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Büchsenravioli: 9 Fun-Facts zum Traum(a) aus der Konserve

Wie die Ravioli in die Dose kamen – Fun Facts zu 75 Jahren Büchsenravioli in der Schweiz

Bild: Hero
26.03.2023, 15:2627.03.2023, 16:46
Oliver Baroni
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Wenn ein führender Schweizer Konservenhersteller 75 Jahre Dosenravioli feiert, lohnt es sich, mal einen genaueren Blick auf dieses historisch und kulturell einflussreiche Produkt zu werfen.

Am Anfang war der Krieg

Etymologisch und historisch lassen sich die gefüllten italienischen Teigwaren Ravioli bis ins Mittelalter zurückverfolgen. Ravioli aus der Konservendose indes tauchten erstmals im Ersten Weltkrieg als Frontnahrung für die italienischen Streitkräfte auf. In den Folgejahren der Zwischenkriegszeit kamen erstmals Ravioli in Konservendosen auf den Markt. Zur damaligen Zeit verfügten viele Haushalte noch nicht über einen Kühlschrank. Unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs setzte sich das Konzept mit diversen Marktführern in Europa und Nordamerika durch: Heinz in Grossbritannien, Buitoni in Frankreich, Chef Boyardee in den USA etwa – und Hero in der Schweiz.

1948: Eine «exquisite italienische Delikatesse»

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Bild: Hero

Vorgänger der heute in der Schweiz bekannten Hero-Dosenravioli waren die seit 1936 produzierten «Super Raviolini alla Milanese» von der Konservenfabrik Seethal. Die Fabrik in Seon AG, ein Tochterunternehmen von Hero Lenzburg, wurde 1943 zwar geschlossen, ihre Rezeptur wurde aber 1948 von Hero als «exquisite italienische Delikatesse» neu lanciert – und zwar landesweit in der Schweiz.

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Bild: Hero

Die aufwändige nationale Werbekampagne umfasste Prospekte, Kinowerbung und die Aufforderung an Detaillisten, mit den Dosen in ihren Geschäften Pyramiden aufzubauen. Für einen Grossteil der Schweizer Bevölkerung waren Büchsenravioli die erste Begegnung mit italienischer Esskultur. Als Convenience-Produkt befriedigten sie Konsumgelüste und Wünsche nach ausländischen Speisen nach dem Zweiten Weltkrieg. Ausserdem war das Produkt eine Reaktion auf den beginnenden Massentourismus, bei dem Italien zu den Hauptzielen gehörte.

1952: Vreneli & Angelo in LOVE ❤️

«Hurra, der Bräutigam kommt» hiess der Werbespot, der erstmals 1952 in den Kinos ausgestrahlt wurde (geschlagene vier Minuten lang ist das Ding – die durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne war damals wohl länger). «Der Weg zur Ehe war mit Ravioli gepflastert», lacht Vreneli, die Braut, in Richtung Kamera, nachdem sie überglücklich unter den vielen Hochzeitsgeschenken ein paar Raviolidosen entdeckt. Der Clou: Ihr Bräutigam Angelo ist Italiener. Dessen erste Begegnung mit Vrenelis Eltern ist dank Hero-Ravioli ein voller Erfolg.

Möglich dank Migration

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Bild: Hero

Unabhängig von der angepriesenen «Italianità» aus der Dose bestand aber für Hero eine andere wichtige Verbindung zum südlichen Nachbarland: Die steigende Nachfrage nach Konserven konnte vor allem dank der Arbeitskraft zahlreicher italienischer Migrantinnen und Migranten befriedigt werden.

Onkel Otto kocht selbst!

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Bild: Hero

Lanciert wurden Dosenravioli unter anderem mit dem Argument, dass nun sogar auch Männer (die bekanntlich nicht kochen können) selber etwas Warmes zubereiten können. Ach, die Fünfziger halt.

Die Schweizer Konkurrenz zieht’s nach Deutschland

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Bild: wikicommons

1958, ganze 10 Jahre nach Hero, zieht der Schweizer Konservenhersteller Maggi nach. In Deutschland kann sich das Produkt durchsetzen. Während in der Schweiz Hero unangefochtener Marktführer bleibt (aktuell mit einem Marktanteil von 40 Prozent), ist es im benachbarten Norden bis heute die Nestlé-Tochter Maggi.

