Herr Erni, in der Schweiz wurden in der ersten Jahreshälfte weniger E-Autos verkauft als im gleichen Vorjahreszeitraum. Ist der Boom bereits vorbei?
Christoph Erni: In jungen Branchen sind Wellenbewegungen typisch. Die aktuelle wirtschaftliche Phase ermutigt die Menschen nicht unbedingt, grosse Entscheidungen zu treffen und das Auto zu ersetzen – erst recht nicht, wenn es sich um eine neue Technologie handelt. Viele warten wohl auch ab, weil sie sehen, dass die Auswahl laufend grösser wird.
In Deutschland sind die Verkäufe eingebrochen. Ist das Elektroauto doch kein Erfolg?
In Deutschland ist der Markt erschreckend zusammengebrochen. Das hat aber politische Gründe, weil nacheinander abrupt die staatliche Förderung für private und öffentliche Ladestationen sowie für E-Autos ausgesetzt wurde. Das ist Gift für die Planungssicherheit. Dazu kommen starke Rezessionsängste.
Also sehen wir nur einen Knick in der Wachstumskurve?
Ich sehe nicht unbedingt einen Rückgang, sondern einen Handorgeleffekt, der später wieder aufgeholt wird.
Die EU hat beschlossen, dass ab 2035 nur noch klimaneutrale Neuwagen verkauft werden dürfen. Eine richtige Entscheidung?
Das sogenannte Verbrenner-Verbot hat keine entscheidende Bedeutung. Wie so oft kommt die Politik zu spät, weil es der Markt schon vorher regelt. Namhafte Autohersteller haben längst verkündet, dass sie ihre Verbrennungsmotoren-Entwicklung vollständig eingestellt haben.
Moment. Mercedes und andere sind bereits zurückgerudert und wollen nun doch bis weit in die 30er-Jahre Verbrenner-Autos verkaufen, weil die Kunden dies wünschten.
Wollen Sie meinen Verdacht hören?
Ich höre.
Ich glaube, da wird eine veraltete Technologie schöngeredet, damit man die Autos noch loswird. Das ist ein alter Trick der Hersteller.
Sie glauben also, dass Benzin-Autos schon vor 2035 ein Auslaufmodell sind?
Ja. Ein wichtiger Grund sind die CO₂-Strafgebühren, die derart hoch ausfallen, dass die Autohersteller früher oder später komplett auf eine klimaneutrale Technologie umstellen müssen. Was also sind die Optionen?
E-Auto, Wasserstoffantrieb oder Verbrenner mit klimaneutralem Treibstoff (E-Fuel).
Der Elektroantrieb mit Batterie ist marktreif und funktioniert. Für Autos mit Wasserstoff fehlt das Tankstellen-Netz und der Antrieb ist weit weniger effizient. Die Technologie macht daher in Personenwagen keinen Sinn. Wasserstoff könnte hingegen für grosse Ozeanschiffe oder Flugzeuge infrage kommen.
Die EU lässt für den Verbrennungsmotor eine Hintertüre offen. Vor allem Deutschland pocht auf E-Fuel, also synthetischen Kraftstoff, als Alternative zur Batterie.
Das ist absurd. Man will eine schlechte Lösung, Benzin, mit einer noch schlechteren Lösung, E-Fuels, ersetzen, die bei der Produktion in Europa etwa sechs Mal mehr Energie als E-Autos benötigen. Ob die E-Fuels bei diesem hohen Energieaufwand in der notwendigen Menge klimaneutral produziert werden können, möchte ich schwer bezweifeln. Die Frage ist: Warum nutzt man den Strom nicht im sechs Mal effizienteren Elektroauto?
Weil man mit E-Fuel das Akkuproblem nicht mehr hat.
In den USA wurde kürzlich ein grosses Lithium-Vorkommen entdeckt, das relativ umweltfreundlich abgebaut werden kann. In Europa hingegen mangelt es in der Tat an Akku-Fabriken, was uns von den USA und Asien abhängig macht.
Hat Europa die Akku-Entwicklung verschlafen?
Ja, und das wird für deutsche Autobauer zum Problem. Sie müssen Akkus in China einkaufen. Die Chinesen werden zwar gerne liefern, aber mit einem Preisaufschlag, etwa in der Höhe der Strafzölle der EU gegen chinesische E-Autos. So wird es schwierig, im Wettbewerb mitzuhalten.
