Liebes Coronavirus
Wir haben Sie ganz schön plattgemacht. Von 1500 täglichen Ansteckungen runter auf 28 haben wir Ihren exponentiellen Infektionsfuror gehämmert. Und das in nur acht Wochen! Das ist wohl nicht so gelaufen, wie Sie sich das vorgestellt haben. Haha!
Nehmen Sie uns ein wenig Triumphgeheul nicht übel, aber wir hatten schon ein bisschen Schiss nach den Szenen, die Sie in Bergamo veranstaltet hatten. Und jetzt sind wir ein bisschen stolz. Gleichzeitig aber auch beunruhigt, und wir hoffen, die nächste Runde geht nicht an Sie.
Sie wissen ja auch, dass wir nicht so weitermachen können. Wir sind eine Konsum- und Event-Gesellschaft. Ein paar Wochen Entschleunigung, die lagen jetzt grad noch drin, aber irgendwann ist dann auch mal gut. Denn wenn wir hier ein paar Wochen nur noch das kaufen und tun, was wir zum Leben wirklich brauchen, dann bricht die Wirtschaft zusammen. Ist halt so.
Deswegen hat unser Finanzminister Ueli Maurer wohl einfach schön magistral zusammengefasst, was ohnehin viele denken: «Ich habe langsam genug von dieser Krise.»
Deshalb sind wir nun wieder da, legen den Hammer weg und bitten Sie zum Tanz.
Wir werden nicht mehr so nah tanzen wie auch schon. Via Handschläge, Besoffene in Clubs und Fussballstadien sowie trancierte Gläubige in Kirchen werden Sie uns eine Weile lang sicher nicht mehr erwischen.
Aber ab heute gehen wir mit bundesrätlichem Segen wieder in die Schule, die Fitnesscenter, die ÖV, in die Grossraumbüros, wir hocken wieder im Schützen, im Ochsen und in der Kronenhalle und prosten uns zu. Wir gehen raus auf die Promenaden und in die Parks, trinken Bier und gespritzten Weissen an der Sonne. Nach dem jeweils dritten von diesen Getränken sind wir uns dann auch wieder näher als die obligatorischen zwei Meter, und wir laden auch wieder mal ein wenig mehr Freunde, Verwandte und Grosseltern ein, als Daniel Koch es empfehlen würde.
>> Coronavirus: Alle aktuellen Meldungen im Liveticker
Unsere zunehmende Sorglosigkeit wird Ihnen genügend Gelegenheiten geben, die Führung beim Tanz zu übernehmen. Das ist ja Ihr Ding, Sie sind uns sowieso immer einen Schritt voraus und aufs Führen sind wir nicht so gut vorbereitet.
Wir werden Mühe haben, rauszufinden, wo Sie allenfalls ein Infektionsherdlein gelegt haben, das sich schnell in alle Himmelsrichtungen verbreiten kann. Zwar schicken wir Ihnen Virus-Detektive hinterher, die viele Leute aus dem Verkehr ziehen, mit denen Sie in Kontakt waren. Aber sicher nicht alle. Und wir haben auch keine Datenbank oder sowas, die einen schnellen Überblick ermöglichen würde, wo Sie sich am liebsten verbreiten.
Das könnte überall sein, wo viele Menschen sind, denn mit Masken hindern wir Sie nur selten daran, Ihre Kreise zu ziehen. Wir haben schlicht zu wenige und wir sind sie uns nicht gewohnt, wir tragen sie ungern. Die Masken stören nicht nur Sie beim Infizieren, sie stören auch uns beim Rauchen, Essen, Atmen.
Zwar haben wir immer die neusten Handys, aber die werden uns bei unserem Tanz vorerst nicht weiterhelfen. Wegen grundrechtspolitischer Bedenkenträgerei nutzen wir die erst später, um Ihnen auf die Schliche zu kommen. In dieser Hinsicht können Sie also unbesorgt sein bis etwa zu den Sommerferien.
Vielleicht sollten wir uns noch gemeinsam auf einen Stil einigen, nun wo wir den Tanz beginnen.
Es ist eben so, dass wir ein wenig wankelmütig sind. Wir ziehen nicht immer alles so durch, wie wir es planen.
Mal heisst es, zwei Personen dürfen im Restaurant am Tisch sitzen, dann sind es doch vier. Mal heisst es, wir treten in zurückhaltender Weise zum Tanz an auf kleinem Parkett, dann fluten wir doch gleich den grossen Saal. Wir wollten sehr gestaffelt einen Bereich nach dem anderen wieder hochfahren, damit wir sehen, welche Lockerungen drinliegen und welche nicht. Jetzt öffnen wir doch fast alles aufs Mal.
Exakte Vorstellungen, wann wir den Tanz abbrechen, ab wie vielen täglichen Neuinfektionen wir wieder zum Hammer greifen wollen, die haben wir dabei aber nicht. Unser Marcel Salathé sagt, wir hätten gar keine Kraft mehr, den Hammer hervorzuholen. Vermutlich hat er recht, denn zumindest unser Finanzminister hat dazu sicher überhaupt keine Lust.
Sie sehen, Ihre Ausgangslage ist gut, denn unsere bevorzugte Fortbewegungsart in der von Ihnen verursachten Krise ist der Eiertanz. Und wir werden wohl dabei bleiben.
Ich hoffe, das gereicht Ihnen nicht allzu sehr zu Ihrem tödlichen Vorteil.
Mit besorgtem Gruss
Maurice Thiriet
Nur eines, das nervt mich so richtig. Und ich wusste schon vor zwei Monaten, dass das kommen wird: die Nörgler!!!
Hätte der Bundesrat nichts gemacht, wäre er unfähig gewesen und nun da man präventiv gehandelt hat, schreien sie alle "fertig mit dem Lockdown, es ist ja nichts passiert". Da könnt ich ein "wein doch" drüber machen, echt.
Genau der Punkt sollte vermehrt zur Reflektion anregen...