«Zwar praktisch und billig, qualitativ aber wenig befriedigend»

Der Erfolg der Dosenravioli erlebte am 10. März 1978 einen jähen Dämpfer. Die als Agentenfilm aufgemachte «Kassensturz»-Sendung «Ravioli X-015» präsentierte dem TV-Publikum den Inhalt der Ravioli: Agenten klaubten die gräulich aussehenden Füllungen aus den Teigtaschen und fanden darin «qualitativ wenig befriedigende» Zutaten – bei einem Schweizer Hersteller etwa Innereien und gar Schweinsköpfe.

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Bild: Youtube

Nach der Sendung brach der Umsatz in der Schweiz um die Hälfte ein. Hero reagierte mit einer Inseratenkampagne: «Das ist drin: Rindfleisch, Speck und Tomatensauce – keine Innereien.» Ausserdem verklagten die Hersteller Hero Lenzburg und Roco Rorschach die Sendungsmacher und forderten Schadenersatz in Millionenhöhe. Ein Gericht urteilte später, der Beitrag sei trotz der reisserischen Aufmachung so zulässig. Die Hersteller zogen das Urteil nicht weiter – und so endete die Geschichte mit einem Vergleich zwischen den Kontrahenten. Es dauerte aber Jahre, bis das alte Umsatzniveau wieder erreicht werden konnte.

Während Corona wurde gehamstert

2022 wurden in der Schweiz mehr als 16 Millionen Franken für Büchsenravioli ausgegeben. Das entspricht knapp 6 Millionen Dosen. Während des Corona-Jahres 2020 stieg diese Zahl aufgrund der Hamsterkäufe auf über 18 Millionen Franken.

Schweiz im Ravioli-Rausch: Migros fährt die Konserven-Produktion hoch
Vollkorn-Pasta hätte es auch noch e bitzeli an Lager.
Bild: user-kommentar

Der Büchsenravioli-Markt entwickelt sich somit – abgesehen vom Corona-Peak – längerfristig stabil; aktuell sogar leicht wachsend. Womit wir nun bei dem hier wären:

Poll: Wer isst heute Büchsenravioli?

Leute, ihr müsst mir eine Frage beantworten. Seid bitte ehrlich:

Hand aufs Herz: Isst du Büchsenravioli?

Die Werbekampagne zum 75. Jubiläum des Hero-Produkts spricht von einem «Klassiker», der «heiss gliebt sit 75 Jahr» sei. Logisch tut sie das. Fragt man im Bekanntenkreis nach, befinden sich Büchsenravioli-Esser aber eindeutig in der Minderheit. Eine Umfrage in der Redaktion («Isst du noch Büchsenravioli?») ergab folgende Antworten:

  • «In meinen Träumen.»
  • «Nope. Das letzte Mal vor ca. 20 Jahren im Tennislager.»
  • «Nein! Habe sie schon als Kind gehasst!»
  • «Seit Jahrzehnten nicht mehr.»
  • «NEIN.»
  • «Nope. Das letzte Mal im Juni 2017 auf den Lofoten.»
  • «Nicht mehr, aber früher habe ich sie geliebt. Ich muss sie glaubs mal wieder probieren.»
  • «Nein, aber bald wieder. Es gibt sie nämlich endlich vegan. 😍»
  • «Nein, würde evtl. gerne, denke aber nie daran.»
  • «Jep, ab und zu, wenn es schnell gehen muss, die Vegi-Tofu-Ravioli aus der Migros. Die sind imfall gar nicht mal so übel.»
  • «Nope.»
  • «Ich bin 21, wohne seit bald einem Jahr in meiner ersten WG und esse – trotz mangelnden kulinarischen Fähigkeiten – keine Büchsenravioli.»
  • «Ja, gerne auch kalt. Sorte Maggi Diavoli, aber sowas gutes kennt man nur in Deutschland 😉.»
  • «HELL NO!»
  • «Heihei nope.»
  • «Gerade gestern eine Büchse gegessen. Es ist einfach praktisch – es geht soooo schnell. Und dann schwingt natürlich immer noch etwas die Erinnerung ans Campen und die Natur mit.»
  • «Hier! Also meine Kinder. Sie lieben es!»
  • «Nein.»

