Esoteriker sind erfinderische Leute. Sie leben in einer Welt, in der alles Realität wird, was sie in ihrer überbordenden Fantasie für möglich halten. Oder was ihnen angeblich aufgestiegene Meister in einer Channeling-Session auf geheimnisvolle Weise eingeflüstert haben. Und so treibt der Milliardenmarkt des Übersinnlichen immer neue Blüten.
Es ist angesichts der harten Realität verständlich, dass sensible Menschen in eine Parallelwelt flüchten, in der es keine Ecken und Kanten gibt. In der ewige Harmonie und Frieden herrschen. Doch wenn der spirituelle oder esoterische Geist in die Alltagsrealität einbricht, wird es abenteuerlich.
So geschehen kürzlich in Braunschweig. Hauptakteurin der fantastischen Geschichte ist Melanie Rüter, eine Elfenbeauftragte. Diesen Titel verdankt sie ihrer Fähigkeit, mit der Natur und ihren sichtbaren und unsichtbaren Wesen kommunizieren zu können, wie sie erklärt.
Am Anfang der Geschichte standen Unfälle auf der deutschen Autobahn A2, der Ost-West-Verbindung durch Niedersachsen. Auf diesem mehrspurigen Strassenband ereigneten sich in letzter Zeit überdurchschnittlich viele Unfälle. Melanie Rüter, die Elfenexpertin, glaubte, die Ursache zu kennen. Bei mehreren Unfällen seien aufgebrachte Naturwesen am Werk gewesen, die sich die Natur zurückholen wollten, wie deutsche Medien diese Woche berichteten.
Ihre Erkenntnisse meldete Rüter den Behörden und bot ihnen an, mit den Elfen, Trollen und anderen Naturgeistern Kontakt aufzunehmen und sie zu besänftigen. Mit ihrer Idee fand sie offene Ohren bei der Niedersächsischen Landesbehörde für Strassenbau und Verkehr.
Und so planten die Elfen- und Strassenexperten eine gemeinsame Reinigungsaktion der übersinnlichen Art, um die Unfallserie zu stoppen. Die Elfenbeinbeauftragte holte die Tierkommunikatorin Marion Lindhof ins Boot, die mit den Kleintieren entlang der Autobahn sprechen wollte, um zusätzliche Informationen zu bekommen. Tiere seien ehrlich und würden nicht lügen, versicherte sie.
So konnte die Aktion «Besänftigung der Elfen und Naturgeister» beginnen. Unter dem Begleitschutz von zwei Mitarbeitern der Autobahnbehörden von Braunschweig fuhr die übersinnliche Expeditionstruppe zu fünf neuralgischen Punkten, abgesichert von einem Lastwagen.
Dabei nahm das esoterische Dreamteam alle Schwingungen der Elfen und Naturgeister wahr. Es seien traurige Schwingungen gewesen, berichtete Rüter. Sie stellten auch ein schlechtes Feng Shui fest. Also besänftigten die beiden Frauen die aufgebrachten Elfen und versiegelten die neuralgischen Strecken der Autobahn. Auf dass die Autofahrer in Zukunft nicht mehr von den aggressiven Schwingungen der erbosten Erdgeister gestört würden.
Pech nur, dass sich vor wenigen Tagen erneut ein schwerer Zusammenstoss zwischen zwei Lastwagen auf der übersinnlich gereinigten Autobahn ereignete.
Wir wissen inzwischen, dass es unzählige spirituelle Sucher gibt, die in ihrer sektenhaften Verblendung den Realitätsbezug verloren haben. Wenn aber Sicherheitsbehörden, die mit wissenschaftlichen Untersuchungen und baulichen Massnahmen Unfälle verhindern sollten, auf Elfenexpertinnen bauen, geht die Vernunft den Bach runter. Dann benebelt magisches Denken den Verstand, und die neue Zivilisationskrankheit Aberglaube prägt das kollektive Bewusstsein.
Sollte es auf der A2 zu weiteren tödlichen Unfällen kommen – was leider zu befürchten ist –, können die Braunschweiger Autobahnverantwortlichen wieder auf die Elfenexpertin zurückgreifen.
Denn diese kann auch mit Verstorbenen kommunizieren. Auf ihrer Homepage schreibt sie nämlich: «Ich helfe verstorbenen Seelen, die nicht loslassen können, ihr zu Hause zu finden, weil sie hier auf der Erde noch etwas zu klären haben. Ich kommuniziere mit ihnen, löse ihr Anliegen, damit sie Frieden und Liebe finden.»