Eigentlich war das polnische Team für enorme Offensivstärke bekannt. Mit vertikalen Angriffen und ihren Topstürmern Arek Milik und Robert Lewandowski fegten sie durch die Qualifikation. Kein anderes Team erzielte in den Quali-Partien so viele Treffer wie die Polen. Die Defensive wurde bei alledem schon einmal vernachlässigt und zeichnete sich durch risikofreudiges Herausrücken aus.
Bei der EM hat sich dieses Bild gewandelt. Die Polen haben noch keinen einzigen Gegentreffer kassiert, dafür erst zwei Tore selbst bejubelt – bei Superstar Lewandowski steht noch die Null. Das hat auch damit zu tun, dass Trainer Adam Nawalka auf einen kontrollierteren Stil setzt.
Gegen Deutschland und die Ukraine konzentrierten sich die Polen auf eine stabile Abwehrarbeit, um dann mit Konterangriffen gefährlich zu werden. Diese Strategie kann man auch gegen die Schweizer erwarten.
Damit könnte sich für das Team von Vladimir Petkovic eine klare Ausgangslage ergeben: Man selbst macht das Spiel, hat viel vom Ball und ist dominant, der Gegner lauert auf die Konter. Möglicherweise wird diese Konstellation auch von den Schweizern selbst forciert. Die grösste Stärke der Mannschaft lag bisher im Aufbauspiel, das für Ballsicherheit, Kontrolle und Stabilität sorgte. In allen drei Gruppenspielen erwies sich dies als entscheidende Qualität.
In der Tiefe wird Yann Sommer gut in die Ballzirkulation eingebunden. Durch das breite Auffächern der Innenverteidiger und das Aufrücken der Aussenverteidiger – insbesondere Lichtsteiner rechts – nutzt die Schweiz das gesamte Feld. In diese aufgefächerte Ordnung lassen sich abwechselnd Xhaka und Behrami von der Doppelsechs fallen. Dadurch hat die Schweiz über die tiefen Sechser und die Torwarteinbindung viel Präsenz im Aufbauspiel. Auch zur Kontervermeidung ist dies wichtig.
Daneben hebt sich die Schweiz von vielen anderen Teams durch das Freilaufverhalten ab. Die zurückfallenden Mittelfeldspieler halten nicht ihre tiefe Position, sondern passen diese immer neu an. Läuft der Ball über die breiten Innenverteidiger nach aussen, läuft sich Xhaka oft eine Linie höher erneut frei und fordert den Ball im Zentrum. Dadurch können die Schweizer die erste gegnerische Pressinglinie überwinden und in den Raum zwischen Mittelfeld und Sturm eindringen.
Genau das muss auch gegen Polen wieder abgerufen werden. Das polnische Team verteidigt in einem 4-4-2 oder 4-4-1-1 mit Mittelfeldpressing – je nachdem, ob sich Milik neben Lewandowski oder am Mittelfeld positioniert. Bisher hatten die Polen aber zwischen Sturmduo und Sechsern oder zwischen Lewandowski und dem zurückgefallenen Milik nicht die optimale Anbindung. Gerade wenn sie im 4-4-1-1 versetzt agieren, bieten sich daneben Räume.
Diese Bereiche vor der polnischen Mittelfeldlinie muss die Schweiz anvisieren. Dafür werden die seitlichen Bewegungen der Sechser, aber auch von Dzemaili wichtig, ebenso punktuelles Aufrücken durch Schär und Djourou. Mit gutem Aufbauspiel lassen sich Lücken in den zwei polnischen Viererketten reissen.
Diese fokussierten sich bisher auf Kompaktheit und agierten weniger mannorientiert als in der Quali. Vielen Gegnern fiel es schwer, diese Organisation aufzureissen. Die Schweiz deutete etwa gegen Rumänien an, dass geduldige Ballzirkulation und flexibles Freilaufverhalten entscheidende Passwege in die Zwischenräume öffnen können.
Für den Übergang nach vorne wäre es eine Idee, sich auf den rechten Halbraum zu konzentrieren. Zwischen Sechser Maczynski und dem Flügelspieler war Polen bisher nicht ganz so stabil. Das wäre die Zone von Xherdan Shaqiri. Auch die weit einrückende Rolle Mehmedis würde dazu passen und Unterstützung bieten – ebenso wie sich der Mittelstürmer einschalten sollte.
Lichtsteiners Aufrücken würde weitere Räume freidrücken. Aus diesem Bereich müsste die Schweiz dann Durchbrüche suchen, für die Dzemailis gegenläufige Bewegungen nach halblinks wichtig werden könnten.
Wenn sich die Polen tatsächlich auf das Umschalten konzentrieren, müssen die Schweizer diese Konter ausschalten. Hierfür käme erneut den Sechsern eine Schlüsselrolle zu. Die tiefen Grundpositionierungen von Xhaka und Behrami bieten gute Voraussetzungen zur Absicherung. Zudem müssen sich die beiden in gewohnt engagierter, weiträumiger Art ins Gegenpressing einschalten. Da sie vor allem die Bälle verteilen, aber kaum selbst ins Angriffsdrittel nachstossen, können sie sich auf die Kontervermeidung konzentrieren.
Bei Ballverlusten müssen sie aus der Tiefe herausrücken und schnell Druck auf den Ball machen. Besonderes Augenmerk gilt den polnischen Stürmern. Da deren Bindungen zum Mittelfeld eher lose sind, liegt es an den Schweizer Sechsern, die Passwege zu blocken.
Unangenehm könnte das weiträumige Ausweichen der Stürmer werden, da Schär und Djourou im Eins-gegen-eins am Flügel etwas instabil sind. Zur Absicherung könnte eventuell Rodríguez phasenweise tiefer spielen. Insgesamt sollten die Aussenverteidiger weniger mannorientiert verteidigen, um keine Lücken zu öffnen, in welche die Innenverteidiger isoliert gegen Lewandowski herausrücken müssen.
Auch wenn die Polen das Konterspiel derzeit als Hauptwaffe nutzen: Dass sie mehr zu bieten haben, zeigte nicht zuletzt der erste Match gegen Nordirland, als sie ein dominantes Ballbesitzspiel aufzogen. Auch aus dem Aufbau heraus sind von den Polen aber vornehmlich direkte Angriffe auf ihre Topstürmer zu erwarten. Daher sollte sich die Schweiz in geordneten Pressingphasen etwas abwartender aufstellen.
Bisher rückten Xhaka und Behrami oft aggressiv und weiträumig heraus, um den gegnerischen Aufbau früh zu stören. Dadurch war die Schweiz aber anfällig für lange Bälle in die Spitze, da die Verteidiger auf sich alleine gestellt waren. Schon gegen Albanien führte das zu brenzligen Szenen. Gegen Milik und Lewandowski sollte man das vermeiden. Die Doppel-Sechs müsste enger an der Abwehrlinie verteidigen.
Falls Polen stärker auf Flügelangriffe mit Überladungen setzt, wäre als Option eine 4-3-3/4-5-1-Staffelung in Erwägung zu ziehen, indem sich Dzemaili nach hinten ins Mittelfeld fallen lässt.