Nicht schon wieder! Dieser Gedanke ist wohl vielen durch den Kopf geschossen, als sie vom Terroranschlag beim Konzert von Ariana Grande in Manchester erfahren haben. Wann hören diese feigen Selbstmordkommandos fanatisierter Islamisten endlich auf, ist meist der zweite Reflex.
Wer halbwegs mit einem ausgeglichenen Bewusstsein ausgestattet ist, kann die barbarische Tat nicht begreifen. Und schon gar nicht nachvollziehen oder erklären. Es ist für uns schwer möglich, uns in einen Selbstmordattentäter hineinzuversetzen.
Was läuft im Hirn eines potentiellen Attentäters ab? Wie ist seine Gefühlslage? Empfindet er überhaupt noch etwas? Was muss mit ihm passiert sein, dass er einen Lustgewinn daraus zieht, ihm völlig unbekannte Personen in die Luft zu sprengen – und gleichzeitig ebenfalls zerfetzt zu werden? Wie ist es möglich, den Selbsterhaltungs- und Überlebenstrieb auszuschalten – die wohl stärksten Kräfte in uns Menschen?
Dieses Phänomen schafft wohl nur der religiöse Fanatismus. Allenfalls noch eine extreme politische Ideologie, die dann aber die Merkmale einer pseudoreligiösen Gesinnung aufweist.
Der Schlüsselbegriff ist die Indoktrination – oder die Gehirnwäsche. Besser vielleicht: die Seelenwäsche. Tatsächlich hat die Indoktrination das brutale Potential, das Bewusstsein der Opfer völlig umzukrempeln, auf den Kopf zu stellen.
Die Methode der Gehirnwäscher ist in der Theorie relativ einfach: Umwertung aller Werte. Mit raffinierten psychologischen Methoden gelingt es den «Sittenwächtern», das angestammte Weltbild und das Bewusstsein ihrer Adepten abzuwerten, ja zu zerstören.
Bisherige ethische und moralische Empfindungen werden als geistiger Auswuchs der dekadenten westlichen Welt interpretiert, als teuflische Entartungen, die es schleunigst zu korrigieren gilt, um ein gottesfürchtiger Mensch zu werden.
Verteufelt werden vor allem die emotionalen Werte. Alles, was Freude oder gar Lust bereitet, wird als Versuchung und Verführung gebrandmarkt, die von einem geistlichen Leben ablenken.
Das führt zu einem verhängnisvollen autosuggestiven Prozess, der die Indoktrination verselbständigt: Die jungen Dschihadisten führen einen geistigen Kampf gegen sich selbst. Sie müssen alles in sich bekämpfen und abtöten, was nach überkommenen Werten und Emotionen riecht.
Dies führt zur radikalen Entpersönlichung, ja zur Entmenschlichung. Das Ich und das Über-Ich werden entkernt. Alle kulturellen Werte – Empathie, Zuneigung, Bildung, Kultur, Kunst – werden als gefährliche Disziplinen gewertet, die vom Ziel ablenken, Allah zu gefallen und zu dienen.
Die herkömmliche Identität wird zerstört und durch eine neue ersetzt. Dies führt zu einer geistigen Verwirrung, das geistige und moralische Koordinatennetz zerfällt. In dieser Irritation sind die Gehirngewaschenen erst recht gezwungen, sich an die neuen «Lebensspender» anzupassen und anzulehnen.
Dieser Zwang zur Anpassung unterhöhlt das Selbstwertgefühl weiter. Die Angst vor Strafe bei der kleinsten Abweichung von der Norm fördert die Konditionierung weiter. Ein Weg zurück gibt es nicht, die indoktrinierten Werte müssen verinnerlicht werden. Dies ist ein Überlebensmuster. Wer in der Mühle der Indoktrination steckt, ist auf Gedeih und Verderben verloren.
Wer sich in dieser «neuen schönen Welt» einzurichten beginnt, muss sich radikal von allem entfremden, was ihn an die alte Identität erinnert. Die Software wird konsequent gelöscht und neu programmiert.
Dies im wörtlichen Sinn, denn auch die Hirnstrukturen verändern sich bei diesem Prozess der Entpersönlichung. Sie passen sich durch die Konditionierung den Bedürfnissen und Sehnsüchten der radikalen Gläubigen und vor allem der Konvertiten an.
Unser Hirn ist keine moralische Instanz, die die Notbremse zieht, wenn sich jemand verrennt. Es ist kein Kontrollorgan, das sich korrigierend einmischt. Es funktioniert eher wie ein Computer.
So verarbeiten unsere Hirnstrukturen selbst die Indoktrinationsprozesse widerstandslos und helfen mit, wenn das moralische Empfinden und die Empathie umprogrammiert werden. Um bei der Computersprache zu bleiben: Unser Hirn übernimmt auch gefährliche Programme und erkennt Viren nicht.
Eine besondere Rolle bei der Indoktrination spielt auch die Gruppendynamik. Das Abtauchen in eine Parallelwelt ist verhängnisvoll. Die Aussenwelt wird von den Führern als Feindesland deklariert, die es zu vernichten gilt, weil sie der eigenen Gruppe angeblich die Daseinsberechtigung abspricht.
Heimat und Geborgenheit ist nur in der Gegenrealität zu finden, was zwangsläufig zu einer Überidentifikation und Radikalisierung führt. So wird es unmöglich, dem Teufelskreis zu entrinnen. Selbstzweifel müssen radikal verdrängt werden, denn alle Brücken zum angestammten Lebensumfeld sind abgebrochen, ein Zurück ist aus mentalen, ideologischen und existentiellen Gründen nicht mehr möglich.
Die einzige Lust, die «IS»-Schergen bleibt, ist diejenige des Kriegers. Die Freude am Kämpfen, die Lust am Siegen. Was in diesem Umfeld bedeutet: Lust am Morden.
Als mörderische Helden können Islamisten und Terroristen ihr unterminiertes Selbstwertgefühl auf perverse Weise wieder aufpolieren. Der Applaus aus den eigenen Reihen und angeblich von Allah ist für sie Doping.
Kurz: Alle islamistischen Ideen, Strömungen und Strategien sind ein klassisches Sektenphänomen. Es erinnert an die Massensuizide der Sonnentempler, der Aum-Sekte und der Jim-Jones-Bewegung, um nur drei Beispiele zu nennen. Bei den Islamisten und Salafisten kommt allerdings noch die politische Komponente ins Spiel, was das unheimliche Phänomen noch wesentlich gefährlicher macht.