Der Abbau von Rohstoffen für Akkus ist auch nicht unproblematisch.
Das höre ich immer wieder. Faszinierend ist aber, dass beispielsweise das deutsche Recycling-Unternehmen Düsenfeld bei Akkus bereits eine Recycling-Quote von 91 Prozent erreicht. Wie viel wird bei einem Verbrenner-Motor wiederverwertet? Der geht auf die Deponie. Bei Akkus hingegen sind wir nun so weit, dass wir einmal gewonnene Rohstoffe immer wieder nutzen können.
Wäre es nicht sinnvoll, die Akkus nach dem Einsatz im Auto weiter zu nutzen, etwa als Stromspeicher?
Natürlich. Nachdem ein Elektroauto-Akku ersetzt werden muss, weil die Kapazität auf unter 70 Prozent gefallen ist, kann er noch 30 Jahre als Hausbatterie dienen. Erst dann wird er recycelt, und bis dahin wird die Recycling-Quote noch besser aussehen.
Wie sieht es mit dem Laden aus? Brauche ich dafür eine Heimladestation (Wallbox) oder reicht die Haushaltssteckdose?
Wenn man eine private Garage hat, ist man mit der Steckdose bestens bedient. Mit einem mobilen Ladegerät für die Steckdose ist man gegenüber der fix montierten Wallbox flexibler. Sobald aber in einem Mehrfamilienhaus mehrere Parteien leben, ist wahrscheinlich die Heimladestation die elegantere Lösung – sie kann nicht entwendet werden. In grossen Tiefgaragen sind Wallboxen mit Lastmanagement zwingend.
Die Wallbox ist aber die teurere Lösung.
Klar, sie ist teurer und die Installation von Wallboxen ist für die Elektriker ein gutes Geschäft. Allein für die Montage kommen je nach Garagengrösse rasch 1500 bis 4000 Franken zusammen. Ich würde zudem davon abraten, einfach das günstigste Modell zu kaufen. Da die Anforderungen ständig steigen, wird man diese Budget-Modelle eher früher als später ersetzen müssen und bezahlt schlussendlich zweimal.
Ist es sinnvoll, Tiefgaragen mit Wallboxen auszustatten, obwohl vielleicht nur jeder zehnte Mieter ein E-Auto hat?
Es ist viel günstiger, alle Parkplätze auf einmal mit Wallboxen auszurüsten, als den Elektriker später für jeden Parkplatz einzeln aufzubieten. Ausserdem wechseln Mieter viel eher zum umweltfreundlicheren E-Auto, wenn der Parkplatz schon mit einer Wallbox versorgt ist, die er mieten kann.
Ist das Laden an der Steckdose gleich sicher wie eine Wallbox?
Ja. E-Autos können an Haushaltssteckdosen dauerhaft und sicher geladen werden, sofern das mobile Ladegerät wirklich dafür gebaut ist, über Temperatursensorik im Haushaltstecker verfügt und der weltweiten Norm IEC 62752 entspricht. Es gibt aber nicht viele Geräte, die das können.
Sie sprechen ihr mobiles Ladegerät für Steckdosen an. Ich habe im Auto das Notladekabel des Autoherstellers. Das reicht doch und kostet mich nichts?
Die von den Herstellern mitgelieferten Kabel sind oft Notladekabel, die wirklich nur als Notladekabel konzipiert sind. Auf einzelnen steht gar: «Nicht für den dauerhaften Gebrauch geeignet». Porsche musste in den USA einen Rückruf machen, weil sogar ein Industriestecker zu einem Brand führte. Dies liesse sich mit sicheren Ladegeräten verhindern.
Sie raten also davon ab, das Notladekabel zu nutzen?
Es gibt international grosse Bemühungen, alle mobilen Ladegeräte für Steckdosen sicherzumachen. Denn Fakt ist: Wenn man laden muss und eine Steckdose findet, wird man sie auch nutzen. Allerdings unterschätzen viele die Gefahren. Beim Laden des E-Autos ist 200 Mal mehr Energie im Spiel als beim Smartphone und deshalb braucht es mehr Sicherheitsvorkehrungen.
Welche?
