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Du willst nur das Beste? Voilà:
Ich und Sekten? Nie und nimmer, denkst du. Wie auch die meisten Menschen. Dann gehst du an die Züspa und lässt dich an einem Verkaufsstand von einem Aussteller blenden, der dich mit seinem Redeschwall schwindlig quasselt.
Und ehe du dich versiehst, trottest du mit einem supergenialen Staubsauger heim, der auch Fusel aufsaugt, die Lichtjahre von deinem Stubenteppich entfernt vor sich hinlümmeln. Auf dem Heimweg kommt dir dann in den Sinn, dass du vor drei Monaten schon einen neuen Staubsauger gekauft hast.
Ja, Sekten sind etwas für andere, glaubst du. Und überhaupt: Gibt es
heute noch Sekten? Man liest ja kaum mehr von diesen überspannten religiösen
Bewegungen und Kulten (ausser natürlich an dieser Stelle). Wir sind inzwischen doch aufgeklärt, geistig unabhängig, und die Welt
säkularisiert sich laufend. Dabei vergisst du, dass du mit einem neuen
Staubsauger heimwärts trottest.
Wir Menschen fühlen uns meist psychisch und mental stark. Geistig autonom und unantastbar. Das brauchen wir, um ein Selbstwertgefühl aufzubauen. Denn wer sich als Loser fühlt, wird auch als Loser enden. Nur: Es gibt auch ein ungesundes Selbstwertgefühl, das kein Fundament hat.
Es entsteht dann, wenn wir uns masslos aufplustern und überschätzen. Dann sind wir anfällig für Sekten. Wir sind nicht geerdet, sondern schweben einen Meter über dem Boden. Schiebt uns dann jemand eine Bühne unter die Füsse, heben wir vollends ab. Ist der Bühnenbauer zufällig eine Sekte, schnappt die Falle zu.
Casting-Hypes und der Selbstdarstellungs-Wahn sind deutliche Anzeichen dafür, dass die Blütezeit der Sekten noch lang nicht vorüber ist. Ihr gesellschaftlicher Nährboden ist nicht ausgetrocknet, die Sehnsucht vieler Menschen nach spirituellen Wundern, Anerkennung, Zugehörigkeit und Geborgenheit ist wohl stärker denn je.
Das sind wichtige Voraussetzungen für Sekten, um Leute zu umgarnen, ihnen den Schmus zu bringen, sie in eine Gegenwelt voll vermeintlichem Glück und Erfüllung zu locken und ihnen die absolute Erlösung zu versprechen.
Deshalb noch einmal: Gibt es denn überhaupt noch Sekten?
Und ob. Sie haben jedoch die Stiefel ausgezogen und wandeln auf Samtpfoten. Sie geben sich smart und verstecken die Keule unter der Sektenkutte. Die Sektenlandschaft ist im Wandel. Individualisierungstendenzen und Verweltlichung färben auf das spirituelle und religiöse Milieu ab. Die grossen Sekten verlieren an Attraktivität und befinden sich im Krebsgang.
Dafür wuchern die kleinen Gruppen. Allein in der Schweiz sind es rund 1000. Diese erkennen, dass die Leute heute nicht mehr zu Zehntausenden vor einem indischen Guru in die Knie gehen wollen. Nein, heute herrscht die Wellness-Spiritualität, die Anhänger wollen sich die Seele individuell massieren lassen.
Die modernen Gurus leben mitten unter uns. Sie kommen uns als Meditations- oder Yogalehrer entgegen, als spirituelle Meister, Geistheiler, esoterische Heilsverkünder oder Anbieter der Alternativmedizin.
Nicht, dass diese Vertreter der spirituellen Parallelwelt allesamt Sektenführer wären. Doch unter den Zehntausenden von Anbietern finden sich viele schwarze Schafe, die ihre angebliche spirituelle Autorität nutzen, um nach den Seelen Suchender zu greifen, Macht zu erlangen und reich zu werden.
Die Gurus der neuen Generation profitieren von den Säkularisierungstendenzen. Die christlichen Kirchen leeren sich, doch die Summe der religiösen Bedürfnisse bleibt in etwa konstant. Leute, die spirituell interessiert sind oder das «Gottesgen» in sich tragen, suchen nach Alternativen im esoterischen oder spirituellen Milieu.
Da der heutige Religionsmarkt nach kapitalistischen Prinzipien funktioniert, findet sich für jedes Bedürfnis rasch ein Angebot. Ganz nach dem Motto: Wahr ist, was mir guttut und viel kostet. Denn ein billiger Götze ist nichts wert. Das haben wir in der Konsumwelt gelernt. Und viele Suchende verinnerlichen es auch im religiös-spirituellen Raum.