den dänisch-norwegischen Missionaren mit einem Tauende auf ihre nackten Rücken geschlagen worden. Der Dorfälteste lud die Männer daraufhin zu sich ein. «Die Güte kommt in gerader Linie aus ihrem Herzen», schreibt Heim.
Auch auf der zweitgrössten Insel der Erde, auf Neuguinea, wüteten die Europäer, hier in Gestalt von Niederländern, Briten und Deutschen. Der Schweizer Ethnologe Paul Wirz (1892–1955) weiss viel Trauriges über das melanesische Volk der Marind-anim im Westen zu berichten. Die Frauen und Männer lebten getrennt voneinander, doch die Niederländer zwangen sie in ihrem christlichen Glaubenseifer in dieselben Hütten. Wer nicht schnell genug sein Heim verliess, dem wurde es einfach über dem Kopf angezündet.
Man zwang die Einheimischen, gegen Kokosnüsse europäische Kleider zu kaufen. Durch sie aber wird «das herrlichste aller Desinfektionsmittel, die Sonnenstrahlung, ausgeschaltet, und [die Einheimischen] werden zum Herd von Infektionskrankheiten, vor allem der Tuberkulose», schreibt Heim. Er hatte die Frassspuren des Ringwurms an den Körpern der Papua selbst gesehen. Und nicht nur das – auch Geschlechtskrankheiten brachte man ihnen.
Ihre Haarpracht wurde ihnen abgeschnitten und die Kinder prügelte man in die Missionsschulen, während sich Protestanten und Katholiken gegenseitig die Häuser abfackelten.
Die britischen Kolonialisten sagten gern, dass der unzivilisierte Eingeborene ein Gentleman sei, der zivilisierte aber ein Gauner. Denn er hatte von den Eroberern das Lügen und das Stehlen gelernt, dass er vorher nicht kannte.
Der lutherische Missionar Christian Keysser (1877–1961) schrieb, weit einsichtiger als andere: «Das Papuavolk will wirklich christlich sein in all seinem Tun und Treiben, auch in seinen Festen. Bei uns in Europa hat man zwei Gesichter, ein geistliches und ein weltliches, einen doppelten Mund, ein doppeltes Herz.»
Ein Papua, der schreiben gelernt hatte, schrieb dem Missionar zwei Jahre nach seiner Rückkehr nach Deutschland:
Auf die Frage, ob die eingeborenen Bergvölker West-Neuguineas durch die Misssion glücklicher werden, sagte der katholische Pastor Tillemans von Oeta: «Das vielleicht nicht, aber sie werden eine höhere Auffassung des Lebens gewinnen.»
In Mexiko wütete bereits im Jahre 1531 der spanische Conquistador Cortés, der die Azteken niedermetzelte, während sein Landsgenosse Pizarro das Reich der Inka zerstörte. Innerhalb einer fünfzigjährigen Kolonialtätigkeit brachte es seine Schar blutrünstiger Spanier zustande, ein hochstehendes Kulturvolk von 10 bis 20 Millionen Menschen umzubringen.
Weiter im Süden bildeten sich die ausbeuterischen Kautschukgesellschaften, die den Indianern billigen Branntwein brachten und sie in die Schulden trieben, um sie dann versklaven zu können.
Der deutsche Anthropologe Theodor Koch-Grünberg (1872–1924), der im brasilianischen Amazonas starb, schrieb:
Die Maori auf Neuseeland hielten ihren Missionaren vor:
Auf den Hawaii-Inseln wurde «son of a missionary» zum Schimpfwort. In Neukaledonien sah Heim betrunkene Eingeborene in der Nähe der Zuckerrohr-Schnapsbrennerei herumliegen, die zu einer katholischen Missionsstation gehörte. Auch sie waren entrechtet, auch für sie galt der französische Wahlspruch «Liberté, Egalité, Fraternité» nicht.
Auch in Australien und Tasmanien wurden ganze Stämme niedergemacht. Paul Sarasin (1856–1929), der Schweizer Naturforscher und Mitgründer des Schweizerischen Nationalparks, schrieb 1914:
Diejenigen, die dem Tod entrinnen, geraten in die sogenannte Zivilisation und werden da zu Bettlern, Alkoholikern und sterben irgendwann, tief deprimiert, ebenso. «Da wird es begreiflich, dass die Eingeborenen sagen: ‹Wir wollen lieber aussterben›», schreibt Heim.
Auch auf dem schwarzen Kontinent haben sich die Weissen «bewährt». Im imperialistischen Wettbewerb versuchten sie sich gegenseitig zu übertrumpfen. Jeder wollte «einen Platz an der Sonne» ergattern.
Erst kamen die Forscher und zeichneten Karten, dann folgten die Missionare und bald schon begannen die Dampfschiffe die Flüsse zu befahren, während die Eisenbahn das Land zerschnitt. Der Erde wurden Erze und Diamanten geraubt und für die in Europa so hoch geschätzten Kolonialprodukte wie Kaffee oder Tee liess man die Eingeborenen als Sklaven schuften.
Um die gewaltsame Ausbeutung als Zivilisierungsakt zu rechtfertigen, sprach man von den «Primitiven» als minderwertige Rasse, die sich irgendwo sehr nahe am Tier auf niederer Kulturstufe herumtummle.
