Seit ich mich erinnern kann, hatte mein Grosi Diabetes. Der Verzicht auf Süsses, das sie eigentlich liebte, verlangte ihr viel Willenskraft ab. Umso weniger Lust hatte sie, auf anderes zu verzichten. «Ich habe immer alles gegessen, aber immer aufgehört, wenn ich satt war.»
Zur richtigen Zeit aufhören – das gelte auch für alles andere im Leben. «Fürs Rumrennen, fürs Diskutieren, fürs Sich-Aufregen.» Dabei muss man wissen, dass mein Grosi ein Mensch ist, der sich unglaublich gern und oft aufregt – zum Beispiel übers Pflegepersonal der «Residenz», in der sie jetzt lebt. «Aber das gehört halt dazu», meint sie. Und: «Ich glaube, dass ich auch deshalb nie ernsthaft erkrankt bin, weil ich gewisse Dinge rausgelassen habe.»
Anpassungsfähigkeit ist der zweite Vorname meiner Grossmutter. Während meiner Kindheit war ihr Mann für eine grosse Schweizer Firma in Lateinamerika stationiert. Wo auch immer sie hinzogen, Grosi hat sich angepasst. «Das war nicht immer einfach, die Mentalität ist sehr anders als bei uns.» Was sie aus dieser Zeit mitgenommen hat: sich auf die Dinge konzentrieren, die gut sind, nicht auf das, was nicht gut ist. «Es ist einfach besser für den Seelenfrieden.»
Ebenfalls aus Südamerika mitgebracht hat sie übrigens noch ein paar ganz simple Gesundheitstricks: «Sonnencreme, auch wenn's wolkig ist. Es lohnt sich. Viel stilles Wasser trinken. Lange Hosen und Ärmel schützen nicht nur vor Sonne, sondern auch vor Insekten. Und Siesta am Mittag sollte man sich auch in Europa angewöhnen. Man funktioniert danach viel besser.»
Zudem seien rückblickend ganz viele Dinge gar nicht so wichtig gewesen, wie sie schienen: «Die Dinge mit Abstand zu sehen, erspart oft Stress, Druck – und Kopfschmerzen!» Apropos Kopfschmerzen: Da schwört mein Grosi auf Pfefferminzöl auf Schläfen und Stirn und eine Runde an der frischen Luft.
Mein Grosi hatte nicht immer ein leichtes Leben – so hat sie unter anderem mehr als ein Kind verloren. Den Fakt, dass sie kaum je darüber gesprochen hat, mag man ihr als herzlos oder ignorant auslegen – für sie ist's eine Entscheidung: «Nach vorne schauen und nicht zurück. Nicht hadern.» Sondern eben loslassen. Nicht nur Materielles – wie ihr Haus – oder Menschen – wie ihren Mann, der vor einigen Monaten gestorben ist. Sondern auch ein Stück weit sich selbst.
Den Körper, so wie er mal war. Das Augenlicht lässt nach (auf einem Auge ist sie mittlerweile ganz blind, auf dem anderen sieht sie noch gut zwanzig Prozent), sie ist unsicher auf den Beinen, kann sich nicht mehr selbst anziehen und waschen, weil sie sich bei einem Sturz die Schulter angeknackst hat und eine Operation in diesem Alter zu gefährlich ist. Aber sie trainiert ihre Beine täglich beim Spazieren mit dem Rollator, weil sie so lange wie möglich hinauszögern möchte, im Rollstuhl sitzen zu müssen.
Und sie muss auch ihren Geist Stück für Stück loslassen. «Ich weiss Dinge nicht mehr, vergesse Worte, weiss nicht mehr, was ich gestern gemacht oder gegessen habe. Aber ich sitze im Garten und sehe die Bäume und fühle die Sonne und denke, dass das schön ist. Das ist doch wichtiger, als was ich gestern gegessen habe.»
Was ist mit euch, welches sind die wichtigsten Gesundheitstipps, die ihr von euren Grosis, Opas, Grosstanten und so weiter bekommen habt? Teilt sie mit uns in den Kommentarspalten.