Weihnachten sind das ultimative Fest am Ende des Jahres. Es sind die Tage, in denen Liebe, Hoffnung und Sehnsüchte in den Himmel wachsen. Gefeiert wird die Geburt eines Knaben aus einfachem Haus, der zur vermutlich populärsten und bekanntesten Figur in der Weltgeschichte wurde.
Niemand konnte ahnen, dass das Kind in der Krippe zum Sohn Gottes aufsteigen und die Welt 2000 Jahre lang prägen würde. Dabei spielt es keine Rolle, ob die etwas kitschige Geschichte mit den überfüllten Herbergen und dem Stall nur eine Legende ist. Und ob Jesus, wie er uns in den vier Evangelien präsentiert wird, tatsächlich existierte und der Sohn Gottes war, der den Kreuzestod erleiden sollte. Die Wirkung auf die religiöse, soziale und politische Geschichte bleibt die gleiche: Das Kind in der Krippe hat die Welt verändert.
Sicher ist hingegen, dass sich Jesus im Himmel umdrehen würde – dem Grab ist er ja angeblich entstiegen –, wenn er unseren Zirkus erleben könnte, den wir zu seinen Ehren veranstalten. Wir bringen nicht dem Geburtstagskind Geschenke dar, sondern uns selbst. Und es sind keine Präsente, die – symbolisch gesehen – einem bedürftigen Kind in der Krippe die Ankunft in der Welt vereinfachen würden. Nein, wir schenken uns die Luxusgüter, die unsere Wohlstandsgesellschaft produziert. Und wir schlagen uns vor der Krippe unter dem Weihnachtsbaum die Bäuche mit auserlesenen Speisen voll.
Somit stellt sich die Frage: Wie viel christlicher Glaube steckt noch in Weihnachten? Geschichtlich gesehen wenig bis gar nichts. Das Fest am Ende des Jahres geht auf einen heidnischen Brauch zurück. Die Kirchenfürsten haben es nach der erfolgreichen Missionierung umgedeutet. Wie dies auch mit Ostern geschah.
Jesus wurde also nicht am 25. Dezember geboren, und die Geschichte mit der Krippe ist wohl nur eine Legende.
Die Säkularisierung der westlichen Gesellschaften hat Weihnachten nicht geschadet. Der religiöse Aspekt spielt nach wie vor eine zentrale Rolle. Bei den Mitternachtsmessen sind die Kirchen vielerorts zum Bersten voll. Die feierliche Stimmung zieht auch Leute an, die sonst mit dem Glauben kaum mehr etwas am Hut haben. Die Statistiken der Austritte zeigen es klar.
Was es auch immer mit den Ursprüngen, Traditionen und Zusammenhängen des Weihnachtsfestes auf sich hat: Es bleibt das Fest der Liebe. Doch auch damit ist es so eine Sache. Viele Menschen leiden an einem Mangel an Liebe. Für sie kann der zelebrierte soziale Zwang zur Liebe zur Belastung werden. Einsame und randständige Menschen erleben nie so sehr wie an Weihnachten, dass sie keine Hoffnung mehr auf Zuneigung und Geborgenheit haben. Bei jedem Weihnachtslied und bei den vielen Lichtern werden sie schmerzlich an ihr Schicksal erinnert.
Das Fest der Liebe ist auch für alle Väter und Mütter eine schwere Zeit, die nach der Scheidung um ihre Kinder kämpfen und sie an Weihnachten nicht besuchen dürfen. Schwermütig dürften auch viele Soldaten und Soldatinnen werden, die in der Ukraine, im Gazastreifen und in anderen Kriegsgebieten in einem Schützengraben kauern und ihre Kinder noch mehr als sonst schon vermissen. Auch Patienten, die mit schweren Krankheiten in einem Spital liegen, kommen nicht auf den Gedanken, «Stille Nacht, heilige Nacht» zu singen. Psychisch Kranke schon gar nicht.
Die überzogenen Erwartungen und der Weihnachtsstress sind aber auch für Paare und Familien eine Herausforderung. Schwelende Probleme brechen oft bei den Feierlichkeiten auf und enden im Streit. Das Fest der Liebe ist ein konfliktträchtiges Ereignis.
Apropos Fest der Liebe: Für Opfer von übergriffigen Priestern sind diese Tage, in denen die Kirchen in den Mittelpunkt rücken, besonders bedrückend. Sie mögen wohl kaum ein Halleluja singen. Und sie werden sich fragen, wie viele von den Pfarrern, die mit Pomp und salbungsvollen Worten den Weihnachtsgottesdienst zelebrieren, sich an Ministranten vergangen haben.
Soll man Weihnachten deshalb abschaffen? Nein, auf keinen Fall. Wer an Weihnachten schon leuchtende Kinderaugen gesehen hat, zweifelt nicht daran, dass der Brauch weiterhin gepflegt werden soll. Aber es ist wichtig, all die Widersprüchlichkeiten rund um das Fest nicht auszublenden.
Es wäre deshalb sinnvoll, Weihnachten zu entmystifizieren und den religiösen Aspekt zu hinterfragen.