Laut seinem Schöpfer Stan Lee hatte Peter Parker alias Spider-Man bei seiner Entstehung eine Lücke zu füllen: Er sollte die Rolle des mit Superkräften ausgestatteten Teenagers besetzen, den es bis dato noch nicht gegeben hatte. Das erklärt so manches an diesem Charakter, wie etwa der Konflikt, etwas Besonders sein zu wollen und zugleich so normal wie alle anderen. Wohl kein anderer Superheld ist so intensiv und ausdauern auf der Suche nach seiner eigenen Identität. Das macht «Spidey» zu einer idealen Projektionsfläche. Jeder, der sich schon einmal gefragt hat, wer er selbst ist, und ob er die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllen könne, findet in ihm seine idealen Helden. Das erklärt, warum er sich im Gegensatz zu manch anderen Heroen anhaltender Beliebtheit erfreut. Insbesondere Sam Raimis Spider-Man-Trilogie erschloss die Saga jüngeren Generationen, und es ist eine schöne Ironie der Popkultur, dass die unverwüstliche Jugend-Ikone Jahrgang 1962, also ein klassischer Boomer ist.
Dabei ist der menschliche Träger der Spinnenkräfte, Peter Parker, stets jung geblieben und hat – okay, nicht ganz so ungewöhnlich bei einem Superhelden – sogar seinen eigenen Tod überlebt. Zumindest in der Game-Version. Denn in der Comic-Vorlage muss Miles Morales das Ableben seines Idols mitansehen, während er in dem nach ihm benannten PS4/PS5-Spiel aus dem Jahr 2020 an seiner Seite kämpfen darf. Das kam offenbar gut an, denn in «Marvel’s Spider-Man 2» tritt der dunkelhäutige Spinnenmann endgültig aus dem Schatten des Originals. Miles bekommt seine eigene Story-Line, und auch sonst sollen beide Protagonisten absolut gleichberechtigt sein. Konkret heisst das, dass man jederzeit zwischen Peter und Miles wechseln kann. Für manche Missionen muss man in die Rolle des einen oder des anderen schlüpfen, bei anderen wiederum kann man frei wählen, mit wem die anstehenden Aufgaben angehen will.
Noch mal zur Erinnerung (Wer schon die Zusammenfassung bereits bekannter Story-Details als Spoiler betrachtet, springe bitte an dieser Stelle direkt zum nächsten Abschnitt): Nach dem Abspann von « Marvel’s Spider-Man: Miles Morales» sieht man aus der Perspektive von Peters einstigem Schulfreund Harry Osborne, der am Ende von Teil 1 unheilbar erkrankt, durch das Glas eines Tanks heraus in ein Labor. Dort fordert sein Vater Norman Osborne aka Green Goblin einen Wissenschaftler auf, Harry entgegen dessen eindringlicher Warnungen zu befreien. Aus dem Comic wiederum wissen wir, dass Osborne nicht ganz unschuldig an dem Biss einer bioelektrisch manipulierten Spinne ist, der Miles zum Spider-Man werden ließ. Es könnte also gut sein, dass Harry den von Spidey abgelegten schwarzen Symbioten-Anzug benutzt, um sich in Venom zu verwandeln und dem Spider-Duo als Erzschurke entgegenzutreten, obwohl diese «Ehre» sonst eigentlich Eddie Brock gebührt.
So oder so ist es kein Geheimnis mehr, dass Peter im Spiel in die 1984 in der Marvel-Crossover-Serie «Secret Wars» aufgetauchte «Symbiontenmasse» schlüpft und diese ihm als eine Art schwarzes Spider-Man-Kostüm diverse Venom-Moves ermöglicht. Bei der Anspiel-Session konnten wir diese bereits ausprobieren und durften dabei feststellen, dass sie ausgesprochen mächtig sind. Allerdings sollte man sparsam damit umgehen, denn «Venom Dash», «Venom Punch» und «Venom Jump» sind nicht unbegrenzt einsetzbar, sondern müssen erst durch geschicktes Agieren während der Kämpfe, bei denen man es meiste gleich mit mehreren Gegnern zu tun bekommt, aufgeladen werden.
Im Spider-Man-Kosmos steht der schwarze Anzug für die dunkle Seite des ansonsten fest auf der Seite der Gerechtigkeit stehenden Peter. Denn die ausserirdische Macht verleiht ihm nicht nur besondere Kräfte, sondern zieht seine Persönlichkeit auch immer weiter auf die dunkle Seite, weshalb der Held irgendwann beschliesst, ganz darauf zu verzichten. Welche Konsequenzen das dann im Spiel haben wird, werden die Spieler selbst herausfinden müssen.
«Peter und Miles sind definitiv unterschiedliche Charaktere», erklärte uns Animation Director Bobby Coddington im persönlichen Gespräch. «Beide Helden haben ihren eigenen Handlungsbogen, aber auch ähnliche Kampf-Moves, damit es sich intuitiv anfühlt, von einem zum anderen zu wechseln.» Aufgrund seines speziellen Spinnen-Werdegangs ist Miles auf bioelektrische Angriffe spezialisiert.
Das bringt ein zusätzliches taktisches Element ins Spiel, da man von Fall zu Fall entscheiden muss, welcher Charakter für welche Aufgabe wohl am besten geeignet ist. Denn auch bei den Skills, die man nach und nach sammeln muss, gibt es wieder solche, die beide einsetzen können, sowie andere, die nur einer von beiden nutzen kann. Mit Hilfe der Spider-Suits und Skills sowie diversen Upgrades derselben wird man sich also genau den Spider-Man zusammenbasteln können, der dem eigenen Spielstil und den eigenen Ansprüchen entspricht.
Natürlich wird es nicht nur Kämpfe geben. Das Erkunden der Spielwelt, in der es allerhand zu sammeln und viele Gelegenheiten gibt, Bösewichte ins Netz gehen zu lassen, ist ein wesentlicher Bestandteil des Spiels. Wie Senior Creative Director Bryan Intihar uns in London verriet, wurde die Spielwelt auf die Stadtteile Queens und Brooklyn ausgeweitet, hinzu kommen spezielle Orte wie Coney Island.
Da dort aufgrund baulicher Besonderheiten weniger Möglichkeiten geboten werden, sich von Hausdach zu Hausdach zu schwingen, spielen die beiden Spider-Men gleichermassen zur Verfügung stehenden Wing-Suits eine wichtige Rolle. Das macht aus Miles und Peter nicht gleich Superman, dennoch wird es einige Flugeinlagegen geben, die ebenso wie die gesamte Fortbewegung sich merklich flüssiger anfühlen als bei den Vorgängern. Gut so, denn wir können es kaum erwarten, uns endlich wieder ins rot-blaue beziehungsweise schwarze Kostüm zu werfen!