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Sektenblog: Corona war gestern, heute ist Putin ihr Held

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Corona war gestern, heute ist Putin ihr Held

Der wundersame Wandel mancher Massnahmengegner.
12.03.2022, 07:44
Hugo Stamm
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«Corona, war da mal was?» – fragt sich heute mancher. Hat bis vor zwei Wochen die Pandemie die weltweiten Schlagzeilen beherrscht, wird sie aktuell von der Berichterstattung über Putins Krieg gegen die Ukraine abgelöst.

Für die Coronaskeptiker und Massnahmengegner ein Schock. Standen sie zwei Jahre lang im Zentrum der öffentlichen Diskussion, finden sie sich unversehens im Abseits wieder. Sind ihre Demonstrationen auf ein paar Hundert geschrumpft, gehen Zehntausende wegen des Kriegs in der Ukraine auf die Strasse und setzen ein Zeichen für den Frieden.

Vereinzelte Massnahmengegner und Corona-Skeptiker demonstrieren gegen Corona-Massnahmen der Regierung, aufgenommen am Samstag, 12. Februar 2022 in Zuerich. (KEYSTONE/Ennio Leanza)
Vereinzelte Massnahmengegner und Corona-Skeptiker demonstrieren gegen die Corona-Massnahmen der Regierung, aufgenommen am 12. Februar 2022. Bild: keystone

Mit einem Knall stehen Corona-Aktivisten einsam und verloren auf der Politbühne. Angesichts der Bomben und Granaten will kaum einer mehr den Klang der «Freiheits»-Trychler hören. Fertig lustig mit den grossen Happenings auf der Strasse, den Treffen der unheimlichen Patrioten. Alles, was die Skeptiker ausgemacht hat, bricht weg.

Zurück bleiben eine zerbröselnde Ideologie und ein sich verflüchtigender Lebensinhalt. So wie Coronaleugner und Massnahmenkritiker aus dem Nichts aufgetaucht sind, verschwinden sie wieder in der Bedeutungslosigkeit.

Gesucht: ein neues Thema

Weil dies schmerzt, ja richtig kränkt, kann nicht sein, was nicht sein darf. Also muss ein neues Thema her, das man mit Wut und Empörung bewirtschaften kann. Was liegt da näher, als das Thema, das derzeit alles dominiert? Also dem Ukrainekrieg.

Und da die Anthroposophen, Aluhüte, Verschwörungstheoretiker, Rechtsradikalen und Esoteriker ihre Sektenblase nicht verlassen können, ist die Stossrichtung klar: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Ihr Feind sind die hiesigen Politiker. Ergo muss Putin ihr Freund und Held sein.

Deshalb kann der Krieg kein richtiger Krieg sein, sondern ein Befreiungsschlag, der die gefrässige Nato in ihre Schranken weisen soll. So einfach geht Politik, wenn man die Realität den eigenen ideologischen Verblendungen anpassen muss.

Und klar: Wenn die angeblich von Neonazis politisch manipulierte ukrainische Bevölkerung Widerstand leistet, sind Putin und seine Armee gezwungen, auch Wohnhäuser zu bombardieren. Kollateralschäden, die sich leider nicht verhindern lassen und vom Feind aufgezwungen wurden, glauben und verkünden die Verschwörungserzähler.

Auch der Sektenchef Ivo Sasek sieht die Schuld beim Westen. In einem Video bezeichnet er die ukrainische Regierung als Putschregierung. Dem Westen drohe eine Katastrophe. Kriegsbilder kommentierte er mit den Worten: «So könnte man bald ganz willkürlich auf dich schiessen. Die Pilze könnten sich plötzlich über unseren eigenen Köpfen ausbreiten. So könntest auch du bald auf der Flucht sein.»

Das Dilemma der Coronaleugner und Impfgegner wurde Ende Februar manifest. Bei einer Demonstration im niedersächsischen Gifhorn gegen die Corona-Massnahmen sprach Bodo Schiffmann, eine zentrale Figur der Corona-Leugner-Szene in Deutschland, nicht nur über die Pandemie, sondern auch über den Ukraine-Krieg.

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Wörtlich sagte er: «Hier muss man den Notwehrparagrafen heranziehen, hier hat ein Führer eines Landes einen Befreiungsschlag ausgeführt.» Schiffmann bekam für seine Aussage einen warmen Applaus von den Corona-Skeptikern. Diese haben die Zeitenwende von der Pandemie zum Krieg offensichtlich bereits vollzogen.

Das könnte auch bei uns bald Realität werden. Bis Ende Juli sind in der Schweiz zehn weitere Corona-Demonstrationen in allen Landesteilen geplant.

Die bittere Erkenntnis: Der Krieg erhält die Corona-Szene am Leben.

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Hugo Stamm
Glaube, Gott oder Gesundbeter – nichts ist ihm heilig: Religions-Blogger und Sekten-Kenner Hugo Stamm befasst sich seit den Siebzigerjahren mit neureligiösen Bewegungen, Sekten, Esoterik, Okkultismus und Scharlatanerie. Er hält Vorträge, schreibt Bücher und berät Betroffene.
Mit seinem Blog bedient Hugo Stamm seit Jahren eine treue Leserschaft mit seinen kritischen Gedanken zu Religion und Seelenfängerei.

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487 Kommentare
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Gauchero
12.03.2022 09:30registriert Dezember 2021
Bei Verschwörungstheoretikern, Nazis und Frömmlern gab es ja schon immer eine grosse Schnittmenge.
Corona war gestern, heute ist Putin ihr Held\nBei Verschwörungstheoretikern, Nazis und Frömmlern gab es ja schon immer eine grosse Schnittmenge.
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Peppone
13.03.2022 11:12registriert November 2021
Es ist ja nur eine Frage der Zeit bis auch dieser Krieg im Namen des Glaubens geführt wird.
Den Segen der orthodoxen Kirche haben sie ja schon.
Corona war gestern, heute ist Putin ihr Held\nEs ist ja nur eine Frage der Zeit bis auch dieser Krieg im Namen des Glaubens geführt wird.
Den Segen der orthodoxen Kirche haben sie ja schon.
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Ali mini äntli
12.03.2022 07:58registriert September 2021
Dass von den Massnahmegegnern behauptet wird, der Westen ist schuld am Krieg in der Ukraine, musste ich auch schon mit erschrecken feststellen.
Putins Computerkrieger haben bei gewissen Leuten ihr Weltbild komplett verändert.
Bisher habe ich bei Corona-Skeptiker trotz aller Differenzen die Beziehung aufrecht erhalten. Aber wenn die nun Putin in den Himmel loben gibts für mich nur ein alter Spruch:

Moskau einfach
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