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Die dunkle Seite der Religionsfreiheit – und wer darunter leidet

Betende Familie
Religiöse Erziehung von Kindern und Jugendlichen kann die Religionsfreiheit einschränken.Bild: Shutterstock
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Die dunkle Seite der Religionsfreiheit – und wer darunter leidet

13.03.2021, 08:03
Hugo Stamm
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Die Religionsfreiheit ist zweifellos ein wichtiges Rechtsgut. Wir verdanken die Freiheit, den Glauben und die Religion immer und überall frei zu wählen, der Aufklärung und den Menschenrechten. Ein wichtiger Aspekt der Emanzipation.

Die Religionsfreiheit hat aber auch einen Pferdefuss. Sekten und radikale Glaubensgemeinschaften reklamieren sie auch für sich, obwohl dies nicht dem ursprünglichen Sinn entspricht.

Humoristische Erklärung der Religionsfreiheit von Abdelkarim. Video: YouTube/Abdelkratie

Der Vorteil für problematische Gruppen: Sie dürfen bei uns den öffentlichen Grund für ihre Missionsaktionen benutzen. Sprich: auf «Kundenfang» gehen. Noch wichtiger ist aber der soziale und rechtliche Schonraum, den sie geniessen.

Gegen die Missachtung der Religionsfreiheit hilft nur die Säkularisation und die Trennung von Kirche und Staat.

Politiker und Behörden fassen sie mit Samthandschuhen an, selbst wenn es sich um eine radikale Sekte handelt. Hissen diese die «Kirchenfahnen», werden viele Meinungsträger handzahm.

Ein Beispiel: Scientology-Gründer Ron Hubbard hat sein Kurs-Unternehmen 1954 unerwartet als Kirche bezeichnet, obwohl ein nach wie vor gültiges Dogma lautet: Scientology befasst sich nicht mit Gott. Die angebliche Kirche zahlte denn auch keine Steuern mehr. Teilweise auch in der Schweiz nicht. Oder: Scientologische «Geistliche» können sich in der Schweiz vom Militärdienst befreien lassen.

Es gibt aber einen anderen problematischen Aspekt der Religionsfreiheit, der gravierender ist, aber praktisch nie öffentlich thematisiert wird: Kinder können Opfer dieser Freiheit werden. Minderjährige haben nämlich keine Wahl.

Kinder sind gezwungen, den Glauben der Eltern anzunehmen

Sie sind gezwungen, den Glauben ihrer Eltern anzunehmen. In einer Mischehe verlangt die katholische Kirche sogar, dass die Kinder katholisch erzogen werden. Es versteht sich, dass auch die religiöse Erziehung den Eltern obliegt. Es besteht dabei aber die Gefahr, dass Kinder mit einem radikalen Glauben indoktriniert werden oder in einer Sekte aufwachsen müssen.

Wie tragisch und dramatisch dies sein kann, zeigen Beispiele aus islamistischen Milieus. Wenn zum Beispiel Kinder in der Familie radikalisiert und fanatisiert und schliesslich in eine entsprechende Koranschule gesteckt werden, ist dies eine gefährliche Hirnwäsche, die in Terror münden kann.

Zwar erreichen Jugendliche bereits mit 16 Jahren die religiöse Mündigkeit und können danach ihren Glauben selbst wählen, doch dies ist oft eine Scheinfreiheit. Denn Jugendliche, die in einer Sekte oder Freikirche aufwachsen sind, haben kaum eine Wahlfreiheit, die diesen Namen verdient.

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Jugendliche brauchen oft viel Mut, den eigenen Glauben zu wählen

Denn Betroffene, die konvertieren oder der Glaubensgemeinschaft den Rücken kehren möchten, müssen mit massiven Reaktionen oder gar Repressionen von den Eltern, den Pastoren oder den Sektenführern rechnen. Nur sehr mutige junge Leute wagen diese Rebellion, die zu oft zum Ausschluss aus der Familie führt.

Aber auch Staaten können eine Art Indoktrination ausüben und die Religionsfreiheit indirekt missachten. Zum Beispiel: Christen, die in einem radikalen muslimischen Staat ihren Glauben ausüben wollen, müssen sich oft im Geheimen treffen. Den Wunsch, eine Kirche zu bauen, können sie ohnehin begraben.

Aber auch im atheistischen China wird die Glaubensfreiheit oft beschnitten. Die muslimischen Uiguren werden in Straf- und Umerziehungslager verbannt, und auch Freikirchen werden oft unterdrückt.

Gegen die Missachtung der Religionsfreiheit hilft nur die Säkularisation und die Trennung von Kirche und Staat. Nur so kann viel individuelles Leid verhindert werden. Aber auch internationale religiöse Konflikte und Kriege.

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Hugo Stamm; Religionsblogger
Hugo Stamm
Glaube, Gott oder Gesundbeter – nichts ist ihm heilig: Religions-Blogger und Sekten-Kenner Hugo Stamm befasst sich seit den Siebzigerjahren mit neureligiösen Bewegungen, Sekten, Esoterik, Okkultismus und Scharlatanerie. Er hält Vorträge, schreibt Bücher und berät Betroffene.
Mit seinem Blog bedient Hugo Stamm seit Jahren eine treue Leserschaft mit seinen kritischen Gedanken zu Religion und Seelenfängerei.

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512 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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der nörgler
13.03.2021 08:26registriert Januar 2014
Wie sagt Christopher Hitchens so schön: wenn es verboten wäre, bis 16 Kindern etwas über Religion zu erzählen, dann sähe die Welt anders aus. Mit 16 ist man mündig und kann seine Religion selber wählen. Die wenigsten würden aber dann, ohne die weggefallene Indoktrination überhaupt noch eine Religion wählen.
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HeidiW
13.03.2021 08:30registriert Juni 2018
Eine strikte Trennung von Kirche und Staat ist erstrebenswert. Aber das dies ausreicht um nationale oder internationale Konflikte oder Kriege zu verhindern bezweifle ich sehr. Zu stark ist der religiöse Lobbyismus in Netzwerken und im Hintergrund der Staaten.

Ein wichtiges Instrument gegen Radikalisierungen und Abgrenzung ist die Bildung. Aber auch hier reden nich viel zu viele religiöse Interessengruppen mit. Einige Kantone haben zum Beispiel den religiösen Unterricht einfach der Katholischen Kirche überlassen.
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Rethinking
13.03.2021 09:04registriert Oktober 2018
Das ist ja nicht nur bei Religion so oder?

Da wäre das stetige Mantra des Konsums und des Wachstums das uns von unseren Eltern vorgelebt wurde und für das die Detailhändler etc. sehr viel Geld investieren, um uns schon in frühen Kinderbeinen auf den „richtigen Pfad“ zu bringen...

Oder die Arbeitgeber und deren Mantra von „schaffe viel und hart, dann wird was aus dir“. Heerscharen von Arbeitern werden herangezüchtet, die ein Leben lang hoffen, auf einen grünen Zweig zu kommen, was nur die allerwenigsten auch schaffen. Dies selten wegen Leistung, sondern aus Glück oder durch Verbindungen.
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