«Nichts leichter als das», dachte ich, als ich vor einigen Jahren angefragt wurde, ob ich Ideen hätte, wie man das Medieninteresse für den Berner Benefiz-Velomarathon Race for Life, der sich für die Unterstützung von Krebsbetroffenen engagiert, ein bisschen steigern könnte. Das Thema betrifft doch jede und jeden in der einen oder anderen Art und Weise, wenn nicht persönlich, dann indirekt. Und weil ich vom People-Journalismus her komme, habe ich mal bei diversen Prominenten in die Runde gefragt, ob man sich vorstellen könnte, sich zu engagieren und über seine persönlichen Erfahrungen zu reden.
Mit den Antworten hätte ich wirklich nicht gerechnet. Sich engagieren, ja, spenden, ja, selbst vor Ort in die Pedale treten, ja – persönliche Erfahrungen teilen, «lieber nicht». Der meistgehörte Satz: «Ich möchte nicht mit meinem Schicksal hausieren.» Das hat mich, die ich bis anhin in meinem Umfeld kaum von dem Thema betroffen war, extrem nachdenklich gemacht. Empfinden wir es hierzulande wirklich als «hausieren», wenn wir darüber reden, von einer Krankheit betroffen zu sein, oder dass jemand uns Nahestehendes daran leidet, wir jemanden deswegen verloren haben? Ja, offenbar tun wir das. Wir schämen uns, wenn wir krank sind. Wir haben das Gefühl, zu jammern oder uns wichtigzumachen, wenn wir darüber reden. Das ist doch absurd.
Seither fallen mir – sensibilisiert für dieses Thema – immer mehr solcher Geschichten auf. Zum Beispiel die einer Bekannten, die mir, als ich ihr von meinem Engagement fürs Race for Life erzählte, gestand, dass sie Brustkrebs hatte und durch alle OPs und Chemos alleine war, weitergearbeitet hat, als wäre nichts, und niemandem ausser ihrem Partner was gesagt hat. Auf meine Frage nach dem Warum meinte sie, sie hätte Angst gehabt, als Selbstständige keine Jobs mehr zu bekommen, da man an ihrer Zuverlässigkeit gezweifelt hätte, wenn man sie als krank wahrgenommen hätte. Oder ein Bekannter, der seinen Lungenkrebs verschwieg. Weil er sich schämte, und «weil ich irgendwie dachte, ich sei selbst schuld». Obwohl er vielleicht fünf Zigaretten raucht pro Jahr.
45’000 Menschen erhalten in der Schweiz pro Jahr eine Krebs-Diagnose. Was diesen Menschen und ihrem Umfeld helfen würde? Zu wissen, dass sie nicht allein sind. Zu wissen, dass sie nichts dafür können. Und zu hören, wie andere damit umgehen. Eine, die sich traut, über ihr Schicksal zu sprechen, und das auch immer wieder öffentlich tut, ist meine Freundin Lerna. Sie leidet am Lynch-Syndrom, einem Gendefekt, der die Entstehung von Krebs begünstigt. Hirntumor, Leber-, Darm- und Bauchfellkrebs, Lerna blieb nicht viel erspart. Als der Tumor sich in ihrem Magen breitmachte, musste dieser ganz entfernt werden, seither lebt sie ohne dieses Organ.
Lerna ist eine der mutigsten und lebensbejahendsten Menschen, die ich kenne. Sie backt mit Leidenschaft Torten für andere. Sie selbst isst sie nicht – nicht, weil das ohne Magen nicht ginge, sondern weil sie einfach Süsses nicht besonders mag. Manchmal hadert sie mit sich, ihrem Schicksal, und der Tatsache, dass sie so viel Zeit im Spital verbringt, und dass vieles, was für andere selbstverständlich ist, für sie nicht möglich ist. Auch dann spricht sie darüber. Weil's – im Gegensatz zu all den anderen instaperfekten Social-Media-Posts – hilft. Ihr selbst und anderen. Das hat nichts mit Jammern oder Hausieren zu tun. Sondern mit ganz viel Mut, zu zeigen, dass das Leben nicht immer perfekt ist. Und trotzdem gelebt werden darf. Ich persönlich ziehe einmal mehr all meine Hüte vor Lerna und allen anderen, die sich nicht dafür schämen, krank zu sein.
Jetzt liegt der Ball bei euch. Was habt ihr für Erfahrungen mit Krebs? Redet darüber!