Der schwedische Geograph und Reiseschriftsteller Sven Hedin (1865–1952), der auf einem seiner Expeditionen nach Zentralasien den Transhimalaya entdeckt hatte, schrieb:
Die Irokesen in Nordamerika bewohnten vor dem 17. Jahrhundert das ganze riesige Gebiet von der atlantischen Küste bis zum Tennessee – dann kamen die Weissen. Prämien wurden auf ihre Skalpe und Ohren bezahlt, bis sich die Übriggebliebenen nach Westen zurückzogen.
Im Jahr 1784 wurde ihnen das Land zwischen den Seen Ontario, Huron und Erie auf alle Zeiten zugesprochen – die Freiheitsbriefe wurden vom Gouverneur der Kolonie Kanada im Namen von König Georg III. unterzeichnet. Die Irokesen begruben daraufhin die Waffen und lebten als friedliche Ackerbauern. Ihre Häuptlinge wurden von den Müttern nach dessen Charaktereigenschaften gewählt, denn sie waren matrilinear orientiert: Das Oberhaupt einer Familie war immer eine Frau und die Kinder gehörten zur mütterlichen Linie.
1914 erzwang die kanadische Regierung die Teilnahme der Irokesen am Ersten Weltkrieg – bei Weigerung hätte man sie einfach entrechtet. 300 wurden eingezogen, 40 von ihnen fielen auf dem Schlachtfeld.
Entgegen der Versprechungen setzte man nach dem Krieg den Indian Act von 1906 wieder in Kraft, in dessen Paragraph 2c es heisst: «Person bedeutet ein Individuum – ausgenommen Indianer.» Mit diesem Geheimgesetz fühlte sich die kanadische Regierung im Recht, den Irokesen alles wegzunehmen.
Einige reisten für eine Petition nach Ottawa, wo ihnen die Türen verschlossen blieben. Churchill antwortete, ihre Sache gehe ihn nichts an. Und als Häuptling Deskaheh mit den Freiheitsbriefen nach Genf reiste, um sich vor dem Völkerbund Gehör zu verschaffen, wurde er nicht zugelassen.
Am 21. Oktober 1924 überfiel die kanadische Militärmacht das Land der Irokesen und raubte die Freiheitsbriefe. Bald darauf starb Deskaheh in Verzweiflung.
Nicht nur Menschen litten und leiden unter Menschen, auch das Gesicht der Erde wandelte sich unter ihren Händen. Arnold Heim versuchte mit seinem Bekenntnis vor dem kurzsichtigen und zerstörerischen Umgang mit der Natur zu warnen, dessen Anfang in der Jungsteinzeit liegt, als die ersten sesshaft gewordenen Menschen den Boden zu kultivieren begannen. Dafür fällten sie Bäume und brannten ganze Wälder nieder.
In Sumatra, so schreibt der Naturforscher weiter, konnte sich ein Affe einst von einer Küste zur andern durch die Kronen schwingen, ohne den Boden zu berühren. Nun aber stünden grosse Tafeln am Tobasee: «Waldreservation» ist auf ihnen zu lesen – wo weit und breit der Urwald verschwunden ist.
Heute geht man davon aus, dass sich die Waldfläche weltweit jährlich um rund 30 Millionen Hektar verkleinert – eine Fläche fast so gross wie Grossbritannien und Irland zusammen.
Genauso aktuell wie sein Appell, die Wälder zu schützen, ist sein beherztes Eintreten für die Tierwelt. Er schreibt vom unerhörten Schlachten der Grossfauna-Tiere, von den Tränen, die ein kleiner Elefant weinte, als seine Mutter wegen ihrer wertvollen Stosszähne abgeschossen wurde. Er schreibt von den Zebra-Fellen auf den Autositzen der weissen Männer und der Hutmode der weissen Damen, die nach den schönen Zierfedern der Kolibris und Paradiesvögel verlangte.
«Soll noch erwähnt werden, dass diesen fröhlichen, glänzenden Vögelchen die Bälge vom lebenden Leib abgezogen werden, damit der Glanz des Gefieders erhalten bliebe?» Diese Mode ist glücklicherweise überwunden, nicht aber die des Pelzes.
Aus dem Pinguin, «dem merkwürdigsten und drolligsten Geschöpf der Antarktis», gewann man Öl, «indem man die Leiber in geschlossenen Behältern zu je 800 Stück auskochte». Bei den Walen ging die Jagd so weit, dass heute unzählige Arten vom Aussterben bedroht sind.
Und nach all dem Schrecklichen, von dem Albert Heim zu berichten weiss, verlangt er von den Menschen vor allem eines; Ehrfurcht vor dem Leben:
*Eskimo:
Wir verwenden hier die Bezeichnung für die Indigenen Grönlands, wie sie Albert Heim 1942 benannte. Inuit bezeichnet heute diejenigen Volksgruppen, die im arktischen Zentral- und Nordostkanada sowie auf Grönland leben. Die Bezeichnung Eskimo wird als Oberbegriff benutzt, der auch die verwandten arktischen Volksgruppen der Kalaallit (Grönländer), Iñupiat (in Nordalaska) und Yupik (beiderseits der Beringstrasse) umfasst. Inuit ist deshalb kein Ersatz für den Terminus Eskimo und ist auch nicht im Wortschatz aller um den Nordpol lebenden Volksgruppen enthalten.
**degeneriert:
Das Wort benutzte Heim in diesem Sinne, dass durch den Kontakt mit den Weissen (Alkohol- und Tabaksucht, Geschlechtskrankheiten) und ihre Zwangsmassnahmen (Bekehrung zum christlichen Glauben, Schul- und Kleiderzwang, Sklavenarbeit) die indigenen Völker physisch und psychisch zerstört wurden.