Es herrscht Meinungskrieg im Schweizer Eishockey und die Fronten haben sich anscheinend verhärtet. Auf der einen Seite die Generation von mehrheitlich jüngeren Eishockey-Fans, die im Zeitalter von Technologie aufgewachsen sind.
Der Prototyp dieser Generation erfreut sich nicht nur an schönen Toren und kernigen Checks, sondern möchte auch wissen, was hinter dem Erfolg und/oder Misserfolg einer Mannschaft steckt. Dafür steckt dieser Fan seine Nase auch gerne in diverse Statistiken, darunter auch die sogenannten «Advanced Stats». Ich selbst zähle mich auch zu dieser Generation.
Auf der anderen Seite stehen «alteingesessenen» Hockey-Journalisten und Experten, darunter «MySports»-Experte und früherer Nationaltrainer Simon Schenk, watson-Eismeister Klaus Zaugg oder Dino Kessler, Eishockey-Experte beim «Blick». Sie alle haben sich in dieser Saison schon als Gegner der Statistik geoutet. Die liebste Argument dieser Seite: «Statistiken sind eine schöne Spielerei, doch die Wahrheit im Eishockey liegt auf dem Eis.» Teamgeist, Kampfwille oder das Verhalten in kritischen Situationen – die «weichen Faktoren».
Diese Meinung ist nicht falsch, denn um einen Spieler beurteilen zu können, muss man auch diese Faktoren berücksichtigen. Deshalb werden die besten Eishockeytalente der Welt schon vom Juniorenalter an von diversen Scouts beobachtet. Diese achten nicht nur auf die technischen Fähigkeiten, sondern auch auf die Charakterzüge der Jungs und Mädchen – die weichen Faktoren eben.
Doch die Statistiken sind ein weiteres Mittel, welche die Beurteilung der Qualitäten eines Spielers extrem vereinfachen – und es wird rege genutzt. Tatsächlich ist die Stats-Diskussion wohl eher eine Sache der Medien, denn kaum ein Klub verzichtet heutzutage freiwillig auf genaue Spieler-Evaluationen. Man kann die Diskussion auf drei wichtige Fragen reduzieren.
Diese extrem wichtige Frage wirft auch Klaus Zaugg in seiner Kolumne schon auf. Ob der im dortigen Text erwähnte Fall mit den Skirennen schauenden Statistikern wirklich üblich ist, vermag ich nicht zu sagen. Die Reaktion der ZSC Lions darauf zeigt aber, dass die Statistik-Erfassung in der Schweiz ebenfalls ernst genommen wird.
Im Vergleich mit der NHL hinken wir in unserem Land bei den Statistiken wohl noch etwas hinterher – zumindest bei den Daten, die öffentlich zugänglich sind. Doch es gibt Schritte in die richtige Richtung. Der schweizerische Eishockeyverband (SIHF) bietet auf seiner Website seit den diesjährigen Playoffs einen Shot-Tracker. Dort wird jeder Schussversuch eines Teams sekundengenau erfasst. Nach dem Spiel kann man sich gar jede einzelne Situation noch im Video anschauen.
Wichtig ist, dass man weiss, wie man die Stats zu gewichten hat. Gibt es bei einer spezifischen Statistik eine höhere Fehlerquote, dann kommt ihr bei der Analyse auch eine kleinere Rolle zu.
Im Hier und Jetzt eines Spiels kommen gerade die «Advanced Stats» wohl eher selten zum Einsatz. Der grosse Nutzen von Statistiken liegt bei Beurteilungen von Einzelspielern und Teams, sowie darin Vorhersagen für die Zukunft zu machen. Ein gutes Beispiel für ersteres ist Nino Niederreiter.
Der Schweizer spielt in der NHL als Flügel und wird somit vorerst an seiner Produktivität, sprich Toren und Assists gemessen. Doch das würde dem Churer Unrecht tun, denn neben seiner ganz guten Produktivität ist er einer der besten Defensiv-Flügel der Welt. Mit Niederreiter auf dem Eis müssen die Minnesota Wild ihrem Gegner deutlich weniger Schüsse zugestehen, als wenn der Schweizer nicht auf dem Eis steht.
Solche Tatsachen sind auch bei persönlicher Beobachtung nur schwer ersichtlich. Und gerade das macht Statistiken so wertvoll: Sie sind eine gute Ergänzung zu den «weichen Faktoren».
Natürlich nicht. Egal ob in der Wirtschaft, der Politik oder im Sport. Kaum eine Hochrechnung oder Vorhersage ist je zu 100 Prozent genau. Auch im Eishockey gibt es einige Beispiele dafür. Vor der aktuellen NHL-Saison wurde den Vegas Golden Knights aufgrund ihres Kaders in diversen Simulationen kaum etwas zugetraut. Nun stehen sie als Sieger in ihrer Divison in den Playoffs.
Ich persönlich habe unlängst behauptet, der EHC Biel werde früher oder später wohl noch einbrechen. Nun stehen die Seeländer im Playoff-Halbfinal und haben immer noch beste Chancen auf eine Final-Qualifikation.
Moderne Statistiken sind, wie schon unter Punkt 2 erwähnt, eine ergänzende Hilfe bei der Beurteilung von Spielern und Mannschaften. Eine Statistik alleine sagt meist nur wenig über einen Spieler aus. Oder um es konkret zu formulieren: Nur weil ein Spieler gute Corsi-Werte hat, macht ihn das nicht zwangsläufig zu einem Spieler, der auch der eigenen Mannschaft weiterhilft.
Wir verlassen uns heute bei Spielern zum Beispiel auch nicht aussschliesslich auf die Anzahl Punkte, wir lassen die Anzahl Punkte in unsere Analyse des Spielers einfliessen.
— Micha Hofer (@EuroCaps) April 1, 2018
Wieso soll es mit anderen Statistiken anderst sein?
Der Schweizer Eishockey-Blogger und -Statistiker Micha Hofer hat es auf den Punkt gebracht: Bei der Beurteilung eines Spielers verlässt man sich ja auch nicht ausschliesslich auf die Anzahl Punkte, sondern lässt diese in die Analyse einfliessen. Bei «Advanced Stats» wird das genau gleich gehandhabt werden.
Und zum Schluss noch eine Bitte: Können wir bitte aufhören die Plus-Minus-Statistik als Gradmesser für Spielerbeurteilungen zu verwenden. Auch wenn das Rohmaterial dabei fehlerfrei erfasst wird, wird sie von so vielen verschiedenen Faktoren beeinflusst, dass sie für die Analyse der Qualität eines Spielers so nützlich ist, wie eine Gabel beim Verspeisen einer Suppe. Jede andere Statistik bringt da deutlich mehr.