Er war der heimliche Held dieser Olympischen Spiele. Obwohl Yusuf Dikec gemeinsam mit Sila Tarhan im Mixed mit der Luftpistole über 10 m «nur» Silber gewann, wurde der Türke bejubelt und gefeiert wie wenige andere Athleten in Paris. Der 51-Jährige ging aufgrund seiner lässigen Haltung und dem Verzicht auf Hightech-Unterstützung viral und wurde zur Vorlage zahlreicher Memes – und zum Vorbild einiger anderer Sportlerinnen und Sportler. So jubelte unter anderem der schwedische Stabhochspringer Armand Duplantis mit Dikecs Pose.
Dikec war aber natürlich nicht der einzige Olympionike, der in den letzten zwei Wochen viral ging. Da wäre auch Breakerin Raygun aus Australien, die italienische Turnerin Giorgia Villa mit ihren Werbebildern für Parmesan oder natürlich Snoop Dogg, der mit seinen Auftritten für den US-Sender NBC nicht nur sein Portemonnaie füllen, sondern auch für jede Menge gute Laune sorgen konnte.
Die durch Paris fliessende Seine sorgte schon lange vor dem Beginn der Spiele für Diskussionen. Einerseits sollte die Eröffnungsfeier zum ersten Mal nicht in einem Stadion, sondern mit Booten auf einem Fluss stattfinden, was unter anderem aufgrund der möglichen Terrorgefahr als grosse Herausforderung gesehen wurde. Andererseits sollte das Gewässer in der französischen Hauptstadt erstmals seit rund 100 Jahren wieder sauber genug sein, um darin zu schwimmen.
Nach dem Abschluss der Olympischen Spiele kann bilanziert werden: Die Seine hat sich von ihrer guten wie auch von ihrer schlechten Seite gezeigt. Die Eröffnungszeremonie war ein regelrechtes Spektakel und ein echter Erfolg. Sie im Stadtzentrum durchzuführen, erwies sich auch aufgrund der tollen Kulisse und der vielen Besucherinnen und Besucher, deren Anzahl die Kapazität jedes Stadions um ein Vielfaches überschritt, als goldrichtige Entscheidung.
Jedoch war die Wasserqualität nicht immer ausreichend. Viele Trainings mussten abgesagt, der Triathlon der Männer um einen Tag verschoben werden. Dass ausgerechnet an den Wettkampftagen jeweils die vorgegebenen Werte erreicht werden konnten, sorgte ebenso für bleibende Fragezeichen wie die vielen Athletinnen und Athleten, die nach dem Schwimmen in der Seine an Magen-Darm-Beschwerden litten.
In erster Linie geht es bei den Olympischen Spielen natürlich um sportliche Höchstleistungen und die Besten in ihren Sportarten. Für viele ist Olympia-Gold noch immer der grösste Titel, den es in ihrem Sport zu gewinnen gibt. Auch im Tennis besitzt das olympische Turnier einen hohen Stellenwert, weshalb sich Novak Djokovic den Titel bei wohl letzter Gelegenheit unbedingt noch sichern wollte.
Und das gelang dem 37-jährigen Serben auf beeindruckende Art und Weise. Ohne einen einzigen Satzverlust und mit einem nervenstarken Auftritt im Final gegen Carlos Alcaraz schnappte sich Djokovic den letzten wichtigen Titel, der ihm noch gefehlt hatte. Dadurch stieg er in einen elitären Kreis von nun nur fünf Tennis-Stars, welche in ihrer Karriere alle vier Grand-Slam-Turniere sowie Olympia-Gold mindestens einmal gewannen. Vor ihm schafften dies nur Steffi Graf, Andre Agassi, Serena Williams und Rafael Nadal. Auch Djokovics Tränen der Freude und Erleichterung nach seinem Erfolg bleiben in Erinnerung.
Dass Imane Khelif trotz der emotional geführten Gender-Debatte um ihre Person und des grossen Hasses, der ihr entgegenschlug, Olympia-Gold gewann, ist beeindruckend. Denn die algerische Boxerin musste sich in den letzten beiden Wochen vieles gefallen lassen – einiges auch unter der Gürtellinie. Dabei ist das Problem von den Verantwortlichen der Olympischen Spiele hausgemacht.
Khelif wurde im letzten Jahr vom Box-Weltverband IBA wie die Taiwanerin Lin Yu-ting von den Weltmeisterschaften ausgeschlossen, weil sie einen Geschlechtstest nicht bestanden hatten. Die Ergebnisse wurden jedoch nicht öffentlich gemacht, wodurch die Behauptung der IBA, dass die beiden «männlich» seien und über «sehr hohe Testosteronwerte» verfügen würden, nicht belegt werden kann. Ausserdem steht die IBA aufgrund von Vorwürfen der Manipulation und ihrer Nähe zur russischen Regierung in der Kritik. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) erkannte dem Box-Verband im letzten Jahr deshalb den Status als olympischer Sportverband ab.
