Czesława Kwoka starb am 12. März 1943. Sie war erst vierzehn Jahre alt, als sie im Vernichtungslager Auschwitz mit einer Phenolspritze ins Herz getötet wurde. Bei ihrer Ankunft in Auschwitz im Dezember 1942 wurde sie fotografiert. Der Fotograf, der Häftling Wilhelm Brasse, vergass das polnische Mädchen mit dem hilflos-trotzigen Blick bis zu seinem Tod 2012 nicht mehr.
«Ich erinnere mich sehr gut an das Bild von diesem Mädchen, weil es noch so jung aussah. Das Mädchen. So entwaffnend, als Mädchen, als Gefangene, die ein Kopftuch trug. Sie sah noch gut aus, nicht abgemagert.»
Wilhelm Brasse
Bild: AP
Die drei schwarz-weissen Porträts von Czesława – Brasse musste die Neuankömmlinge in Auschwitz immer von vorn, im Profil und mit Kopfbedeckung ablichten – sind berühmt geworden. Heute sind sie Bestandteil einer fotografischen Gedenkstätte im Museum Auschwitz-Birkenau.
Bild: AP
Die brasilianische Künstlerin Marina Amaral, die aus der Kolorierung historischer Schwarz-weiss-Aufnahmen ihren Beruf gemacht hat, hat die Fotos jetzt eingefärbt. Sie will damit die Erinnerung an die Holocaust-Opfer wach halten.
«Wenn wir alte schwarz-weisse Fotos sehen, dann bekommen wir das Gefühl, dass das, was abgebildet ist, nur in Geschichtsbüchern stattgefunden hat. Durch die Restaurierung der Farben erwachen die Bilder zum Leben.»
Marina Amaral
Bild: AP/Marina Amaral
«Es ist einfacher, uns mit Leuten zu identifizieren, wenn wir sie in Farbe sehen. Dies waren Menschen mit Träumen, Ambitionen, Ängsten, mit Freunden, Familie ... und alles nahm man ihnen weg. Czesława war nur eines von Millionen Opfern, aber der Ausdruck ihres Gesichts, so viel Angst und zugleich so viel Mut, wird mir immer in Erinnerung bleiben.»
Czesława Kwoka fiel dem Rassenwahn der Nazis zum Opfer. Zusammen mit ihrer Mutter Katarzyna und der restlichen Dorfbevölkerung wurde sie im November aus ihrer Heimat im heutigen Ostpolen in das Umsiedlungslager Zamość abtransportiert – die SS wollte damit Platz für deutsche Siedler schaffen. Im Zuge der «Germanisierung» der Region, bei der über 100'000 Polen vertrieben oder deportiert wurden, sollte aus Zamość «Himmlerstadt» werden.
Czesławas Mutter Katarzyna. Sie kam bereits am 18. Februar 1943 um.
Die deportierten Polen erhielten 20 Zloty und durften nur Handgepäck mitnehmen. Im Umsiedlungslager teilte die SS sie in vier Gruppen ein: Die ersten beiden waren zur sogenannten «Wiedereindeutschung» vorgesehen, die dritte zur Zwangsarbeit in Deutschland. Das schlimmste Schicksal erwartete die vierte Gruppe, in die Czesława und Katarzyna eingeteilt wurden. Diese Menschen wurden als «kriminell» oder «asozial» eingestuft – zum Teil, weil sie Widerstand geleistet hatten – und kamen direkt in das Vernichtungslager Auschwitz.
Dort reduzierte die SS die Neuankömmlinge zu Nummern – aus Czesława wurde 26947. Fotograf Brasse erinnerte sich, wie das Mädchen von einer Aufseherin geschlagen wurde, kurz bevor es vor seine Kamera trat.
«Immer wieder wurden spezielle Nummern aufgerufen. Aber auf Deutsch. Und dieses Mädchen hat einfach nicht verstanden, was da vor sich ging und was zu ihr gesagt wurde. Und dann hat diese Aufseherin … ich sah dies in mehreren Fällen … mit einem Stock zugeschlagen, sie ins Gesicht geschlagen …»
Wilhelm Brasse
Die durch den Schlag aufgeplatzte Lippe des Mädchens fällt auf der kolorierten Fotografie viel stärker auf als im schwarz-weissen Original. «Indem ich die Farbe zurück auf ihr Gesicht brachte, konnte ich das Blut und die blauen Flecken zeigen», sagt Amaral dazu.
Czesława Kwoka war nicht das einzige Kind, das in Auschwitz mit einer Phenolspritze umgebracht wurde. Hunderte von polnischen Kindern aus Zamość und Umgebung starben auf diese Weise. Und auch sie waren nur ein kleiner Teil der etwa 230'000 Kinder, die von 1940 bis 1945 nach Auschwitz deportiert wurden. Die grosse Mehrzahl von ihnen überlebte nicht.
(dhr)
Auschwitz
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Auschwitz
Auschwitz ist ein Ort, an dem Menschen unvorstellbares Leid ertragen mussten. Genau deshalb soll er erhalten bleiben.