Das Leben ist oft eine Irrfahrt. Wir wissen nicht, was uns das Schicksal beschert, wo es uns hin verschlägt, was uns der nächste Tag bringt. Deshalb lautet eine der häufigsten Redewendungen: «Ich wünsche dir viel Glück.»
Das einzige, was wir auf sicher haben, ist der Tod. Er ist unser treuster Begleiter. Eigentlich eine traurige Geschichte: Das, was wir am meisten fürchten, ist die einzige Konstante in unserem Leben.
Ein gesundes Leben und eine gute Medizin können zwar den Tod oft hinauszögern, doch überlisten lässt er sich nicht. Es gibt kein Entrinnen, früher oder später schlägt er gnadenlos zu.
Das Bewusstsein, dass das Leben endlich ist, hat aber auch positive Aspekte. Der Tod zeigt uns den Wert des Lebens erst richtig auf. Wir wissen, dass ein Unfall oder eine schwere Krankheit ihm jäh ein Ende bereiten kann.
Das schärft unseren Sinn fürs Leben. So entstand der beliebte Spruch, wir sollen jeden Tag so geniessen, als wäre es der letzte.
Die Angst vor dem Tod treibt aber auch seltsame Blüten. Glaubensgemeinschaften und Sekten leben davon, dass wir Menschen uns vor dem Sterben und dem Tod fürchten.
Religionen versprechen Trost und Sicherheit. Vor allem aber ein Leben nach dem Tod. Würden wir ewig auf der Erde leben, bräuchten wir keinen Gott – er würde uns schlicht nicht interessieren.
Die Angst vor dem Tod führt auch zu irrationalen Reaktionen. Viele Esoteriker glauben, der Tod sei wie vieles im Leben vorbestimmt. Doch nicht nur spirituelle Sucher sind überzeugt, unser Ablaufdatum sei im Buch des Todes festgehalten. Auch viele Christen glauben an eine gnadenlos tickende Lebensuhr.
Rational gesehen ist diese Vorstellung absurd. Sie suggeriert, dass ein Gott oder ein höheres Wesen den Tod von aktuell rund sieben Milliarden Menschen fein säuberlich terminiere. Und dass sie die Macht hätten, unseren Tod auf den Tag genau zu bestimmen.
Falls es solche Superwesen gäbe, müsste man sie nach ihrer Motivation fragen, die Todesdaten zu bestimmen. Und: Nach welchen Kriterien legt ihr die Anzahl Lebensjahre fest? Nach dem Zufallsprinzip?
Ihre Selektion sähe dann vielleicht so aus: Peter schicken wir bei der Geburt mit einem offenen Rücken ins Rennen, er erhält drei Jahre. Susanne statten wir mit robusten Genen und einem gnädigen Schicksal aus, sie bekommt 95 Jahre.
Wäre unser Tod vorbestimmt, müsste alles im Leben bis ins kleinste Detail durchgetaktet sein. Täglich und in jedem Moment.
Ein Gedankenspiel: Mein Todesdatum ist der 12. Dezember 2021, ich sterbe an diesem Tag an einem Autounfall. Was ich natürlich nicht weiss. Wenn dem so wäre, müsste mein Gott jedes kleinste Detail in meinem Leben planen.
Das sähe dann so aus: Er drückt die Temperaturen in der Nacht vor meinem Todestag auf minus 5 Grad hinunter und lässt es kurz regnen. Dann organisiert er meinen Zeitplan nach dem Aufwachen so präzis, dass ich zur rechten Zeit ins Auto steige und losfahre.
Anschliessend lenkt er den gesamten Verkehr und die Ampeln so, dass ich auf die Sekunde genau bei der vereisten Kurve ankomme, die mir zum Verhängnis wird. Das gleiche Prozedere organisiert Gott beim Autofahrer, in den ich nun krache, weil ich auf die Gegenfahrbahn gerutscht und in ihn geprallt bin. Wäre er nur eine Sekunde früher oder später an der Unfallstelle vorbeigefahren, wäre ich heil auf der offenen Wiese gelandet.
Man könnte solche Beispiele endlos weiterspinnen und sie auf jeden Menschen auf diesem Planeten übertragen. Und auf den gesamten Weltenlauf, Sekunde für Sekunde. Das gäbe endlos viele Wahrscheinlichkeiten und Kombinationen, die wohl auch den potentesten Gott schwindlig werden lassen würde.
Der Grund, weshalb viele an den vorbestimmten Tod glauben, hat wohl eher psychologische Gründe denn religiöse. Ich kann die Verantwortung für mein Leben abgeben, nach dem Motto, es sei eh alles vorbestimmt. Dadurch kann man das Schicksal ein wenig besser annehmen und muss sich nicht dauernd hintersinnen.
Der Glaube an ein vorbestimmtes Leben und einen vorbestimmten Tod ist aber Selbstbetrug. Ein Beispiel: Vor rund 200 Jahren wurden die Menschen halb so alt wie wir heute. Wenn der Tod vorbestimmt wäre, hätte Gott entschieden, das Durchschnittsalter kontinuierlich anzuheben.
Die höhere Lebenserwartung verdanken wir aber nachweislich nicht Gott, sondern den medizinischen Fortschritten.
Die Idee vom vorbestimmten Tod ist nur einer von vielen Tricks, die wir Menschen auf Lager haben, um das Ende des Lebens begreifbarer und ertragbarer zu machen. Wirklich hilfreich sind sie aber nicht.
Am besten ist immer noch, ihn zu akzeptieren und ihm bestimmt in die Augen zu schauen. Dabei gibt es immer noch die Möglichkeit, ihm möglichst lang die Stirn zu bieten. Da hilft kein Gott, sondern allenfalls eine schlaue Lebenstaktik und ein starker Wille.