Im Frühjahr 2013 ist der Trainer-Assistent des HC Lugano nicht mehr bereit, die zweite Geige zu spielen. Er spricht bei seiner Präsidentin vor und beansprucht die Position des Cheftrainers.
In einem «normalen» Hockeyunternehmen mit einer «normalen» Präsidentin oder einem «normalen» Präsidenten wäre diese Forderung des charismatischen, selbstbewussten Mannes mit einem milden Lächeln und freundlichen Worten abgelehnt worden. Zu jung – noch nicht einmal 40 Jahre alt – und keine ausreichende Erfahrung als Cheftrainer auf irgendeiner Stufe. Den HC Lugano zu coachen, eine Kabine besetzt mit einigen der grössten Egos unseres Hockeys zu bändigen, ist schliesslich kein Kindergeburtstag. Und der HC Lugano ist ein ambitioniertes Unternehmen. Kein Institut für die Ausbildung von Trainer-Zauberlehrlingen.
Aber Vicky Mantegazza erkennt das Potenzial von Patrick Fischer. Vielleicht auch, weil sie als ehemalige Spielerin eine Sensibilität für die Besonderheiten dieses Spiels auf rutschiger Unterlage hat. Sie gibt Patrick Fischer den Job. Bald einmal ist in Lugano von einer Revolution die Rede. Aufbruchstimmung. Vielleicht doch der erste Titel seit 2006?
Patrick Fischer hat keine Angst vor grossen Tieren. Frischer Wind weht durch die Kabine, arrivierte Stars müssen sich warm anziehen. Selbst der Titan Hnat Domenichelli wird in Frage gestellt und schliesslich aus laufendem Vertrag noch während der Saison nach Bern «straftransferiert».
Lugano rockt – und scheitert. Zweimal hintereinander hat Patrick Fischer das Pech, dass er im Viertelfinale gegen Servettes Chris McSorley antreten muss. Diesem ausgefuchsten Bandengeneral ist er noch nicht gewachsen und scheidet zweimal kläglich aus.
Um die Autorität des Zauberlehrlings zu stützen, wird der Vertrag demonstrativ verlängert. Am 22. Oktober 2015 ist die Fischer-Revolution trotzdem zu Ende. Vicky Mantegazza stimmt seiner Entlassung schweren Herzens zu. Es geht nicht mehr. Patrick Fischer hat, wie die Nordamerikaner so schön sagen, «die Kabine verloren». Die Spieler machen nicht mehr mit. Lugano ist auf den letzten Platz abgerutscht. Doug Shedden übernimmt und führt Lugano bis ins Finale.
Es ist, als hätten die Hockeygötter diese Entlassung orchestriert. Just zur gleichen Zeit ist nämlich im Verband das Chaos ausgebrochen. Nationaltrainer Glen Hanlon hat das Handtuch völlig überraschend geworden. Woher im Herbst einen neuen Nationaltrainer nehmen?
Biels Kevin Schläpfer wird gefragt und sagt unter Tränen ab. Felix Hollenstein ist ein Kandidat und kann aus familiären Gründen – sein Vater ist erkrankt – nicht sofort einsteigen. Ein Ausländer ist nicht verfügbar.
Und so kommt Patrick Fischer ins Spiel. Sven Leuenberger, damals Sportchef beim SC Bern, redet seinem Chef Marc Lüthi die Idee aus, Patrick Fischer zum Nachfolger des gefeuerten Guy Boucher zu machen. Sein Bruder Lars übernimmt den Job und wird den SCB im Frühjahr 2016 zum Titel führen.
Aber Verbands-Sportdirektor Raëto Raffainer hat den Mut, den in Lugano gescheiterten und vorübergehend arbeitslosen Zauberlehrling zum Nationaltrainer zu machen. Den Rest der Geschichte kennen wir ja.
Ohne Vicky Mantegazza – sie kümmert sich hauptberuflich um die Verwaltung des milliardenschweren Immobilien-Imperiums der Familie – gäbe es die Karriere von Patrick Fischer und die schönen Tage von Kopenhagen so nicht. Vielleicht wäre ohne die Familie Mantegazza (mit einem von Wirtschaftsmedien geschätzten Vermögen zwischen drei und fünf Milliarden) die Rückkehr unseres Eishockeys in die Weltklasse so überhaupt nicht möglich geworden.
Vicky Mantegazzas Vater Geo ist nämlich einer der Väter des Hockeys wie wir es heute kennen. Zu Beginn der 1980er -Jahre beschliesst er, den HC Lugano zu den Gipfeln des Ruhmes zu führen. Er verpflichtet nicht einfach die besten Spieler. Er holt mit John Slettvoll einen Besessenen des Hockeys, finanziert einen Profibetrieb wie ihn unser Hockey noch nie gekannt hat. Lugano wird Grande: Meister 1986, 1987, 1988 und 1990.
Die Deutschschweizer, die wahren Herren unseres Hockeys, sind geschockt. Sie müssen nachrüsten – und zwar nicht nur mit Geld. Sondern auch mit der Verbesserung der Strukturen. Mit der Einführung des Profibetriebes.
Die Dynamik, die Geo Mantegazza ausgelöst hat, trägt unser Hockey dahin, wo es heute ist. International zinst dieser Entwicklungsschub mit dem Aufstieg in die A-WM 1986 und den WM-Halbfinals von 1992 («Prager Hockeyfrühling»).
Mit der Entdeckung Patrick Fischers und dessen rechtzeitigen, ja zeitlich fast punktgenauen Entlassung hat Vicky das Werk ihres Vaters sozusagen fortgeführt. Wenn die Hockeygötter einen Sinn für Gerechtigkeit haben, belohnen sie den HC Lugano auch wieder einmal mit einem Titel.