Es geht um viel in der Europa-League-Partie des FC Zürich in Neapel. Um sehr viel sogar. Obwohl nach der 1:3-Heimniederlage die Chancen auf ein Weiterkommen gleich null sind, hängt von diesem Spiel eine Menge für den Schweizer Fussball ab. Nur wenn der FC Zürich im Stadion San Paolo zumindest einen Punkt holt, kann die Schweiz im UEFA-Ranking Dänemark noch von Platz 15 verdrängen. Diesen auf sicher hätte man aber nur dann, wenn Dinamo Zagreb aus dem Wettbewerb ausscheidet und das auf Rang 17 klassierte Kroatien nicht mehr punkten kann.
Warum das so wichtig ist? Bleibt unser Land auf Rang 16 stehen, bedeutet das für die Saison 2020/21 das Folgende: Es dürfen nur noch vier statt fünf Schweizer Vereine am Europacup teilnehmen und nur noch der Meister an der Qualifikation zur Champions League. Und: Der Cupsieger steht nicht mehr direkt in der Gruppenphase der Europa League. Alle Schweizer Klubs müssen zwei und mehr Ausscheidungsrunden überstehen, um in den jeweiligen Wettbewerb einzuziehen. Das hätte gravierende Auswirkungen auf den Schweizer Fussball. Nicht zuletzt in wirtschaftlicher Hinsicht.
Fakt ist: Obwohl die Young Boys eine ansprechende Kampagne in der Champions League abgeliefert und der FC Zürich europäisch überwintert hat, liegt die Schweiz in der laufenden Europacup-Saison in der UEFA-Wertung hinter Ländern wie Zypern, Österreich, Weissrussland und Kasachstan auf Rang 26. Grund: Basel, St.Gallen und Luzern holten zu wenige Punkte. Ist es einfach bloss dumm gelaufen? War vielleicht Lospech schuld? Oder sind die fehlenden finanziellen Mittel die Ursache?
Weder noch. Länder wie Tschechien, Österreich, Dänemark und Kroatien sind gewiss nicht potenter. Der Hauptgrund für die Misere: Das Niveau der Super League ist schleichend gesunken. Zwar fallen viele Tore, doch der Rhythmus ist tief und die technischen Fehler sind zahlreich. Zu viele Vereine arbeiten ungenügend. Absurd: Die Rückrunde ist noch keine drei Wochen alt und doch sind bereits zwei Trainer entlassen worden.
In keiner Liga sind die Verantwortlichen ungeduldiger, nervöser und hektischer als in der Super League. Nirgendwo sonst werden die Trainer so schnell fortgeschickt. Der vor genau einem Jahr beim FC Zürich zum Cheftrainer aufgestiegene Ludovic Magnin ist bereits der Mann mit der zweitlängsten Amtsdauer.
Wie soll etwas Gesundes heranwachsen, wenn die Kontinuität fehlt? Wenn die Klubs sich von Umbruch zu Umbruch hangeln oder sogar nur von Spiel zu Spiel denken? Pflästerlipolitik betreiben, statt sich an Konzepte halten?
Luzern hat innert 14 Monaten drei Trainerwechsel vorgenommen. Damit werden grosse finanzielle Mittel verschleudert. Die Entlassung René Weilers kostet über eine Million Franken. Was dazu führt, dass für die Spielertransfers das nötige Geld fehlt und das Jammern gross ist. Es ist erstaunlich, dass die Luzerner Weiler mit einem Dreijahresvertrag ausstatten und ein gutes halbes Jahr später zugeben, die Verpflichtung sei ein Fehler gewesen. Es zeugt von mangelnder Sorgfalt bei der Evaluation und Einstellung des Trainers.
Wer einen Weiler holt, muss wissen, dass er einen ehrgeizigen, fordernden Fachmann bekommt. Die Transfers sind mit Ausnahme von Blessing Eleke nicht überzeugend. Mangelnde Fachkompetenz ist aber längst nicht nur in Luzern auszumachen. Zu viele Klubs verpflichten anderswo gescheiterte, abgehalfterte oder eben verletzte Profis.
Die Vereine verhalten sich wie Kunden an Wühltischen im Ausverkauf. Immer in der Hoffnung auf ein Schnäppchen. Auf einen Spieler, der dann mit möglichst viel Gewinn weiterverkauft werden kann. Die Folge: durch «Ramsch» aufgeblähte Kader. Es kann wie bei den Grasshoppers passieren, dass in einer Saison 18 Spieler kommen und ebenso viele gehen. Die Profis verkommen zur Ware, zu Spekulationsobjekten. Von Empathie keine Spur. Dabei ist das die Grundlage für gute Leistungen. Viele Klubverantwortliche erwecken den Eindruck, als seien die Spieler ihre Spielzeuge. Als spielten sie eine Art Fussball-Monopoly oder das Online-Managerspiel des «Kicker». Und manchmal klingelt es – Volltreffer! – und Sion kann ein Juwel wie Matheus Cunha für fast 20 Millionen Franken nach Leipzig verkaufen. Unter dem Strich aber sind zu viele Transfers Flops. Weil zu viele Klubs das seriöse Scouting vernachlässigen. Und am falschen Ort sparen.
Die Super League gibt Anfang 2019 kein gutes Bild ab. Wie weit Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen, hat das Europa-League-Spiel des ernüchternd chancenlosen FC Zürich gegen Napoli gezeigt. Und auch, was für «Ich-AG» mittlerweile unterwegs sind. Gut abzulesen am überschwänglichen Torjubel von Benjamin Kololli beim Ehrentreffer gegen die Italiener.
Kenner der Szene, die seit Jahrzehnten Wochenende für Wochenende den Schweizer Spitzennachwuchs beobachten, sagen, die Qualität habe auch hier nachgelassen. Sie sehen viele kleine, verwöhnte Ronaldos, stellen aber fest, dass Bequemlichkeit Einzug gehalten hat, Biss und Hunger fehlen. Auch die einst so ehrgeizigen Migranten seien satt geworden.
Richtig Freude im Schweizer Klubfussball machen auf Stufe Super League nur die Young Boys und der FC Thun. Die Sportchefs Christoph Spycher und Andres Gerber ziehen die kontinuierliche Arbeit dem Monopolyspiel vor. Dass ihre Trainer Gerado Seoane und Marc Schneider auch noch nicht so lange im Amt sind, ist dem Erfolg ihrer Vorgänger geschuldet, die weggelockt wurden.
Die Thuner verpflichten fast keine Spieler aus dem Ausland. Ein letzter solcher Transfer wurde vor vier Jahren mit demNeuseeländer Marco Rojas getätigt. Sie bedienen sich vor der eigenen Haustür und wissen, was sie bekommen. Sie holen Marvin Spielmann und Basil Stillhart von Wil, Dennis Salanovic und Dominik Schwizer von Rapperswil, Chris Kablan und Dejan Sorgic von Kriens, Miguel Rodrigues von Servette, Nicola Sutter und Christian Fassnacht von Winterthur, Matteo Tosetti von Lugano – und sie sind Dritte. Noch Fragen?