Heilig Abend in den späten 80ern. Draussen liegt Schnee auf den Dächern (ja, früher gab es noch weisse Weihnachten, gopf!). Die Bescherung ist fast zu Ende. Nur noch ein grosses Paket ist übrig und wartet unter dem Weihnachtsbaum darauf, endlich geöffnet zu werden. Das Beste kommt ja bekanntlich zum Schluss. Meine Arme greifen nach dem goldenen Paket mit liebevoller Schleife drum herum. Behutsam, ja fast zärtlich, öffne ich das Geschenk der Geschenke.
Ach, wem mache ich etwas vor. Mit einem heftigen Ruck wird die Weihnachtsverpackung weggerissen. Der rote Schriftzug von Nintendo erstrahlt und ich bin nun ganz sicher: Das NES ist mein! Das «Nintendo Entertainment System», dieser graue Kasten mit seinem zeitlosen Design, liegt in meinen Händen. Meine Augen leuchten noch heller als die Kerzen am Weihnachtsbaum. Doch das wahre Highlight kommt ja erst noch…
Mit viel Feingefühl wird der Karton geöffnet und das NES herausgenommen. Damals schien dieser graue Brotkasten in Kinderhänden riesig zu sein. Die Controller, diese rechteckigen Dinger, waren hightech. So sah die Zukunft der Unterhaltung damals in den späten 80ern aus und fühlte sich auch so an. Dann dieser Geruch. Diese Mischung aus Plastik, Kerzenduft und Tannenbaum. Was gibt es Schöneres? Die Zeit stand still. Der Geist der Weihnacht war allgegenwärtig.
Ich war erstaunt, wie schnell ich das NES an den Fernseher in der heimischen Stube anschliessen konnte. Steckdose aussuchen, Videoausgang suchen, fertig. Kein Update, kein Login, keine Wartezeiten, einfach das Ding einschalten. Game-Cartridge (ja, früher erschienen die Spiele noch auf Modulen statt auf Discs) reinschieben, nach unten drücken, den Powerknopf betätigen und schon erschien der Startbildschirm von «Super Mario Bros.» Die Reise konnte beginnen.
Dann rannte er los, dieser kleine Pixelmario mit Schnauz und Mütze. Auf Knopfdruck hüpfte der Klempner (ja, damals war er noch offiziell ein Klempner!) in die Höhe. Er konnte mit seiner Sprungattacke nicht nur die Gegner Platt machen, sondern auch den Blöcken mit den Fragezeichen diverse Items entlocken. Sprang er eigentlich mit dem Kopf dagegen oder war es doch die hochgestreckte Faust? Ich war mir damals überhaupt nicht sicher. War auch egal, denn als da plötzlich ein Pilz heraussprang und ich diesen mehr durch Zufall erwischte, (ich dachte zuerst, das wäre ein Gegner) kam ich aus dem Staunen nicht mehr heraus. Die Figur wurde plötzlich grösser. Der Wahnsinn.
Für mich war «Super Mario Bros.» eine Offenbarung. Videospiele kannte ich bis dahin nur durch die vielen sperrigen LCD-Spiele für unterwegs. Vor allem die Firma «Tiger» schoss ein Spiel nach dem anderen auf den Markt. Kurz: Bunte Videospiele, die mit einem Heimsystem auch auf dem Röhrenfernseher funktionierten, waren mir unbekannt. Und «Super Mario Bros.» zeigte mir mit seiner perfekten Spielbarkeit und mit seinen zeitlosen Ohrwürmern, was Videospielliebe ist. Ein Steuerkreuz und zwei Buttons reichten aus, um sich stundenlang dem Spielspass hinzugeben. Oh du fröhliche!
Die Kerzen auf dem Weihnachtsbaum (damals waren sowohl Baum als auch Kerzen noch echt und nicht aus Plastik!) waren schon lange erloschen. Es war dunkel. Ich sass alleine vor dem Röhrenfernseher im Wohnzimmer, spielte immer noch «Super Mario Bros.» und konnte mich davon nicht losreissen. Meine Eltern waren tolerant und liessen mich machen. Der will ja nur spielen! Immerhin hatte ich schon das Pyjama angezogen.
Ich versank in den Pixelwelten. Flackerndes Licht, ein Dauergrinsen auf dem Gesicht. Ein Bild für die Ewigkeit. Das erste Schloss wurde bereits erreicht. Und kurz war ich enttäuscht, weil ich dachte, das Spiel sei schon zu Ende. Aber glücklicherweise stand da «Thank you Mario! But our princess is in another castle!». Trotz nicht vorhandener Englischkenntnisse verstand ich die Botschaft. Es ging also noch weiter.
Ich hüpfte weiter durch für damalige Verhältnisse bunte und liebevoll designte Levels, tauchte ab in die düstere Unterwelt, schwamm herum (selbst diese nervige Unterwassermelodie mochte ich) und eroberte ein Schloss nach dem anderen. Ich entdeckte, dass ich mit der Hilfe einer Blume Feuerbälle werfen konnte und mit einem Stern für eine bestimmte Zeit unbesiegbar wurde. Dass es jedoch versteckte Abkürzungen gab und viele andere Geheimnisse, entdeckte ich dann erst später oder erfuhr es im Internet der 80er, auf dem Pausenhof.
Viele Dinge brannten sich bereits am damaligen Heiligen Abend in mein Game-Langzeitgedächtnis ein: Trödelt man herum oder ist zu langsam, wird die Musik schneller. Auch in den grössten Blockwänden kann noch etwas versteckt sein. Lava ist tödlich. In grüne Röhren kann man abtauchen. Fahnenmasten wollen immer angesprungen werden. Fische wollen nicht berührt werden. Wer viele Münzen sammelt, verlängert sein Leben. Grünliche Pilze sind sehr gesund. Und das Wichtigste: Am Ende einer Reise wartet angeblich immer eine Prinzessin auf den Helden.
Das Hüpfspiel hatte auch zusätzliche Überraschungen der Entwickler auf Lager. Tierschützer sollten jetzt bitte nicht weiterlesen! Sprang man wiederholt in sehr kurzen Abständen auf eine bestimmte Schildkröte, bekam man schnell eine hohe Anzahl an Extraleben.
Es wurde noch toller: Ob die legendären Minus-Welten ein Programmierfehler waren oder bewusst als Easter Egg eingebaut wurden, darüber streiten sich heute noch die Videospielhistoriker. Auf jeden Fall gab es im Spiel am Ende von Level 1-2 durch einen besonderen Sprung die Möglichkeit, durch die Wand zu schlüpfen, um die Warp-Zone zu erreichen. Sprang man dann in eine der Röhren, gelangte man in eine Welt, in der alles ein bisschen anders war. Überraschung!
Wenn ich an «Super Mario Bros.» denke, dann denke ich automatisch auch an Weihnachten. Eine besinnliche Zeit, in der man sich Zeit nimmt für gute Dinge und einfach geniesst. Auch heute noch spiele ich regelmässig an den Weihnachtstagen «Super Mario Bros.» Allerdings nicht mehr auf einem alten Röhrenfernseher mit Originalkonsole, sondern bequem mit dem NES Classic Mini. Und schon nur, wenn die erste sehr vertraute Melodie ertönt, werde ich zurück in meine Vergangenheit geworfen. Dann bin ich wieder der kleine Junge im Pyjama von damals, der einfach sorgenfrei bis spät in die Nacht vor dem Fernseher sitzt und mit dem Super Mario auf Reisen geht.
Merci, lieber Super Mario und fröhliche Weihnachten!