Erstens muss das Ladegerät überfahrbar und wasserdicht sein. Zweitens muss die Software den Zustand des Fahrzeugs und der Steckdose überwachen und drittens sollte das System gegen Hackerangriffe geschützt sein.
Der TCS sagt in einem Video, ein E-Auto an der Haushaltssteckdose aufzuladen, sei grundsätzlich nicht erlaubt. Der Automobil-Club empfiehlt generell Heimladestationen.
Das ist Unfug. Der TCS setzt voraus, dass man ein schlechtes Ladegerät hat. Es gibt nicht umsonst die weltweit gültige Norm IEC 62752, die sichere, mobile Ladegeräte definiert. Schade ist, dass diese Norm in der Schweiz vom Eidgenössischen Starkstrominspektorat ESTI nicht ausreichend durchgesetzt wird.
Der Bund versagt bei der Aufsicht?
Es kommen schlechte Ladegeräte auf den Markt, die nicht der Norm genügen, obwohl sie dies teils vortäuschen. Das ESTI macht meiner Meinung nach zu wenig dagegen. Deswegen kommt der TCS wohl zum Schluss, Steckdosen-Laden sei gefährlich, weil teils gefährliche Geräte angeboten werden.
Was kann schiefgehen?
Es gibt alte und stark abgenutzte Steckdosen bis hin zu abstehenden Drähten, die heiss werden können. Ganz alte Häuser sind teils noch mit Altpapier isoliert, was zu einem Schwelbrand führen kann – am Morgen sind Haus und Familie weg. Darum haben wir uns für eine strenge, internationale Norm eingesetzt, die maximale Sicherheit garantiert, egal in welchem Zustand die Hausinstallation ist.
Tausende laden an der Steckdose und es scheint nichts zu passieren.
Sichere mobile Ladegeräte schalten bereits bei 70 Grad an der Steckerspitze ab, was nicht alle Gerätehersteller wollten. Bei höheren Temperaturen würde die Ummantelung der Drähte über die Jahre ganz langsam verspröden. Nach 20 Jahren Dauerlast kann sie sich ablösen und das Unheil seinen Lauf nehmen. Bei sicheren mobilen Ladegeräten passiert dies nicht.
Wären nicht die Autohersteller in der Pflicht, sichere Ladegeräte anzubieten?
In den USA gibt es ab Mitte nächsten Jahres die Pflicht, dass jedes E-Auto eine sichere mobile Ladestation für beliebige Steckdosen haben muss, die automatisch erkennt, wie viel Strom sie maximal ziehen darf. Der Gedanke dahinter ist, dass ohnehin jeder lädt, wo es geht. Also sollen die Autohersteller dafür sorgen, dass die Kunden in jedem Fall ein sicheres Ladegerät für Steckdosen haben und eben nicht ein billiges Notladekabel.
Und bei uns?
Ich bin überzeugt, das wird auch in Europa kommen. Die Autohersteller realisieren langsam, wie wichtig das Laden zu Hause ist und dass es nicht reicht, ein Notladekabel mitzugeben.
In der Schweiz können viele Mieter und Stockwerkeigentümer zu Hause nach wie vor nicht laden.
Ich bin überzeugt, das wird noch vor Ende des Jahrzehnts anders aussehen. Wohnungen mit Parkplätzen ohne Lademöglichkeit wird man nicht mehr vermieten können.
Was halten Sie vom Vorschlag der Grünliberalen, dass Vermieter den Einbau von Ladestationen nicht mehr verwehren dürfen, wenn die Mieter dies auf eigene Kosten wünschen?
Das ist nur ein Teil des Problems. Andere Aspekte sind beispielsweise die Solarzellen-Förderung und Vorschriften, wo Solarzellen installiert werden sollen. Daher wäre ein Gesamtkonzept für eine zeitgemässe Infrastruktur sinnvoller. Ernüchternd ist, dass viele Immobilienverwaltungen die Augen verschliessen, als gäbe es kein Bedürfnis nach Lademöglichkeiten.
Nicht zuletzt wegen fehlender Lademöglichkeiten zu Hause wird die Schweiz beim E-Auto-Wachstum von anderen Ländern überholt.
Äthiopien verbietet den Import von Verbrenner-Autos und macht eine Offensive mit Ladestationen. Wenn wir von einem der ärmsten Entwicklungsländer technologisch überholt werden, sollten wir schon überlegen, ob es nicht Zeit wäre, jetzt zu investieren.