Khelif und Lin Yu-ting durften an den Olympischen Spielen anders als in der WM im letzten Jahr antreten, IOC-Sprecher Mark Adams bezeichnete Geschlechtertests als «Attacke auf die Menschenrechte dieser Athletinnen». IOC-Präsident Thomas Bach erklärte zudem, dass nie ein Zweifel bestanden habe, dass Khelif und Lin Frauen seien. Durch die Unklarheiten und die mangelhafte Informationslage in diesem Thema liess das IOC aber nicht nur viel Raum für Spekulationen, sondern gab dem von Skandalen geprägten Verband die Möglichkeit, die Debatte anzufeuern und mit ihr für Unruhe bei den Olympischen Spielen zu sorgen. Auch für einige Politiker und andere in der Öffentlichkeit stehende Personen – zum Beispiel Elon Musk – war es ein gefundenes Fressen.
Das IOC sollte die vier Jahre bis zu den nächsten Spielen deshalb dringend nutzen, Klarheit zu schaffen. Sei es mit Grenzwerten für Testosteron, wie es sie in gewissen Sportarten bereits gibt, oder auf eine andere Weise. Der Umgang mit Athletinnen mit von der Norm abweichenden Werten oder Transgender-Sportlerinnen wird die Sport-Welt nämlich weiterhin beschäftigen. Frauen wie Khelif diesem Hass auszusetzen und sie damit allein zu lassen, darf in Zukunft eigentlich nicht mehr passieren.
Mit dem Plan, fünf Goldmedaillen zu gewinnen, reiste Simone Biles 2021 nach Tokio, zerbrach dort aber an der hohen Erwartungshaltung und dem Druck, den sie sich auch selbst auferlegte. Am Ende holte sie sich lediglich Silber im Team-Wettkampf und Bronze auf dem Schwebebalken, die restlichen Wettkämpfe bestritt sie aufgrund ihrer mentalen Probleme nicht.
Drei Jahre später kehrte die nun 27-jährige Biles an die Olympischen Spiele zurück und triumphierte gleich dreimal überragend. Biles brillierte und lachte wieder, es waren tolle Bilder nach der schwierigen Zeit in Tokio. Als Wermutstropfen bleiben der Sturz auf dem Schwebebalken und die beiden Patzer am Boden, wodurch sie einmal nur Fünfte und einmal Zweite wurde. Das dürfte die siebenfache Olympiasiegerin, die als beste Turnerin der Geschichte gilt, aber verkraften können.
Eine positive Überraschung waren in Paris auch die Athletinnen und Athleten des Gastgebers. 64 Medaillen gab es für Frankreich: 16 Mal Gold, 26 Mal Silber und 22 Mal Bronze. Es waren die erfolgreichsten Spiele für die Grande Nation seit 124 Jahren, als die Franzosen ebenfalls in Paris gar 102 Mal Edelmetall sammelten. Damals gingen in zahlreichen Sportarten aber nur Franzosen an den Start.
Mit ihren starken Auftritten entfachten die Französinnen und Franzosen bei ihren Fans eine grosse Euphorie. Sie wurden lautstark angefeuert und regelmässig wurde in den Stadien und an den Austragungsstätten die Marseillaise angestimmt. Besonders bei den Auftritten von Schwimmer Léon Marchand, der mit vier Gold- und einer Bronzemedaille der erfolgreichste Athlet bei Olympia 2024 war, kochte die Stimmung in der La Défense Arena über und wurde für Gänsehautmomente gesorgt.
Für das spektakulärste Bild der Olympischen Spiele wurde aber nicht in Paris, sondern fast 16'000 Kilometer entfernt gesorgt. Auf Tahiti fanden nämlich die Surf-Wettbewerbe statt und drückte Jérôme Brouillet genau im richtigen Moment ab. So fing der französische AFP-Fotograf Gabriel Medina nach seinem mit 9,9 von maximal 10 Punkten bewerteten Ritt ein. Der Brasilianer, der später Bronze gewann, schien dabei in der Luft zu stehen, den rechten Zeigefinger in die Luft gestreckt und mit seinem ebenfalls senkrecht stehenden Surfbrett hinter sich. Es ist ein Bild für die Ewigkeit – aber nicht das einzige spektakuläre vom Surfen vor Tahiti.
Denn einige Tage später wurden die Surferinnen von einem Buckelwal überrascht. Wieder war es der Franzose Brouillet, der den Moment, in dem der Wal die Meeresoberfläche durchbrach, perfekt einfing.