Bei allen Religionen und Glaubensgemeinschaften spielen Schuld und Sühne eine wichtige Rolle. Auch in der katholischen Kirche, wie ihr allgemeines Schuldbekenntnis zeigt. Der Wortlaut ist entlarvend:
«Ich bekenne Gott, dem Allmächtigen, und allen Brüdern und Schwestern, dass ich Gutes unterlassen und Böses getan habe.
Ich habe gesündigt in Gedanken, Worten und Werken durch meine Schuld, durch meine Schuld, durch meine grosse Schuld.
Darum bitte ich die selige Jungfrau Maria, alle Engel und Heiligen und euch, Brüder und Schwestern, für mich zu beten bei Gott, unserem Herrn.»
In einer früheren Version baten die Gläubigen sogar die «allzeit reine Jungfrau Maria, den heiligen Erzengel Michael, den heiligen Johannes den Täufer, die heiligen Apostel Petrus und Paulus und alle Heiligen», für sie zu beten.
Mit diesem Schuldbekenntnis lädt die katholische Kirche eine gehörige Portion Schuld auf sich. Wer die Schuld so ins Zentrum des Glaubens rückt, macht sich schuldig am geistigen und psychischen Wohl der Gläubigen. Denn damit werden sie erniedrigt und stigmatisiert.
Diese Interpretation des Schuldbekenntnisses weisen die Kirchenführer weit von sich, fühlen sie sich doch von Gott ermächtigt, den angeblich von ihm inspirierten wahren Glauben zu verkünden. Schon der Prophet Jesaja trichterte es den Gläubigen ein: «Eure Schuld steht wie eine Mauer zwischen euch und eurem Gott.» (Jesaja 59,1-2) Damit versündigen wir uns angeblich gegen Gott und verraten ihn.
Das sind happige Vorwürfe und eine Art Kollektivhaftung. Ungeachtet des persönlichen Straf- oder Sündenregisters unterstellt die katholische Kirche allen Gläubigen, Gott gegenüber in einer grossen Schuld zu stehen.
Doch jeder halbwegs emanzipierte und intelligente Zeitgenosse fragt sich, was diese Schuldzuweisung mit ihm zu tun hat. Denn der Ursprung liegt letztlich in der abstrakten Erbsünde: Weil Adam und Eva angeblich gesündigt haben, wurden sie aus dem Paradies gewiesen. Und deshalb sind in ihrem Narrativ alle Menschen in schwerer Weise schuldig!
Da bleibt allen Menschen mit ein wenig Empathie und Gerechtigkeitssinn nur das Kopfschütteln. Und sie fragen: Wie bitte?
Das Schüren von Schuldgefühlen ist eine Drohung. Denn die Schuld ist die Zwillingsschwester der Sünde. Wer Schuld auf sich lädt, ist auch sündig. Und der «Sünder» muss damit rechnen, von Gott fallengelassen zu werden.
Ein wichtiger Bestandteil dieser Drohkulisse ist der Satan, der angeblich uns Menschen zur Sünde verführt. Und wer sich die Sympathie von Gott verscherzt, verfällt leichter den Versuchungen des Gehörnten anheim, erklären auch heute noch katholische Pfarrer und freikirchliche Pastoren.
Und wenn das nicht reicht, um die Gläubigen angeblich auf den rechten Glaubenspfad zu bringen, haben die Geistlichen noch die Apokalypse im Köcher: Der schwere Sünder erhält seine «gerechte» Strafe am jüngsten Tag. Und wird vom barmherzigen Gott in die Hölle verbannt.
Das nennt sich «Religion der Angst». Diese mehrstufige Drohkulisse ist wohl das potenteste Instrument zur Einschüchterung und Disziplinierung der Menschen. In den Sonntagspredigten ist zwar meist von der Erlösung der Rede, doch das ist nur das Zuckerbrot, das auf die Peitsche folgt.
Aus psychologischer Sicht ist das Schuldbekenntnis nicht nur eine Sünde, sondern wohl eine Todsünde. Menschen so zu erniedrigen, ihnen das Selbstwertgefühl zu untergraben und ihnen Angst einzujagen, raubt sensiblen Gläubigen das Selbstvertrauen, das sie für die Bewältigung des Alltags dringend benötigten.
Somit diente die Lehre von Schuld und Sühne jahrhundertelang als effizientes Machtinstrument, mit dem die Gläubigen in Abhängigkeit gehalten werden konnten. Heute lassen sich zum Glück viele Menschen nicht mehr damit einschüchtern. Konservative und ängstliche Gläubige sind aber immer noch in diesem geistigen Konstrukt gefangen und fürchten die ewige Verdammnis.
Die toxische Mischung aus Drohung und Angst, verbunden mit der Sehnsucht nach Erlösung, ist eine klare Form der Indoktrination und stellt einen Sektenaspekt dar.
Die katholische Kirche – und mit ihr viele Freikirchen – müssen sich deshalb nicht wundern, dass sie unter einem schlechten Ruf leiden und weiter an Glaubwürdigkeit einbüssen.