Von 18 nur vier, die mit «ja» antworten. Und noch ein paar, die gerne würden, aber es (noch) nicht tun. Und bevor nun jemand (um die britische Innenministerin Suella Braverman zu paraphrasieren) die watson-Redaktion als «tofu eating wokerati» abtut: Die Antwortenden umfassen alle Alterssegmente sowie diverse Wohnregionen und Bildungsabschlüsse. Vielleicht lässt sich aber eine Konstante feststellen: Hat mindestens ein Elternteil eine italienische Herkunft, finden Büchsenravioli in der Kindheit schlicht nicht statt.

Ich selbst hatte meine erste richtige Begegnung damit erst in jüngster Vergangenheit, als ich sie in einem TikTok-Rezept einbringen musste (fairerweise muss man konstatieren, dass das betreffende Rezept auch ohne die Zugabe von Büchsenravioli grusig gewesen wäre):

Video: watson/Oliver Baroni, Tallulah Baroni, Emily Engkent

Eure Meinung ist gefragt!

IMAGE DISTRIBUTED FOR HERO AG FOR EDITORIAL USE ONLY - Hero Ravioli feiern mit einer nationalen Plakatkampagne ihren 75igsten Geburtstag. // Weiterer Text ueber ots und http://presseportal.ch/de/pm/10 ...
Bild: keystone

Und deshalb wollen wir von EUCH hören, liebe Userschaft! Sind Büchsen-Ravioli für euch immer noch eine Konstante im Ernährungsalltag? Oder nur eine Erinnerung an Pfadilager und Militär? Braucht es dieses Dosenprodukt noch in einer Zeit, in der es eine grosse Auswahl an frischen Pasta-Fertigprodukten gibt, auf die man ausweichen könnte (Rana, Betti Bossi, Anna's Best und Co. lassen grüssen)?

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Willkommen in der bunten Werbewelt Italiens der Sechziger-, Siebziger- und Achtzigerjahre!
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Baroni kocht TikTok Zitronenpasta
Video: watson
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202 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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M. mit Stil
26.03.2023 15:37registriert September 2022
Ich will ja keine Klischees zementieren, aber als Kind, wenn mein Vater jeweils gekocht hat, gab es immer Dosenravioli. Die Erinnerungen daran sind gar nicht so schlecht. Es war halt Papi-Essen. 😄
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TanookiStormtrooper
26.03.2023 15:42registriert August 2015
Also ich habe immer eine Büchse in meinem Notvorrat und wenn ich wirklich einen sehr faulen Tag habe oder es sehr spät geworden ist und ich hunger habe, dann mach ich mir eine Dose auf.
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Fight4urRight2beHighasaKite
26.03.2023 15:54registriert Oktober 2022
Mein Vater hats immer gehasst, ich hab das Zeug schon in der Kindheit geliebt. Damals war das rein geschmacklich eines meiner Lieblingsessen, heute natürlich nicht mehr. Aber ich feier Dosenravioli immer noch, wenn auch aus anderen Gründen.

Es braucht eine Pfanne, gibt kaum Abfall, kein Aufwand und man hat doch eine einigermassen vollwertige Mahlzeit. Dosenravioli haben mir manch depressive Phase erleichtert.
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202
Taylor Swift und Beyoncé singen gemeinsam für Kamalas Kampagne!!! Oder doch nicht???

Megaspoiler: Nein, sie tun es nicht. Das Mega-Fundraising-Event für die Wahlkampagne von Kamala Harris findet nicht statt. Bis jetzt jedenfalls nicht. Also noch nicht. Denn vielleicht bringt die Gerüchteküche, die vorgestern Dienstag zu brodeln begann und gestern Mittwoch mindestens die Welt aller Swifties glücklich durchschüttelte, Beyoncé und Taylor Swift ja auf eine gute Idee. Vielleicht telefonieren oder zoomen sie schuss und beschliessen, dass man das eigentlich schon machen könnte.

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