Für Donald Trump und die Republikaner schien alles perfekt zu laufen. Am Donnerstag hätte Brett Kavanaugh, ihr Kandidat für den Obersten Gerichtshof, vom Justizausschuss des Senats bestätigt werden sollen. Die Demokraten hatten während der Anhörung des Richters vergeblich versucht, seine Ernennung zu stoppen. Seine Chancen, auch das Votum des gesamten Senats zu überstehen, schienen intakt.
Mit dem 53-jährigen Kavanaugh hätte das höchste US-Gericht für Jahre, vielleicht Jahrzehnte, eine konservative Mehrheit erhalten. Nun aber könnten die Karten neu gemischt werden. Christine Blasey Ford, eine Psychologin und Universitätsprofessorin aus Kalifornien, beschuldigt Brett Kavanaugh, er habe während einer Party vor mehr als 30 Jahren versucht, sie zu vergewaltigen.
Trumps Richterkandidat weist die Anschuldigungen kategorisch zurück. Einige republikanische Senatoren aber deuteten am Montag an, sie könnten gegen ihn stimmen. Weil die Partei nur über eine hauchdünne Mehrheit verfügt, wäre dies das Aus für Kavanaugh. Nun soll Blasey Ford am kommenden Montag in einer öffentlichen Anhörung vor dem Justizausschuss aussagen.
Die Hochschullehrerin ist offenbar dazu bereit, fordert aber eine Untersuchung des Falls durch das FBI, wie ihre Anwälte am Dienstag mitteilten. Sie befände sich dann in einer ähnlichen Situation wie eine illustre Vorgängerin vor bald 30 Jahren. Die Rechtsprofessorin Anita Hill hatte 1991 dem konservativen Richterkandidaten Clarence Thomas vorgeworfen, sie sexuell belästigt zu haben. Ihre Anhörung am 11. Oktober 1991 geriet zu einem Spiessrutenlauf.
Die Geschichte war in mehrfacher Hinsicht denkwürdig. Es war der bisher grösste Fall von sexueller Belästigung in den USA. Ausserdem waren Thomas, der vom republikanischen Präsidenten George Bush senior für den Supreme Court nominiert worden war, und Hill Afroamerikaner. Thomas bezeichnete die Vorwürfe denn auch als «High-Tech-Lynching für aufmüpfige Schwarze».
Er war Anita Hills Vorgesetzter, als beide in den 80er Jahren für das Bildungsministerium arbeiteten. Vor dem Senatsausschuss schilderte Hill, wie Thomas ihr gegenüber wiederholt anzügliche bis pornografische Bemerkungen über grossbusige Frauen oder Sex mit Tieren gemacht habe. Er habe auch mit seinem Penis geprahlt, der «länger als üblich» sei.
Die Republikaner im Ausschuss bemühten sich nach Kräften, Hills Glaubwürdigkeit anzuzweifeln. Sie habe ihre Anschuldigungen aus Büchern oder juristischen Verfahren bezogen, hiess es etwa. Einen konkreten Beweis für die Vorwürfe gab es nicht, es stand Aussage gegen Aussage. Am Ende wurde Clarence Thomas bestätigt, mit 52 zu 48 Stimmen allerdings knapper als erwartet.
Die Anfeindungen während der achtstündigen Anhörung waren nicht die einzige Demütigung, die Hill ertragen musste. Konservative Kreise entfesselten eine Schlammschlacht gegen die Juristin. Ein junger Heisssporn namens David Brock tat sich besonders hervor. Er veröffentliche das Buch «The Real Anita Hill», in dem er sie als «ein wenig irre und ein wenig nuttig» bezeichnete.
Heute bereut Brock diese Worte. Er wechselte politisch die Seiten und enthüllte, dass einige Informanten für sein Buch später zugegeben hatten, dass die Anschuldigungen gegen Thomas berechtigt waren. Andere Frauen hatten ähnliche Vorwürfe erhoben, ihre Aussagen wurden jedoch unterdrückt. In einem Gastbeitrag für NBC News äussert Brock die Befürchtung, dass Christine Blasey Ford ein ähnliches Kesseltreiben befürchten müsse wie Anita Hill.
Die Zeiten aber haben sich geändert. Die #MeToo-Bewegung hat bewirkt, dass sexuelle Übergriffe in den USA nicht mehr als Kavaliersdelikt betrachtet werden. Und eine versuchte Vergewaltigung ist ein gravierenderer Vorwurf als verbale Belästigung. Selbst konservative Republikaner räumen ein, dass Brett Kavanaugh es schwerer haben werde als Clarence Thomas.
Bislang halten sie sich mit Angriffen auf Blasey Ford auffällig zurück. Das gilt sogar für Donald Trump. Seine Beraterin Kellyanne Conway betonte am Montag auf Fox News, die Frau, die Brett Kavanaugh beschuldige, sollte «nicht beschimpft und nicht ignoriert werden». Die republikanischen Senatoren Susan Collins und Jeff Flake erklärten, Kavanaugh wäre für sie nicht wählbar, wenn sich die Anschuldigungen als wahr erweisen sollten. In diesem Fall wäre seine Kandidatur erledigt.
Noch steht auch in diesem Fall Aussage gegen Aussage. Kavanaugh weist die Anschuldigungen zurück. Die Republikaner aber sind nervös, nicht zuletzt mit Blick auf die Kongresswahlen vom 6. November. Bislang gingen sie davon aus, vielleicht das Repräsentantenhaus zu verlieren, dafür aber die knappe Mehrheit im Senat verteidigen zu können.
Das könnte sich ändern, wenn sie «um jeden Preis» an Kavanaugh festhalten, wie David Brock mutmasst. Dies könnte den Ärger vieler Frauen über Trump und seine Partei noch verstärken. Auch eine Niederlage des Richters im Senat wäre ein schwerer Schlag. Falls die Demokraten die Mehrheit erringen, müsste der Präsident wohl einen gemässigteren Bewerber nominieren.
Es steht also einiges auf dem Spiel, wenn Christine Blasey Ford vor dem Justizausschuss erscheinen wird, ob am nächsten Montag oder zu einem späteren Zeitpunkt. Anita Hill ist heute Professorin an der renommierten Brandeis University in Massachusetts. Sie engagiert sich weiterhin für die Opfer sexueller Übergriffe. Ihren damaligen Auftritt hat sie trotz der Hetzkampagne von rechts nie bereut.