Würden Sie trotzdem jedem den Wechsel zum E-Auto empfehlen?
Wir haben das Huhn-Ei-Problem. Ein Technologiewechsel bedingt, dass die Infrastruktur und die Nachfrage vorhanden sind. Daher sollten alle zum Wandel beitragen. Immobilienbesitzer und Arbeitgeber mit Ladestationen und Konsumenten, indem sie den Sprung wagen.
Auch wenn sie nicht zu Hause laden können?
Ja, dann kann man als Übergangslösung auswärts laden.
Das sagen Sie so leicht. Schnellladesäulen gibt es meist nur an Autobahnen.
Wer zu Hause nicht laden kann, möchte natürlich beim Einkaufen möglichst schnell laden können. Schnelllader wird es aber aus technischen und wirtschaftlichen Gründen nicht flächendeckend geben. Darum haben wir einen alternativen Schnelllader entwickelt, der dank grossem Batteriespeicher keine Erhöhung des Netzanschlusses erfordert und deshalb überall aufgestellt werden kann, wo es eine Industriesteckdose gibt.
Sie fahren seit zehn Jahren elektrisch. Was hat sich in dieser Zeit verändert?
Die Infrastruktur ist viel besser. Damals war man mit einem E-Auto ein Abenteurer. Heute kann man bedenkenlos elektrisch vom Nordkap bis nach Bari fahren. Mir persönlich gab das E-Auto eine neue Lebensqualität, weil man nicht fünf Stunden am Stück fährt, sondern kürzere Etappen macht und ausgeruhter ankommt.
Hand aufs Herz. Was ärgert Sie als E-Auto-Fahrer?
Der Tarifdschungel an den Ladesäulen und kompliziertes Bezahlen mit Apps und Ladekarten muss schnell behoben werden. Einfaches Bezahlen per Kreditkarte, wie wir es anbieten, muss der Standard sein. Bis dahin würde ich jedem Teslas Supercharger empfehlen, von denen inzwischen viele auch von anderen Marken genutzt werden können. Die sind maximal einfach in der Bedienung und die Preise transparent.
Viele können sich Elektroautos schlicht nicht leisten. Wann kommen endlich die bezahlbaren Stromer?
Klar, bei einem 100'000-Franken-Auto fallen die Akkukosten viel weniger ins Gewicht als bei einem Kleinwagen. Aber mit den sinkenden Akkukosten kommen nun mit dem Renault 5 oder Citroën ë-C3 wirklich gute und erschwingliche Elektroautos ab 25'000 Franken auf den Markt. Diese Modelle werden neue Kunden erreichen und helfen, die aktuelle Flaute im E-Auto-Markt zu überwinden.
Ehrlicherweise muss man auch sagen, dass es die ganz günstigen Neuwagen für 10'000 Franken aufgrund der verschärften CO₂-Vorgaben auch bei den Verbrennern nicht mehr gibt.
Werden die Gesamtkosten bis zum Ende der Lebensdauer betrachtet, sind E-Autos meist schon heute günstiger.
Der Kaufpreis ist höher, dafür hat man nach dem Kauf kaum noch Kosten. Mein Tesla ist neunjährig und ich hatte keine Unterhaltskosten.
Also ist noch der Original-Akku drin?
Ja klar, ich habe erst 200'000 Kilometer auf dem Tacho, da ist ein E-Auto erst knapp eingefahren.
Vor zwei Jahren prophezeiten Sie: «Schon Ende des Jahrzehnts wird es in Europa keine Verbrenner mehr im Angebot geben.» Bleiben Sie dabei?
(Lacht) Heute würde ich sagen: In den meisten Ländern Europas wird dies so sein. Die Corona-Pandemie und die Beschaffungskrise führten sicher zu einer gewissen Verzögerung, aber ich bleibe dabei: Der Markt wird es richten und es kann plötzlich schnell gehen. Wer jetzt einen Verbrenner kauft und diesen 2030 verkaufen will, wird ein Problem haben. Den wird niemand mehr zu einem guten Preis abkaufen.
In 100 Jahren wird die Menschheit vermutlich auf den Verbrennungsmotor mit derselben nostalgischen Faszination blicken, mit der wir heute die Dampfmaschine betrachten.