Luca Cunti wie Damien Brunner? Eine vielleicht meisterliche Transfermeldung
Das Problem lässt sich in einem Satz zusammenfassen. Transferiert wird ein Spieler. Aber es kommt ein Mensch.
Was kein Zufall sein kann: Hochtalentierte Spieler, die an anderen Orten scheitern, entfalten in Biel ihr Potenzial. Solche Transfers sind günstig. Einem gescheiterten Star eine neue Chance zu geben, ist günstiger, als einen Star beim Gegner abzuwerben. Sechsstellig günstiger. Ein paar Beispiele.
- Der Kanadier Marc-Antoine Pouliot (33) wird von Gottérons Sportchef Christian Dubé ausgemustert. Angeblich hatte er am Matchtag seine Schlittschuhe vergessen. Der NHL-Erstrundendraft wechselt im Herbst 2016 nach nur acht Partien zu Biel – und produziert seither fast einen Punkt pro Spiel. Soeben ist sein Vertrag bis 2020 verlängert worden.
- Damien Brunner (32) kehrt im Winter 2014 aus der NHL zurück und wird in Lugano nie ganz glücklich. Im Frühjahr 2018 löst er den weiterlaufenden Vertrag in Lugano auf. Nun ist er in Biel so gut wie nie mehr seit seinem Wechsel in die NHL während der Saison 2012/13.
- Anssi Salmela (33) diente seit 2012 in acht verschiedenen Teams. In Biel hat er die Magie seines Spiels wiedergefunden, skort mit ruhiger Kreativität und verteidigt mit der Verlässlichkeit der Schweizer Garde. Inzwischen ist er gar sesshaft geworden und hat bis 2020 verlängert.
- Robbie Earl (33) eilte aus was für Gründen auch immer der Ruf voraus, ein Rock’n’Roller zu sein. Inzwischen steht er in Biel in seiner vierten Saison – so lange war er in Europa nie beim gleichen Team – und ist von Langnau abgeworben worden. Ab nächster Saison stürmt der Amerikaner für die SCL Tigers.
- Tony Rajala (27) schien ein zerbrechlicher Schillerfalter zu sein. Biel aber setzte auf den finnischen Tempostürmer und Kunstschützen, der zuvor als Profi nie zwei Saisons hintereinander fürs gleiche Team stürmte. Inzwischen hat er den Vertrag bis 2022 verlängert.
Und nun also Luca Cunti (29). Im Laufe der Saison 2016/17 wechselte er noch während der Saison zu Kloten und zügelte anschliessend nach Lugano. Er war bei den ZSC Lions nicht mehr glücklich und hat auch in Lugano die Magie seines Spiels nicht mehr gefunden. Ab nächster Saison stürmt er für Biel. Vielleicht sogar als Center neben Damien Brunner. Den Transfer mit Vertrag bis 2021 hat Sportchef Martin Steinegger soeben am 24. Dezember bestätigt.
Diese Aufzählung ist alleine schon aus Platzgründen nicht vollständig. Dass die Bieler im Gegensatz zum SCB-Management das Potenzial von Samuel Kreis (24) richtig eingeschätzt haben, ist bloss noch eine Fussnote wert.
Warum ist Biel der erfolgreichste Klub bei der Rekrutierung vergessener Talente?
Glück ist, wie immer im Leben, auch dabei. Aber Sportchef Martin Steinegger macht eben auch sehr vieles richtig.
Ein wichtiger Faktor ist die ganz besondere Kultur der Hockeyfirma EHC Biel. Immer wieder bestätigen es auch weitgereiste Spieler: bei hohen Leistungsanforderungen ist es in Biel gelungen, einen familiären «Grove» zu bewahren. Mit Antti Törmänen haben sie auch den passenden Trainer gefunden.
Kein Wunder, dass in Biel sensible, anderorts verkannte «Desperados» wieder zu ihrem besten Hockey zurückfinden. Den passenden Trainer zu verpflichten, ist auch Teil einer erfolgreichen Transfer-Strategie.
Aber da ist noch etwas. Biel arbeitet mit einem langjährigen NHL-Scout zusammen. Mit Thomas Roost.
Nun mag man einwenden, ein Scout (Talentsucher) koche auch nur mit Wasser. Der Sportchef hat ja Zeit und Musse, die Spieler zu beobachten und braucht nicht noch einen auswärtigen Mitarbeiter.
Aber ganz abgesehen davon, dass Thomas Roost zu jenen Kennern mit weltweitem Hockey-Beziehungsnetz gehört, die schon mehr über Hockey vergessen haben, als andere je gewusst haben, verfügt er noch in einem anderen Bereich über wertvolles Wissen: Er ist hauptberuflich Personalchef in einer grossen, international tätigen Firma. Stärken und Schwächen von Menschen zu erkennen, das Wissen über «weiche Faktoren» also, die in den Statistiken nicht zu erkennen sind – auch das ist ein Erfolgsgeheimnis.
Ohne jede Boshaftigkeit sei hier erwähnt, dass auch der SCB einst mit Thomas Roost gearbeitet hat. Aber das ist lange her. Längst hat ihn Biel unter Vertrag genommen.
Sportchef Martin Steinegger und Thomas Roost sind zum Schluss gekommen, dass es sich lohnt, in Luca Cunti zu investieren. Wir gehen kein Risiko ein, wenn wir jetzt sagen, dass der vergessene WM-Silberheld von 2013 wieder ein dominierender Center wird und seine besten Jahre noch nicht hinter sich hat. Vielleicht wird er gar das fehlende Teilchen zu einem Meister-Puzzle. Bei den ZSC Lions hat er gelernt, wie Meisterschaften gewonnen werden.
Sind die Bieler gar unfehlbar? Nein. Das ist in einem Geschäft gar nicht möglich, dessen Grundlage ein unberechenbares Spiel auf rutschiger Unterlage ist. Und von Männern zelebriert wird, die bezahlt werden, um zu spielen und nicht um zu arbeiten.
Der bisher spektakulärste Irrtum war Daniel Steiner. Ein hochbegabter Vollstrecker mit untadeliger Berufseinstellung. Ein liebenswerter Rock’n’Roller. Aber eben auch ein nicht nur taktisch unbezähmbarer Individualist. Er ist dem Hockey-Business als TV-Experte treu geblieben.
Entscheidend ist am Ende des Tages nicht, ob man sich geirrt hat. Sondern wie man auf diesen Irrtum reagiert. Um es mit dem Dichterfürsten Goethe zu sagen: «Irrend lernt man».
Als Martin Steinegger seinen Irrtum erkannte, handelte er unerbittlich. In zwei Sätzen verkündete er am 23. Juni 2016 die Trennung von Daniel Steiner. Trotz Vertrag bis 2017. Daniel Steiner durfte nicht einmal mehr mit dem Team trainieren und selbst der Versuch Steiners, eine Trainingsteilnahme gerichtlich einzuklagen, beeindruckte Biels Sportchef nicht mehr.
Und weil grad Weihnachten ist, sei auch dies noch erwähnt: Es ist kein Zufall, dass Kevin Schläpfer in Biel ein «Hockey-Gott» geworden ist und als Trainer noch an keinem anderen Ort «funktioniert» hat.
Weil grad Weihnachten ist, ein Wunsch an Langenthals Sportchef Marc Eichmann: Ruf doch mal Kevin Schläpfer an! Der SC Langenthal, der B-Meister von 2017, hat acht der letzten neun Spiele verloren.