Es ist ein Sieg für die Geschichtsbücher. Dank drei Toren in vier Minuten schlägt Red Bull Salzburg den Favoriten Lazio Rom nach einem 2:4 im Hinspiel mit 4:1 und zieht spektakulär in die Halbfinals der Europa League ein. Ein Erfolg, der nicht erwartet werden konnte, obwohl die Österreicher zuvor schon Real Sociedad San Sebastian und Borussia Dortmund aus dem Wettbewerb warfen. Die legendär verpassten Champions-League-Teilnahmen mit dem Tiefpunkt vom Scheitern gegen den luxemburgischen Zwerg aus Düdelingen sind verdrängt.
Es ist ein junges Team, das diesen Erfolg geschafft hat. Das Durchschnittsalter der Startelf betrug 25,6 Jahre, Goalie Alexander Walke (34) und Verteidiger Andreas Ulmer (32) waren die einzigen Spieler, die älter als 26 Jahre sind. «Jugend» ist auch das Stichwort, das man für die momentane Beschreibung des Vereins benötigt. Denn auf sie setzt Red Bull Salzburg. Die Jugend ist nicht nur die Zukunft, sondern bereits die Gegenwart.
Erste Früchte der Jugendarbeit erntete der Klub im vergangenen Jahr, als seine U19-Mannschaft die UEFA Youth League gewinnen konnte. Die Titel zuvor gingen an Barcelona und Chelsea. Seit 2014 führt Salzburg eine Nachwuchsakademie, welche Branchenkenner laut der NZZ für eine der besten der Welt halten. Dort werden die Talente ausgebildet und auf den Profi-Alltag vorbereitet. Der aktuelle U19-Trainer Gerhard Struber schwärmt auf «La Ola» von einem «unglaublich guten roten Faden vom Nachwuchs, über die Akademie, bis in den Profibereich. Die Zahnräder aller handelnden Personen greifen ineinander und alle tun alles dafür, dass sich die jungen Spieler entwickeln und Leistung optimieren. Wir geben uns nie zufrieden.»
Besonders wertvoll: Die besten Junioren können bereits in einer Liga der «Grossen» mitspielen, im Farmteam FC Liefering in der zweithöchsten Liga. Wer dort gut spielt, darf auf den Aufstieg zu Red Bull Salzburg hoffen. Aktuell sorgen der 18-jährige Hannes Wolf, Xaver Schlager (20), Duja Caleta-Car (21) und Stefan Lainer (25) für Schlagzeilen – alles selber ausgebildete Spieler. Auch Trainer Marco Rose kletterte via U19-Mannschaft zu den Profis hoch.
Und es sind nicht nur Österreicher, die in Salzburg gross heraus kommen wollen. Das Modell mit den stufenweisen Aufstiegsmöglichkeiten – RB Leipzig ist zwar offiziell nicht mehr mit Salzburg verbunden, hinter den Kulissen aber wohl doch immer noch – überzeugt junge Talente. Hee-Chan Hwang wechselte als 19-Jähriger aus Südkorea zum FC Liefering, gestern erzielte er gegen Lazio das 3:1. Den selben Weg schlug Amadou Haidara aus Mali ein, der 20-Jährige schoss gestern das 2:1.
«Unsere jungen Spieler sehen, dass die Tür weit offen steht», sagt U19-Trainer Struber. «Das sind nicht nur Lippenbekenntnisse, sondern die gelebte Realität.» Vorbild vieler junger Talente ist vermutlich Dayot Upamecano. Via Liefering und Salzburg wechselte er nach Leipzig, wo er als 19-Jähriger bereits einen Marktwert von 25 Millionen Euro hat. Auch Naby Keitas Weg führte über Salzburg nach Leipzig – ab Sommer steht er beim grossen FC Liverpool unter Vertrag.
Die gute Arbeit im Jugendbereich sorgt dafür, dass auch der Rest der österreichischen Bundesliga davon profitiert. Denn Salzburg «produziert» mehr Spieler, als es selber benötigt. Deshalb leiht der Klub viele Talente aus; sechs der neun anderen Vereine haben Akteure im Kader, die Red Bull gehören. So profitiert ganz Österreich davon, dass in Salzburg viel Geld in den Nachwuchs investiert wird.
Das Magazin «Profil» kommt in Sachen Red Bull Salzburg zum Schluss: «Der Bösewicht wirkt nicht mehr ganz so böse.» Und Altachs Sportchef Georg Zellhofer meint im «Kurier»: «Red Bull bildet toll aus. Sie haben ein super Angebot an Spielern. Sie beleben die Liga.» Künftig, prophezeit das Blatt, würden noch viel mehr in Salzburg ausgebildete Fussballer in der Bundesliga spielen: «Es wird eine Akademiker-Schwemme geben.» Auch Dimitri Oberlin, der junge Schweizer Nationalstürmer des FC Basel, ist von Salzburg ausgeliehen, Marco Djuricin (GC) ebenfalls.
Obwohl vor dieser Saison das Budget für die Bundesliga-Mannschaft um 10 bis 20 Prozent gekürzt wurde, ist Red Bull Salzburg weiterhin der Platzhirsch und greift nach dem fünften Double in Folge. In der Stadt wird der Erfolg aber je länger je weniger goutiert: Die Zuschauerzahlen sinken – und zwar dramatisch: Mit rund 6500 Fans kommen weniger als halb so viele wie vor zehn Jahren. Gegen Lazio war das Stadion mit knapp 30'000 Zuschauern jedoch ausverkauft.
Mit dem Halbfinal-Einzug in der Europa League nimmt vielleicht auch das Interesse in der heimischen Liga wieder zu. Hinzu kommt ein neuer Bundesliga-Modus, der für mehr Spannung sorgen soll (er ist ähnlich demjenigen mit Final- und Auf-/Abstiegsrunde in den 90er-Jahren in der Schweiz). Es ist aber auch denkbar, dass sich Zuschauer nicht mit Salzburgs selbstdeklariertem neuen Image als Ausbildungsverein identifizieren wollen und den Spielen auch künftig fernbleiben.
Fakt ist, dass das oft kritisierte Red Bull Salzburg mit seiner Nachwuchsarbeit nicht nur für sich selber geschäftet, sondern der gesamte Fussball in Österreich einen Nutzen daraus ziehen kann. 22 Jahre lang musste unser Nachbarland auf einen Halbfinalisten im Europacup warten, ehe es gestern wieder klappte. Rapid Wien scheiterte damals erst im Final des Cupsieger-Cups an Paris Saint-Germain. Wie wohl Salzburgs Reise in dieser Europa-League-Saison endet? Im Halbfinal trifft der österreichische Meister auf Olympique Marseille.