Je mehr wir wissen, umso stärker blüht der Aberglaube. Auf diesen Nenner lässt sich das Phänomen der Esoterik herunterbrechen. Die komplexe Realität überfordert viele Leute, weshalb sie sich nach einfachen Weltbildern sehnen. Doch die Weltflucht ist nur möglich, wenn man übersinnliche Wunder als Grundpfeiler seiner Weltanschauung postuliert.
Frei nach dem Motto: Wenn ich nicht mehr weiterweiss, krame ich in der Wunderkiste der Esoterik. Da finde ich den Zauberstab, der mich zum universellen Genie macht. Und schon reitet man auf dem rosaroten Einhorn durch die Welt der Feen, Kobolde und Engel.
Da stellt sich die Frage, ob die hellsichtigen Medien, spirituellen Meister, erleuchteten Gurus, alternativen Heiler usw. an den Hokuspokus glauben, den sie verkünden und anwenden.
Wenden wir uns zuerst der Frage zu, was hinter den esoterischen Disziplinen steckt.
Nehmen wir als Beispiel das Medium Andrea Popp, das auch Jenseitskontakte anbietet. Sie schreibt auf ihrer Homepage:
Die Verstorbenen würden «an unserem normalen Leben teilhaben und uns sehr gerne unterstützen. (…) Mit grosser Dankbarkeit diene ich hierbei, als Brücke der Kommunikation zwischen dir und deinen Liebsten.» Grammatik scheint dabei in der geistigen Welt keine grosse Rolle zu spielen.
Das deutsche Medium Sabine Wolf bietet einen Lichtkörperprozess an: «Der Lichtkörperprozess ist die langsame, stufenweise Hochschaltung eures körperlichen Seins vom bindenden Magnetismus zur lösenden Elektrizität. Er ist die Wiederherstellung eurer geistigen Körper- und Lebensstruktur. In 12 Stufen wird das Netz nach Ablauf von 25 Jahren voll aktiviert sein. (…) Jede Lichtkörperstufe erhöht den kosmischen Strom im Erdmagnetgitter und aktiviert ein weiteres Kontingent eurer Zell- und DNS-Informationen sowie Gehirnkapazitäten.»
Sabine Wolf erklärt, sie pflege «bewusste Begegnungen mit Christus, einigen Erzengeln und Mutter Maria».
Das Schweizer Channel-Medium Madelaine Zurfluh empfängt Botschaften aus der geistigen Welt: «In einer tiefen Entspannung baue ich den Kanal in die geistige Welt (zu einem geistigen Wesen, einem Engel oder aufgestiegenem Meister) auf. (…) Die Geistige Welt kann eine wunderbare Unterstützung sein, denn sie kennt ihre Seelenanliegen. Antworten die sie mit dem Verstand und im Tagesbewusstsein nicht finden, werden sie hier bekommen.»
Beim Channeling von Zurfluh geht es unter anderem auch um die Frage: «Was kann ich tun um mehr finanzielle Fülle in mein Leben zu ziehen?» Sie bietet auch mediale Seelenreisen an: «In einer medialen Seelenreise geht es darum, diese karmische Beziehung aus früheren Leben zu erkennen, lichtvoll aufzulösen und Heilung auf Seelenebene zu erfahren. Dabei werden auch schmerzhafte karmische Verstrickungen gelöst und geheilt. (…) Ihre Seele kann sich wieder vervollständigen und sich von den karmischen Verbindungen lösen.»
Ein persönliches Channeling dauert 40 bis 50 Minuten und kostet mit Vorarbeit und Nachbehandlung Fr. 280.-
Die mediale Beraterin Janina Glauser sieht es «als meine Herzensaufgabe, unser irdisches Dasein mit den geistigen Welten zu verbinden».
Ihr Angebot ist vielfältig. Ein paar Stichworte stecken den Rahmen ab: Energetische Heilbehandlung, Elektrosensibilität, Ahnengeschichte heilen, energetische Heilbehandlung für Kinder und Tiere, Harmonisierung von weiblichen und männlichen Seelenanteilen, Besetzung durch Fremdenergien.
Der berufliche Werdegang von Janina Glauser ist bemerkenswert. Sie hat ein Psychologiestudium abgeschlossen und sich zur Psychotherapeutin ausbilden lassen, bevor sie sich der geistigen Welt zuwandte. Eine Einzelsitzung kostet Fr. 180.- pro Stunde.
Glauben also die Medien und spirituellen Meisterinnen daran, was sie vollmundig verkünden? Die Antwort ist klar: Ja, tun sie. Vermutlich bis zum letzten Punkt und Komma.
Es gibt mehrere Gründe für diese Annahme. Da ist einmal die berufliche Karriere. Die Amerikaner würden sagen: Vom Tellerwäscher zum verehrten Guru. Ich kenne Autoverkäufer und Serviceangestellte, die die berufliche Metamorphose erfolgreich schafften und nun einen Sonderstatus geniessen sowie ein fettes Bankkonto führen.
Vor allem aber glauben sie an ihre spirituellen und paranormalen Fähigkeiten, die sie zu besonderen Wesen machen. Als Medien können sie angeblich mit den kosmischen und göttlichen Instanzen kommunizieren und einen pseudoreligiösen Sonderstatus erreichen.
Viele sehen sich als Helden, die von den höheren Instanzen den Auftrag erhalten haben, die Menschheit ins Licht zu führen. Die Rolle der Weltenretter schmeichelt ihrem Ego.
Exklusivität und der Glaube, auserwählt zu sein, gibt ihrem Selbstbewusstsein einen mächtigen Boost. Auf Du und Du mit den Göttern zu sein, katapultiert sie förmlich in den Himmel.
Beflügelt werden die Medien und spirituellen Meister auch von der Überzeugung, übermenschliche und paranormale Fähigkeiten wie beispielsweise die Hellsichtigkeit zu besitzen, welche die angebliche Kommunikation mit den göttlichen Instanzen ermöglichen. Viele glauben, eine wichtige Rolle in der Menschheitsgeschichte zu spielen.
Eine wichtige Rolle bei ihrer wahnhaften Wahrnehmung spielen auch ihre Anhänger. Diese verehren ihre esoterischen Meisterinnen als besondere Geistwesen. Für die Angebeteten ist dies eine Bestätigung für ihre spirituellen Fähigkeiten und ihre übersinnliche Bedeutung. Macht über die Anhänger zu bekommen, ist ein weiterer Anreiz für ihre esoterischen Eskapaden der esoterischen Meister.
So verstricken sich alle Beteiligten in einem pseudoreligiösen Konstrukt, das auf dem wackeligen Fundament der Einbildung und Selbsttäuschung steht.